Burgdorfer Gericht muss Schlägerei beurteilen, bei der zwei Mitglieder einer Musikerfamilie verletzt wurden
Mehr oder weniger Beteiligte, Partnerinnen von Angeschuldigten, zufällige Passanten und einen Polizisten: Sie alle befragte Strafeinzelrichter Jürg Bähler zum angeblichen Angriff Rechtsextremer auf eine Burgdorfer Familie. Erhellt wurde der Vorfall indes kaum.
stefan von below
Am Anfang schien alles klar. «Familie von Rechtsextremen angegriffen», «Familie von Jugendlichen verprügelt», «Mit Gürtel auf die Opfer eingeschlagen»: So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen in der regionalen Presse nach der Auseinandersetzung in der Nacht vom 21. auf den 22. April 2006, bei der die Ehefrau und der Sohn des stadtbekannten Burgdorfer Musikers B. verletzt wurden.
Bald aber regten sich hier und dort Zweifel, ob wirklich eine unschuldige Familie zum Opfer ruchloser Rechtsradikaler geworden sei – zumal Vater und Sohn B. nie bestritten hatten, auch selber dreingeschlagen zu haben, wenn auch nur zur Verteidigung. Vergrössert wurde die öffentliche Konfusion durch das Ergebnis der Voruntersuchung: Der Untersuchungsrichter kam zum Schluss, es habe sich nicht um einen rechtsextrem motivierten Übergriff, sondern um ein «spontanes Ereignis» aufgrund einer persönlichen Fehde gehandelt.
Ein Schläger ist bereits verurteilt
Die Aufgabe von Strafeinzelrichter Jürg Bähler ist es nun, Licht in die verworrene Angelegenheit zu bringen. Dem 21-jährigen X. werden Raufhandel, Angriff, Körperverletzung, Beschimpfung und Rassendiskriminierung vorgeworfen. Sein jüngerer Kamerad Y. wurde bereits vom Jugendgericht wegen Raufhandels und einfacher Körperverletzung zu fünf Tagen Einschliessung bedingt verurteilt. Vater, Mutter und Sohn B. sowie ein Freund der Familie müssen sich ihrerseits wegen Raufhandels vor Gericht verantworten. Bei der ersten Einvernahme Anfang November behaupteten beide Seiten, die Gegenpartei habe mit Provokationen angefangen («Bund» vom 7. 11. 06). Um den Sachverhalt zu erhellen, liess Bähler zur gestrigen Hauptverhandlung nicht weniger als zwölf Zeugen antreten – mehr oder weniger Beteiligte der Schlägerei, Partnerinnen von Angeschuldigten, zufällige Passanten und einen Kantonspolizisten.
Die erhoffte Klärung blieb indes aus. Keiner der Zeugen vermochte sich knapp ein Jahr nach dem Vorfall noch genau an die turbulenten Ereignisse zu erinnern, die sich damals kurz nach Mitternacht auf der Schmiedengasse abgespielt hatten – oder höchstens noch an jene Szenen, bei denen er oder sie unmittelbar involviert waren. Von einem «Riesenaufruhr» war die Rede, von Hektik, Geschrei und einem grossen Durcheinander. Dabei hätten «alle ein wenig dreingeschlagen», sagte einer der Zeugen – «jedenfalls alle männlichen Personen».
Die Gürtel geschwungen
Der Bruder und die Freundin von X. gaben zu Protokoll, Vater B. habe die drei grundlos als «Scheiss-Nazis» betitelt, als sie einander vor dem «Aemmi» begegnet seien, und dazu die Faust erhoben. Darauf, so die Freundin, habe X. seine Kollegen geholt. Vermutlich habe ihr Freund hernach als Erster den Gürtel ausgezogen, weil er sich bedroht gefühlt habe. Vater B. habe es ihm gleichgetan, und beide hätten ihre Gürtel geschwungen. Derweil sei Y., ein Kollege von X., auf den Sohn B. losgegangen. Dieser habe ihn angespuckt, und Y. habe ihm ins Gesicht geschlagen. Ihren Freund jedoch habe sie an jenem Abend nie zuschlagen sehen.
Ein anderer Kollege von X. wollte gesehen haben, wie Vater B. und der Freund der Familie später den am Boden liegenden Y. getreten hätten, während Mutter B. mit ihrer Hundeleine um sich geschlagen habe. Er selber sei dabei am Rücken getroffen worden. Wie die Verletzung im Gesicht der 53-jährigen Frau entstanden war, konnte hingegen niemand erklären.
«Stechender Glotz-Blick»
Von den Bekannten der Familie konnte gar niemand nähere Angaben zum Hergang der Schlägerei machen. Den Ausdruck «Scheiss-Nazi» habe sie jedenfalls nicht gehört, sagte eine Frau, die allerdings nur ganz am Anfang vor Ort war. Hingegen habe X. der Familie beim Vorbeigehen einen «stechenden Glotz-Blick» zugeworfen.
Andere Bekannte der Familie B., die nach der Schlägerei per Zufall vorbeikamen, berichteten von Neonazis mit Glatzen und Springerstiefeln auf der Schmiedengasse. Einer von ihnen habe lautstark den Hitlergruss skandiert, sagte ein Zeuge – «erkennen würde ich ihn aber nicht mehr». Daran wiederum konnten sich weder der Polizist noch die Freundin von X. erinnern. «Das wäre auch ziemlich unpassend gewesen», sagte sie.
Heute geht der Prozess mit den Befragungen der Angeschuldigten und den Plädoyers der Anwälte weiter. Sein Urteil wird Bähler heute oder morgen bekannt geben.