Zwei Schläge verändern ein Leben
Betroffen Hansjörg*, ein Opfer sinnloser Gewalt, erzählt seine Geschichte
Heute informiert der Kanton darüber, wie er der Jugendgewalt Herr werden will. Das ist bitter nötig, wie zum Beispiel das Schicksal von Hansjörg zeigt, der vor über einem Jahr in Solothurn niedergeschlagen wurde.
Elisabeth seifert
Es geschah bereits vor einiger Zeit. Nämlich vor genau 16 Monaten. Und dennoch: Die Folgen der heftigen Schläge auf Hinterkopf und Schultern sind für den heute 37-jährigen Mann immer noch spürbar und verändern sein Leben womöglich für immer. Der gelernte Starkstromelektriker kann zwar wieder täglich acht Stunden arbeiten, ist aber nur zu 50 Prozent wirklich einsetzbar und wird auch dementsprechend bezahlt. Die restlichen 50 Prozent seines Lohnes übernimmt, jetzt noch, die Suva. «Das Schlimmste für mich ist, dass ich für vieles Hilfe brauche, man fühlt sich da nur als halber Mensch», sagt Hansjörg, er ist Deutscher, wohnt seit 15 Jahren in der Stadt Solothurn und arbeitet in der Region.
Er erinnert sich noch sehr genau an jenen Sonntag, den 6. März 2005, den Tag, an dem die kantonale Sektion der rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) in Solothurn gegründet worden ist. Ein Ereignis, gegen welches vermummte Linksextreme demonstrierten – und dabei Hansjörg, einen unbeteiligten Passanten, niederschlugen. «Ich habe meine Geschichte unzählige Male erzählt, das hat mir geholfen, alles besser zu verarbeiten.»
Ein erster, dann ein zweiter Schlag
«Ich kam gegen 15 Uhr, nach meiner Schicht, mit dem Zug in Solothurn an und ging durch die Unterführung Richtung Stadt.» «Aus dem Augenwinkel habe ich dabei gesehen, wie eine grosse Zahl Vermummter die Treppe runterkam.» Sie waren, wie er später erfuhr, nach einer kurzen Demo durch die Altstadt, wieder auf dem Weg nach Hause. «Die Ersten sind an mir vorbeigezogen und haben mich komisch angeguckt», erzählt er. «Die haben mich wohl für einen Rechtsextremen gehalten.» Der Grund: «Kurz zuvor habe ich mir die Haare abrasieren lassen, das mache ich alle paar Monate.» Langsam beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl: «Ich fing an, schneller zu gehen.» Dann erhielt er plötzlich von hinten einen Schlag auf den Kopf, kam ins Trudeln, ein zweiter Schlag und er fiel vornüber.
«Ich sah nur noch undeutliche Schatten, konnte nichts mehr hören oder fühlen», erinnert er sich. Nach der Attacke waren sofort Passanten zur Stelle, haben ihm geholfen sowie den Krankenwagen und die Polizei gerufen. Die Täter machten sich mit dem Zug auf und davon. Die Nacht verbrachte Hansjörg im Spital. Eine Rissquetschwunde am Kopf und ein Bruch des linken Oberarmes, so lautete die Diagnose. Am folgenden Tag erstattete er Anzeige. Die Täter konnten bis heute nicht gefasst werden. Ihr Opfer muss seither mit den Folgen fertig werden, die viel weitreichender sind, als man ursprünglich erwartet hatte.
«…dann ist es leer in meinem Kopf»
Immer wieder musste Hansjörg im Verlauf der letzten Monate krankgeschrieben werden, weil ihn akute Schmerzen im Bereich des Oberarmes plagten. Die wöchentliche Physiotherapie und das tägliche ein- bis zweistündige Training im Fitnessraum des Bürgerspitals zeigen bis heute nicht die erhoffte Wirkung. Auch eine Operation im vergangenen März, von der er den Wendepunkt erwartet hatte, trug nicht zur Besserung bei. «Woran das wirklich liegt, weiss niemand so genau», sagt er. «Jedes Mal, wenn ich meinen Arm bewege, knackt es im Oberarm und Schmerzen stellen sich ein.» Solange er den Arm nicht allzu sehr belastet, halten sich die Probleme in Grenzen.
Sein Arzt sagte ihm kürzlich, er müsse sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass sein Zustand möglicherweise nicht mehr besser wird. Hansjörg: «Wenn ich mir vorstelle, dass ich meinen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist es nur noch leer in meinem Kopf.»
Auch in seinem Privatleben hat sich einiges verändert: «Alles geht viel langsamer.» Kürzlich brauchte er drei Stunden, um zwei Fenster zu putzen. Und seinem grossen Hobby, dem Zusammenbauen von Echtdampf-Lokomotiven, kann er sich nur noch sehr eingeschränkt widmen. «Da kommt schon mal Frust auf.»
* Name von der Redaktion geändert