Tages-Anzeiger.
Ein Polterabend von Rechtsextremen in Wiedikon eskalierte. Der Haupttäter wird zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Das Bezirksgericht Zürich hat heute einen 30-jährigen Neonazi zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie einer Busse von 1000 Franken verurteilt. Der als Sänger der rechtsextremen Band Amok bekannt gewordene Kevin G. hat im Juli 2015 in Wiedikon einen Juden angespuckt und ihm «Scheissjude!», «Wir werden euch alle vergasen!», «Wir schicken euch nach Auschwitz!» und «Heil Hitler!» nachgerufen.
G. muss nun aber sogar noch deutlich länger ins Gefängnis. Das Bezirksgericht widerrief mehrere Vorstrafen, die bedingt ausgesprochen worden waren. Darunter auch den Entscheid eines St. Galler Kreisgerichts, das den Mann wegen versuchter schwerer Körperverletzung sowie mehrfacher einfacher Körperverletzung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt hatte. Davon hat G. 12 Monate abgesessen. Nach der neuen Strafprozessordnung werden die restlichen 18 Monate Freiheitsstrafe nun nicht einfach dazugerechnet, sondern das Gericht muss eine Gesamtstrafe aussprechen. Es beurteilt beide Verfahren, als hätte der Beschuldige alle Taten gleichzeitig verübt. Dafür legte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten fest. Abzüglich der 12 bereits abgesessenen Monate, resultiert eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten.
Anwalt wollte Freispruch
Der Anwalt von Kevin G., Jürg Krumm von der Kanzlei des Zürcher Strafverteidigers Valentin Landmann, hatte auf Freispruch plädiert. Es sei zwar ein tragischer Vorfall, dass mehrere Männer anlässlich eines Polterabends in Wiedikon einen orthodoxen Juden beleidigt hätten, doch sein Mandant habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits von der Gruppe entfernt. Mehrere Zeugen hätten G. bei einer Gegenüberstellung nicht eindeutig als Haupttäter bezeichnen können – anders als ein weiterer Teilnehmer des Polterabends. Der 24-jährige Maurer ist geständig und wurde per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 90 Franken verurteilt.
Anders sah das die Staatsanwältin und der Anwalt des Privatklägers. Mehrere Personen hätten Kevin G. als Haupttäter bezeichnet. Es sei deshalb erstellt, dass er die Taten vollbracht hatte. Mit einer zu einem späteren Zeitpunkt eingereichten Eventualanklage liess die Staatsanwältin die Möglichkeit noch offen, dass Kevin G. nicht der Haupttäter, wohl aber Mittäter war und deshalb genau gleich zu verurteilen sei.
Das Bezirksgericht folgte der Anklage der Staatsanwältin und verurteile G. als Haupttäter.
Ein Hakenkreuz auf dem Oberarm
Vollkommen unbestritten war, dass es sich bei dem 30-jährigen Metzger Kevin G. um einen bekennenden Neonazi handelt. Auf seinem Schulterblatt prangt ein Hakenkreuz-Tattoo, auf dem Oberarm ein Bild eines Nazischergen und auf seinem Bauch ist die Abkürzung «RaHoWa» eintätowiert – das Akronym steht für «Racial Holy War» (Rassischer Heiliger Krieg) und gründet auf der Vorstellung eines letzten Konflikts in dem die weisse arische Rasse gegen Juden und andere niedere Rassen kämpft. Es ist in der amerikanischen White-Power-Bewegung weit verbreitet.
Um seine politische Gesinnung machte G. auch während der Untersuchung keinen Hehl. Zur Staatsanwältin sagte er, die Geschichtsbücher würden die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg nicht korrekt wiedergeben. Und entgegen früherer Beteuerungen, er habe die Band Amok längst verlassen, sagte er heute vor den Schranken, die Musik sei seine grossen Leidenschaft. Sie diene ihm als Ventil und gebe ihm eine Möglichkeit, sich politisch auszudrücken. G. war vor bald acht Jahren bereits einmal für seine Musik wegen Morddrohungen und rassistischen Aussagen verurteilt worden. Seither würde ein Anwalt die Texte prüfen – «wegen der immer schärfer werdenden Gesetze in der BRD», wie der 30-Jährige sagte. Den letzten grossen, bekannten Auftritt hatte Amok im Oktober 2016 an einem Neonazi-Konzert in Unterwasser SG.
G. zog ins Unterland
Ansonsten habe er sich aber von der rechtsextremen Szene entfernt, sagte Kevin G. Er nehme nicht mehr an Demonstrationen oder Festen teil, bei denen er davon ausgehen könne, dass es zu Gewalt kommt. Nach einer Demonstration von Linksextremen in G.s ursprünglichen Wohnort Hombrechtikon, zog er in ein kleines Dorf im Zürcher Unterland, wo er mit seiner Freundin und deren Tochter wohnt. Die einjährige Freiheitsstrafe, die er abgesessen hat, habe zu diesem Wandel geführt. Ausserdem wies ihn das Gericht damals an, an einem 15-stündigen Anti-Aggressions-Training teilzunehmen.
In seinem Schlusswort sagte Kevin G., er habe keine weisse Weste, aber für alle seine Taten sei er grade gestanden. Er arbeite hart um seine Schulden aufgrund früherer Strafen abzubezahlen und hoffe, dass er nach fast drei Jahren nun endlich Ruhe finde und das Thema abschliessen könne.
Nach dem Entscheid des Bezirksgerichts kann er dies nun nicht. Allerdings kündigte sein Anwalt nach der Urteilseröffnung auf Anfrage an: «Wir werden in Berufung gehen.» Kevin G. wird sich also noch vor Obergericht verantworten müssen.