Die Wochenzeitung. Heinrich XIII. Reuss, der Putschistenprinz unter den Reichsbürgern, hielt 2019 in Zürich eine bizarre antisemitische Rede. Sein Auftritt vor der Schweizer Technologie- und Wirtschaftselite war kein Zufall.
Knallgrünes Jackett, aufgeknöpftes Hemd, dunkle Sonnenbrille: So präsentiert sich Heinrich XIII. Prinz Reuss im Januar 2019 auf einer riesigen Leinwand. Live vor Ort trägt der damals 68-Jährige einen klassischen Businessanzug, als er über den Niedergang der «blaublütigen Elite» spricht. Seine Rede ist mit antisemitischen Verschwörungsmythen gespickt: Rothschilds, Freimaurer und obskure Finanzmächte hätten die grossen Kriege und Revolutionen der Geschichte angezettelt, um eine neue Weltordnung zu etablieren. Reuss wünscht sich feudale Verhältnisse zurück.
Das Märchen erzählt der Prinz nicht im Keller seines Thüringer Jagdschlosses, sondern an der Technologie- und Wirtschaftskonferenz Worldwebforum im Zürcher Eventlokal Stage One – auf der grossen Bühne, wo zuvor auch der damalige Finanzminister Ueli Maurer und Nationalbankdirektorin Andréa Maechler aufgetreten sind. Nach offiziellen Angaben besuchten 1500 Kaderleute aus Wirtschaft, Politik und Technologie den Anlass. Zu den Partnern zählten SRF, Tamedia und Ringier. Die Livestreams von «Blick» und «20 Minuten» verfolgten laut Veranstaltern über eine halbe Million Zuschauer:innen.
Im Nachgang war den Medien die Rede damals keine Zeile wert. Sie wäre unwidersprochen verhallt, wäre Prinz Heinrich nicht vor zwei Wochen bei einer spektakulären Grossrazzia verhaftet worden. Er soll mit einer Schar von Reichsbürger:innen einen Putsch geplant haben, um Regent von Deutschland zu werden. Es wäre der Vollzug seiner in Zürich vorgestellten Vision gewesen, die nun – drei Jahre später – für Diskussionen sorgt. Wie aber war der verhinderte Putschist an eine Konferenz für die Tech- und Wirtschaftselite gekommen? Für eine Erklärung muss man einige Jahre zurückreisen.
Effekt und Attitüde
2015 gründete der Softwareunternehmer Fabian Hediger mit Partnern die Worldwebforum Beecom AG. Dank seines Netzwerks im kalifornischen Silicon Valley fanden hochkarätige Referent:innen nach Zürich. Das beeindruckte. Mit dem von Ringier-CEO Marc Walder initiierten Projekt «Digital Switzerland» – damals noch «Digital Zürich 2025» – stieg bald das grosse Business ein. Hediger blieb Präsident des Verwaltungsrats, 2016 wurden ihm aber drei Leute von Walders Projekt zur Seite gestellt, darunter FDP-Ständerat Ruedi Noser. Der Informatikunternehmer, der noch 2019 neben Vertretern von Novartis, McKinsey und der Hochschule Luzern im fünfköpfigen Gremium gesessen hatte, reagierte auf eine Anfrage zu seinem Einfluss nicht.
Auch Hediger liess mehrere Anfragen unbeantwortet. Sein Worldwebforum dürfte am Ende sein, mittlerweile ist er einziger Verwaltungsrat des defizitären Unterfangens. Die offizielle Nummer führt zu seinem früheren Softwareunternehmen Beecom, das heute anders heisst und nichts mehr mit der Konferenz zu tun haben will. Die einstigen Veranstalter des Worldwebforums würden sich bedeckt halten, sagt ein Mitarbeiter der Firma am Telefon.
Das war mal ganz anders: Hediger liess keine Gelegenheit aus, um sich als unkonventioneller Kopf zu präsentieren. Wichtig waren ihm Effekt und Attitüde. Das zeigte sich bereits im Jahr nach dem Prinzenauftritt erneut. 2020 sprach Roger Hallam auf der Hauptbühne des Worldwebforums. Der schrille Gründer von Extinction Rebellion mahnte, die Businessleader müssten den «Genozid an der kommenden Generation» verhindern, nachdem er rund zwei Monate zuvor den Holocaust kleingeredet hatte. Hediger behauptete, man habe die Einladung an Hallam bereits vor Bekanntwerden des Skandals verschickt.
Nur die Stärksten überleben
Prinz Reuss hingegen soll kurzfristig eingesprungen sein, wie die NZZ aus Kreisen der damaligen Organisatoren erfahren hat. Die digitalen Spuren zum verhinderten Putschisten sind mehrheitlich getilgt, dennoch lässt sich rekonstruieren: 2019 war Sascha Zahnd, enger Mitarbeiter von Elon Musk bei Tesla, als Redner am Worldwebforum abgesprungen. Die Einladung von Reuss war jedoch kein Zufall: Sein Thema, der Abstieg der adligen Herrscher:innen, passte gut zum Konferenzmotto «Master or Servant». Die Werbebroschüren und Onlinebanner des Anlasses zeigen Armeen von Soldaten, Robotern und Priestern im Gleichschritt. Hediger beeilte sich im Nachgang, die martialischen Sujets zu relativieren, nachdem bereits im Jahr zuvor der Slogan «End of Nation» mit ähnlicher Ästhetik Referent:innen verschreckt hatte.
Die Bildsprache dürfte einer Melange aus Hedigers Punkrockattitüde und der Ideologie eines Teils der Szene der Techfuturisten geschuldet sein. Das Milieu kommt selten ohne Adjektive wie «disruptiv», «revolutionär» oder «radikal» aus – um Investorinnen und Kunden zu gewinnen, aber auch, weil man an das utopische Potenzial der eigenen Technologie glauben will. So auch HSG-Betriebswirt Hediger, der den helvetischen Peter Thiel aber eher mimte, als dass er geschulter Ideologe wäre. In Interviews zumindest verwickelte er sich wiederholt in eklatante Widersprüche. Dennoch sprach er 2019 von einer technologischen Revolution, in der nur die Stärksten überlebten und das alte Establishment untergehe. Man könnte seine Vision auch als technologisch verbrämten Feudalismus bezeichnen.