St. Galler Tagblatt: Die Sicherheitskräfte haben vom Neonazi-Konzert gewusst – handeln können sie erst, wenn strafrechtlich Relevantes vorliegt.
Angekündigt gewesen war ein familiärer Konzertabend in der Tennishalle von Unterwasser – mit Schweizer Nachwuchsbands und 600 bis 800 Besuchern. Gekommen sind am Samstag gegen 6000 Neonazis für ein Rechtsrock-Konzert. Rolf Züllig, Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann, beteuerte gestern, vom Inhalt der Veranstaltung nichts gewusst zu haben. Die Gemeinde sei überrumpelt worden. Anders hat es bei der Kantonspolizei St. Gallen ausgesehen. Wie Recherchen unserer Zeitung ergeben haben, hatte die Polizei im Vorfeld Informationen vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhalten. «Der NDB und die Kantonspolizei St. Gallen wussten, dass ein Rechtsrock-Konzert im süddeutschen Raum geplant war», sagt Gian Andrea Rezzoli, Mediensprecher der Kantonspolizei. «Süddeutschland» stand auch auf dem Flyer, der für das Konzert geworben hatte. Aus Erfahrung habe man auch gewusst, dass der effektive Austragungsort bei solch rechtsradikalen Veranstaltungen oft von dem angegebenen abweiche, sagt Rezzoli. «Wir haben aber bei unseren Ermittlungen nicht herausgefunden, ob das Konzert in der Schweiz stattfindet oder nicht.» Erst am Samstagnachmittag gegen 15 Uhr habe die Polizei durch die zahlreich anreisenden Konzertbesucher nach Unterwasser vom eigentlichen Veranstaltungsort erfahren. Daraufhin habe man mit Gemeindepräsident Züllig Kontakt aufgenommen und sich bei ihm erkundigt, ob eine Bewilligung vorliege. Dies sei der Fall gewesen.
Überschreiten der Grenze
war nicht illegal
Nach wie vor offen ist, wie busweise Neonazi-Anhänger die Staatsgrenze überqueren konnten, ohne dass bei den Sicherheitskräften die Alarmglocken geschrillt haben. Weder das Polizeipräsidium Konstanz noch die Bundespolizeidirektion Stuttgart wollen auch gestern noch vom Neonazi-Treffen gewusst haben. «Das läuft alles über konspirative Kreise in den sozialen Medien ab», sagt Fritz Bezikofer, Pressesprecher der Polizeidirektion Konstanz. «Solche Treffen gibt es jedes Jahr mehrere im südlichen Teil von Baden-Württemberg.» Auch Steffen Zaiser, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart, hat vom Toggenburger Treffen «nichts gehört, geschweige schon vorher davon gewusst».
Hätte es an der Grenze Verstösse gegen deutsches Strafrecht gegeben, «wären etwa rechtsnationale Parolen skandiert worden, wären wir eingeschritten». David Marquis, Mediensprecher der Eidgenössischen Zollverwaltung, präzisiert: «Illegal wird das Überschreiten der Grenze erst, wenn jemand bereits zur Fahndung ausgeschrieben ist» oder verbotene Gegenstände wie gewisse Flyer, Bücher, Ton- oder Filmaufnahmen mit sich führe – einmal abgesehen von Waffen, Sprays oder Schlagringen. «Nur auf die Vermutung hin, dass jemand an einem Konzert einen Hitlergruss machen könnte, können wir niemanden an der Grenze verhaften», sagt Marquis. Ins gleiche Horn stösst Mediensprecher Rezzoli: Die Grenzwachtkorps seien informiert gewesen und hätten durchaus Kontrollen durchgeführt, sagt er. Ohne Gesetzesverstoss könne aber niemand an der Einreise in die Schweiz gehindert werde.
Gemeinde prüft
rechtliche Schritte
Der Neonazi-Auflauf in Unterwasser soll der grösste derartige Anlass gewesen sein, der je in der Schweiz stattgefunden hat. Gemeindepräsident Rolf Züllig ist daher derzeit bei den Medien gefragt: «Mein Telefon läutet ununterbrochen.» Von überall her erreichen ihn Anfragen, auch deutsche Medienhäuser interessierten sich plötzlich für das beschauliche Toggenburg.
«Im Nachhinein kann man wohl sagen, dass wir etwas naiv gehandelt haben.» Züllig betont aber auch, dass in seiner Gemeinde stets viele Veranstaltungen stattfänden. «Ich gehe nicht automatisch davon aus, dass bei einem Event eine rechtsextreme Organisation dahinterstecken könnte.» Dass das Toggenburg nun mit Neonazis in Verbindung gebracht werde, sei äusserst unangenehm, sagt Züllig weiter. «Man tut der Region unrecht, wenn man sie als Nährboden für Rechtsextremismus darstellt.»
Wieso ausgerechnet Unterwasser als Veranstaltungsort ausgesucht worden sei, kann Züllig nicht sagen. Pikant ist: Bereits vor drei Jahren hatten sich im Obertoggenburg – damals in Ebnat-Kappel – Neonazis zu einem Gedenkanlass getroffen. Derzeit prüft die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann rechtliche Schritte gegen den Veranstalter. «Schliesslich haben wir die Bewilligung nur aufgrund falscher Angaben erteilt.» Als rechtliche Basis diene das Gastwirtschaftsgesetz, das aber nur beschränkte Sanktionen vorsieht. «Es gibt höchstens ein paar hundert Franken Busse», sagt Züllig. Darüber hinaus sei die Gemeinde im Gespräch mit der St. Galler Staatsanwaltschaft. Untersucht würden die Liedinhalte der aufgetretenen Bands, die Namen tragen wie Stahlgewitter, Frontalkraft oder Amok. In Deutschland sind die Texte verboten. «Wie das in der Schweiz ist, weiss ist nicht», sagt Züllig. Die Rechtslage werde daher geprüft.
Wenn es sich nachweisbar um einen Anlass von und mit Neonazis gehandelt hat, bleibt die Frage: Warum wurde die Veranstaltung nicht abgebrochen? «Es waren 6000 Besucher vor Ort. So einfach wäre das nicht gewesen», sagt Züllig. Das nötige Dispositiv hätte so schnell nicht erstellt werden können. Ausserdem hätte eine grosse Präsenz von Polizisten in der Tennishalle wohl negative Auswirkungen gehabt, mutmasst der Gemeindepräsident. Auch bei der Kantonspolizei St. Gallen «hat ein Abbruch des Konzerts nie zur Diskussion gestanden».
Von «Privatanlass» kann keine Rede sein
Rassismus-Strafnorm Dass Rechtsextreme schnell einmal mit der sogenannten Rassismus-Strafnorm in Konflikt kommen können, liegt in der Natur der Sache. Denn diese Strafnorm – Artikel 261bis des Strafgesetzbuches – schützt die Würde des Menschen – unabhängig von Rasse, Ethnie und Religion.
Ihr genauer Wortlaut: «Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind, wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Dabei handelt es sich um ein Offizialdelikt, also eine Straftat, die die Strafverfolgungsbehörde von Amtes wegen verfolgen muss, wenn sie ihr zur Kenntnis gelangt.
Was «öffentlich»
genau bedeutet
Das Wort «öffentlich» ist von Bedeutung: Nicht gegen die Rassismus-Strafnorm verstösst nämlich, wer rassendiskriminierende Äusserungen oder Handlungen im privaten Bereich vornimmt. Was aber gilt rechtlich als privat? Privat ist, was in einem Umfeld erfolgt, «das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen auszeichnet» – also etwa der Familien- und Freundeskreis.
Der Rechtsrock-Anlass in Unterwasser nun wird da und dort als «Privatanlass» bezeichnet, und in dieser Bezeichnung schwingt mit, allfällige rassistische Äusserungen und Handlungen der in der Halle Anwesenden fielen nicht unter die Rassismus-Strafnorm. Dies trifft jedoch nicht zu, wie das Bundesgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2004 klar festhält.
Die Argumentation des höchsten Gerichts: Wenn an einer solchen Veranstaltung Personen anwesend seien, zu denen keine persönliche Bindung und kein Vertrauensverhältnis bestehe, seien dort gemachte rassistische Äusserungen im Sinne der Rassismus-Strafnorm strafbar. Das gelte auch für Treffen von Rechtsextremen, denn lediglich die gemeinsame rechtsextreme Gesinnung schaffe noch kein Vertrauensverhältnis. Das Urteil sagt zudem, dass es auch nicht ausreicht, ein Treffen von Rechtsextremen als privaten Anlass zu verstehen, nur weil die Gäste persönlich eingeladen wurden und die Organisatoren Eingangskontrollen durchführten.
Wie steht es nun mit dem Event in Unterwasser, der nach Urteil des Bundesgerichts demnach nicht als privat gelten kann? Gab es Äusserungen oder Handlungen, die als Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm gelten müssten? Laut Gian-Andrea Rezzoli, Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, hat die Polizei vor Ort angeblich «nichts feststellen können, das in diesem Sinn rechtlich von Relevanz gewesen wäre».