Zwei Journalisten der Boulevardzeitung agierten in rechtem Internetforum

Blick

VON DANIELA PALUMBO

Spekulationen statt harte Fakten: «Blick» suggeriert Zusammenhänge, wo keine sind ZÜRICH – Schlagzeilen über Rechtsradikale steigern offensichtlich die Auflage. So kann es auch mal vorkommen, dass der «Blick» eine Neonazi-Geschichte teilweise erfindet – so die Berichterstattung über das Verschwinden des 19-jährigen Schreinerlehrlings Sascha Kübler aus Breitenbach SO. «Wurde ihm Neonazi-Szene zum Verhängnis?», rätselte das Boulevardblatt am vergangenen Montag auf der Frontseite. Der «Blick» war sicher: «Sascha Kübler (19) sympathisiert mit der rechtsextremen Szene.» Die Zeitung stützte ihre Spekulation vor allem auf vier Einträge in einem rechten Internetforum – doch mindestens zwei der vier Einträge hatten «Blick»-Journalisten selbst eingetippt. Seit dem 16. Juli berichtete der «Blick» täglich über Sascha Küblers Verschwinden und dessen Verbindungen zur rechtsextremen Szene; veröffentlicht wurde auch ein Foto des Vermissten. Die Kantonspolizei Solothurn hatte am 7. Juli die Fahndung nach dem Jugendlichen aufgenommen. Das Foto im «Blick» zeigt Sascha Kübler in einem T-Shirt mit dem Aufdruck «Böhse Onkelz», dem Namen einer ehemaligen Neonazi-Band. Als weiteres Indiz für die braune Spur wertete der «Blick» Einträge im Forum der «Patriotenseite» www.patriotenseite.ch.vu. Dort stellte am 11. Juli ein Unbekannter unter dem Pseudonym «Patriot» folgende Frage: «Habt Ihr das mitbekommen von Sascha? Ist er eigentlich an der Bierfront gewesen in Liesberg am Samstag?» Am 15. Juli kamen drei weitere Einträge hinzu. Ein gewisser «saal» schrieb: «Habe von der Sache gehört. Traurig. Ich hoffe, er kommt bald wieder zurück. Aber war Sascha auch ein Patriot?» Darauf ein Eintrag von «Ionsdale»: «Habe gehört, sein Natel wurde gefunden . . . Die Boulevardpresse vermutet Beziehungen zur rechten Szene . . . Lächerlich.» «tirpitz» antwortete: «Ja, er war Patriot! Ein aufrichtiger.» Am 16. Juli brachte dann der «Blick» seine Neonazi-Schlagzeile. Einen Tag später hiess es: «Auf Grund der Blick-Recherchen dehnt jetzt die Polizei die Ermittlungen auch auf die rechtsextreme Szene aus.» Am Mittwoch fand ein Hund die Leiche von Sascha Kübler unweit von dessen Wohnort entfernt. Der Junge soll sich mit seinem Sturmgewehr das Leben genommen haben. «Sascha (19): Bleibt sein Tod für immer ein Rätsel?», titelte am Freitag das Boulevardblatt. Das Rätsel der «Blick»-Schlagzeilen ist jedenfalls gelöst. Die Einträge vom 15. Juli auf dem Internetforum stammen von mindestens zwei «Blick»-Journalisten. Thomas Zuber, Kriminalpolizeichef der Kantonspolizei Solothurn, bestätigt: «Wir ermitteln gegen Journalisten wegen Ehrverletzung.»

Das Polizeikommando erwägt, den Fall dem Presserat vorzulegen

Das Arbeitsverhältnis mit einem «Blick»-Journalisten, dessen Name der SonntagsZeitung bekannt ist, wurde nach einer Vorladung der Polizei am Freitag aufgelöst. «Er hat fristlos gekündigt. Es ist richtig, dass ein Journalist die Konsequenzen zieht, wenn er einem Blatt Schaden zufügt», sagt «Blick»-Chefredaktor Jürg Lehmann. Allerdings ist noch ein weiterer «Blick»-Journalist für einen Eintrag verantwortlich, wie Lehmann bestätigte. Die Kantonspolizei Solothurn ist verärgert. Sie suchte auf Druck der «Blick»-Berichterstattung nach Hinweisen in der rechtsradikalen Szene. Aber weder in Sascha Küblers Zimmer noch bei der Einvernahme von Eltern, Freunden und Bekannten erhärtete sich der Verdacht. Deshalb schaltete die Kantonspolizei den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) im Bundesamt für Polizei ein. Doch auch der DAP konnte keinen Zusammenhang zwischen Sascha Kübler und der Neonazi-Szene herstellen. «Wir haben keine Hinweise in diese Richtung gefunden», sagt der zuständige DAP-Beamte. Mit einer richterlichen Verfügung wurde über einen grossen Provider nach den Urhebern der Einträge auf der «Patriotenseite» gesucht. Das Bundesamt für Polizei leitete darauf die Ergebnisse an die Kapo Solothurn weiter. Für den «Blick» dürfte die Neonazi-Geschichte ein Nachspiel haben. Die Berichterstattung der Boulevardzeitung führte die Polizei auf eine falsche Fährte und behinderte die Ermittlungen. «Das ist stossend. Die Integrität von Menschen wurde durch die Verbindung zum Rechtsextremismus verletzt und die Ressourcen der Polizei unnötig gebunden», sagt Kripochef Zuber. «Sobald die Ermittlungen beendet sind, wird das Polizeikommando darüber beraten, ob wir die Geschichte vor den Presserat bringen.»