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Wo Katholizismus und Schwerter auf rechtsextreme Ideen treffen.
Im vergangenen November schreiten zwölf Männer in Zweierreihen über einen Schulhof in Südfrankreich. Zehn sind in weiße Roben gehüllt, zwei tragen schwarze Hosen und weiße Hemden. Sie betreten eine kleine Kapelle und verneigen sich nacheinander vor dem Altar. Vorne ist ein Schwert aufgestellt, von einem Kreuz blickt Jesus auf sie herab. Die Männer gehören zur Faternité des Templiers Catholiques du Monde, dem Orden der katholischen Templer der Welt. Sie sind an diesem Novemberwochenende in einer Privatschule auf den Hügeln des Städtchens Puy-en-Velay für ein Templer-Retreat zusammengekommen.Anzeige
Der Orden gehört zu den sogenannten Gruppen der Neotempler, die der katholischen Eliteeinheit aus dem Mittelalter nacheifern. Die ursprünglichen Tempelritter bestanden von der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zu ihrer Auflösung 1312 und waren maßgeblich an den Kreuzzügen gegen Muslime beteiligt.
Sobald alle ihren Platz in der Kapelle eingenommen haben, ergreift Alain das Wort. Er ist der Großmeister des Ordens. „Das Ziel dieser Miliz ist es, die katholische Kirche zu schützen“, sagt er. “Die Brüder müssen bereit sein, alles dafür zu tun.” Dann heißt Alain die Brüder Dominique und Raphaël willkommen, zwei Novizen.
Bruder Willy, eine imposante Gestalt mit Glatze und langem Bart, verbindet Dominique die Augen. Er führt den ehemaligen Sozialarbeiter vor den Altar und bittet ihn, sich niederzuknien. Dann soll er seine Hand auf eine Bibel legen und der katholischen Kirche die Treue schwören. „Herr, ich stehe hier vor Gott, vor euch und vor meinen Brüdern, um euch und Gott darum zu bitten, von eurer Gemeinschaft aufgenommen zu werden“, sagt Dominique. Dann wird Dominique von Alain zum Ritter geschlagen und von Willy in einen weißen Umhang gehüllt.
Als Nächstes steht die Segnung der Schwerter an. Bruder Patrick, ein ehemaliger Polizist aus Brüssel, trägt ein Schwert nach vorne vor den Altar und kniet sich nieder. Pater Philippe, der Ordenspriester, wendet sich der Klinge zu: „Wir bitten dich, Herr, mit deiner rechten Hand dieses Schwert zu segnen, mit dem dein Diener Patrick umgürtet werden möchte, dass er Kirchen, Witwen und Waisen verteidige.“ Patrick blickt stolz auf sein Schwert.
Alain hat den Orden der katholischen Templer der Welt 2019 gegründet. Der ehemalige Berufsmusiker sagt, er habe sich zuerst italienischen Templer-Orden angeschlossen, bevor er seinen eigenen gründete. Dieser umfasst inzwischen 40 Männer aus Frankreich und dem Ausland. Alain berichtet von Mitgliedern in Belgien, Kanada und der Ukraine. Viele der Brüder sind ehemalige Soldaten, Polizisten oder Sicherheitsmänner. Die hierarchischen Strukturen und der männliche Korpsgeist haben sie angezogen.
Für andere liegt der Reiz am Neotemplertum in dem erklärten Ziel der Gruppe, wahre christliche Werte zu verteidigen – oder dem, was sie dafür halten. Christliche Werte, die laut der Gruppe zurück bis ins Mittelalter reichen und die sie von der Moderne bedroht sehen.
Während einige Templer angeben, unpolitisch zu sein, halten andere ihr tiefe Abneigung gegenüber Islam, Feminismus und Freimaurern nicht zurück. Einer von ihnen ist Hervé, ein ehemaliger Manager der Supermarktkette Monoprix. Heute ist er der Seneschall des Ordens, eine Art oberster Verwalter. Früher am Tag hatte er darauf bestanden, uns zu einer Buchhandlung zu bringen, „eine rechtsextreme, faschistische Buchhandlung“, wie er sagt.
Eine Woche davor fand dort eine Konferenz statt, zu der auch der Rechtsextremist Yvan Benedetti eingeladen war, der mehrmals wegen antisemitischer Äußerungen aufgefallen ist. Daraufhin hatte jemand einen Pflasterstein durchs Schaufenster geworfen. Auf die provisorischen Spanplatten hat jemand ein Hakenkreuz und das Wort „Fascho“ gesprüht.
Im Laden zeigt Hervé auf die Bücher in den Regalen und ruft mit einem seltsam ironischen Ton: „Und das hier, ist das rechtsextrem?“ In den Regalen stehen Werke von rechten und antisemitischen Autoren wie Alain Soral oder dem Nazikollaborateur Robert Brasillach.
Für Hervé, der sich als Nachfolger von Alain sieht, ist der Orden vor allem ein Zusammenschluss von Aktivisten. „Es gibt auch eine politische Seite“, sagt er. Seine Begeisterung für den rechten Verschwörungsglauben vom großen Austausch versteckt er gar nicht erst. Nach dieser rassistischen Erzählung sollen weiße Europäer durch Menschen anderer Ethnien ersetzt werden. „Wir steuern auf einen Bürgerkrieg zu“, sagt er. „Und ich bin im Widerstand.“
Ähnlich wie Hervé haben auch andere Mitglieder des Ordens das Gefühl, dass das Christentum bedroht ist – und dass es nötig ist, gegen den Islam zurückzuschlagen. „Wir sind hier auf christlichem Boden. Das ist nicht der Islam“, sagt Bruder Jean-Batiste während des Retreats zu uns.
Die Templer sind so überzeugt von ihrem Kampf, dass sie behaupten, in ganz Frankreich Milizen etabliert zu haben. Ihre Männer würden sich jetzt in Kirchen postieren und die Gemeinden beim Gottesdienst beobachten. „Wenn wir da gewesen wären, wäre die Sache mit Pater Hamel nie passiert“, sagt Alain. Damit spricht er den Mord an dem französischen Priester an, der 2016 von zwei IS-Anhängern während einer Messe getötet wurde.
Aus diesem Grund will Alain neue Mitglieder rekrutieren. Nach seinen Berechnungen brauche er 76.000 Templer, um jede Kirche in Frankreich zu beschützen. Noch ist er ziemlich weit von seinem Ziel entfernt, aber Alain sagt, dass die Neotempler-Orden immer beliebter werden. 2020 habe er mehr als 150 Bewerbungen erhalten, sagt er.
Aber Alain hat hohe Standards. „Die Kandidaten wenden sich am Ende weniger anspruchsvollen Gruppen zu, denen es weniger um den Respekt der wahren Templer-Regeln geht“, sagt er. Er wolle nur spirituell motivierte Kandidaten. „Templer-Orden ziehen häufig Wahnsinnige an“, sagt Alain, „aber wir machen das hier wegen Respekt und Ehre“.
Bruder Willy, ein ehemaliger Soldat, stimmt ihm zu. „Wir können es uns nicht leisten, Extremisten aufzunehmen“, sagt er. Ihm und Alain scheint es wichtig zu sein, ein seriöses Bild abzugeben. „Ich sage den anderen, dass sie vorsichtig sein sollen, was sie auf Social Media posten. Wir werden alle beobachtet.“
Stéphane François, Politikwissenschaftler und Experte für die extreme Rechte an der Université de Mons in Belgien, sagt: „Die Templerfantasie ist seit Ende des 19. Jahrhunderts weit verbreitet.“ Anfangs wurde sie von Freimaurern mit Hang zum Okkultismus und Esoterik wie den Rosenkreuzern aufgegriffen, später begannen rechte Gruppen, sich darauf zu beziehen. Der 1900 gegründete Neutempler-Orden des selbsternannten Ariosophen Jörg Lanz von Liebenfels gilt als ein ideologischer Vorläufer der NSDAP.
„Die Templer sind ein elitärer Orden, der gleichermaßen religiös wie militärisch ist“, sagt François. „Aufgrund der verbreiteten Vorstellung, dass die Tempelritter den christlichen Westen gegen die Sarazenen im Osten verteidigten, also die Muslime, haben sie starke Symbolwirkung.“ Für den Politikwissenschaftler bauen die modernen Neotempler im Kontext des aktuellen politischen Klimas in Frankreich genau auf dieses verkürzte Bild des Orden auf. „Mit der Verharmlosung rechtsextremer Diskurse sehen wir einen Zuwachs bei diesen rassistischen Gruppen“, sagt er.
Aber die Neotempler und ihre Symbole sind nicht nur in Frankreich verbreitet, sie werden von Rassisten und Antisemiten auf der ganzen Welt verwendet. Der norwegische Terrorist Fjotolf Hansen, besser bekannt unter seinem alten Namen Anders Behring Breivik, schmückte die Titelseite seines Manifests mit dem Templerkreuz und widmete dieses dem Orden. Auch der Attentäter von Christchurch verwies in seiner Erklärung mehrmals auf die Tempelritter.
Symbole der Templer sind außerdem in rechten Kontexten auf der ganzen Welt zu sehen: von der Unite-the-Right-Kundgebung in Charlottesville 2017 über Pro-Bolsonaro-Demos in Brasilien oder Treffen der English Defence League bis hin zu Online-Plattformen wie Stormfront, 4chan und 8chan. Im Januar 2020 posierte auch Donald Trump Jr. mit einem Maschinengewehr mit Tempelritterverzierung auf seinem Instagram-Profil.
Es ist Samstagabend in Puy-en-Velay und die Templer essen in der Schulkantine. Es gibt Hachis Parmentier, Würstchen und Rotwein. Bruder Jean-Baptiste, der uns gegenübersitzt, begnügt sich mit einem Salat. Der Busfahrer ist seit einem Jahr Mitglied des Ordens. Er erzählt uns von seiner traumatischen Kindheit mit einer gewalttätigen und inzestuösen Mutter. Als Teenager habe er dann Gräber entweiht und Kirchenfenster eingeworfen. Die Offenbarung habe er dann 2019 mit dem Tod seiner Mutter gehabt.
„Sie hat Suizid begangen. Ihr Körper lag am Boden und ich sah ihre Seele aufsteigen. Ein Dämon kam und die Seele meiner Mutter kämpfte dagegen an. Plötzlich sah ich Jesus Christus vom Himmel herabsteigen, um ihre Seele zu holen. Er nahm sie und stieg mit ihr wieder auf.“ Dieses Erlebnis habe sein Leben verändert. „Seit jenem Tag gehöre ich nicht mehr mir selbst. Ich gehöre dem Herrn Jesus Christus und er ist es, der mich leitet.“
Später am Abend kommen die Templer für ein Gebet zusammen. Die Novizen müssen dabei stundenlang schweigend im Dunkeln stehen. Vor einem Jahr war Jean-Baptiste einer von ihnen. Seine Brüder erzählen, wie er während der Zeremonie unter Tränen zusammengebrochen sei. „Ich habe noch nie jemanden so weinen sehen“, sagt Bruder Thierry. „Es war schockierend, als würde er sich entleeren.“
Der ehemals schüchterne und zurückhaltende Busfahrer blühte in seiner neuen Gemeinschaft auf, wurde offener und glücklicher. Allerdings kommt mit diesem Verbundenheitsgefühl eine Abhängigkeit von anderen Templern einher, die in der Vergangenheit von manchen ausgenutzt worden sein soll.
Kurz nach dem Tod seiner Mutter nahm Jean-Baptiste sein Leben in die Hand und suchte sich einen Job. Bei einem Termin bei der Arbeitsagentur entdeckte er das Internet. Nach einer Woche hatte er sich in den Untiefen rechter YouTube-Kanäle verloren und stieß schließlich auf Alains Templerorden. „Das Internet ist das Werkzeug des Teufels, aber es hat mir erlaubt, meine Brüder zu finden“, sagt Jean-Baptiste.
Wie er haben viele Mitglieder den Orden über Facebook entdeckt. Laut Alain gibt es momentan allein in Frankreich rund 1.500 aktive Seiten von diversen Templergruppen. Diese Zahl bestätigt auch eine Quelle aus dem französischen Geheimdienst. Allerdings würden nicht alle davon als Bedrohung gesehen, so die Quelle. „Eine Großteil sind Geschichtsliebhaber und Reenactment-Fans. Die Zahl der Menschen, die die Templer wirklich zurückbringen wollen, ist hingegen klein. Das sind die, die wir im Auge behalten.“
Viele der Gruppen aus der letzten Kategorie stehen unter Beobachtung, aber der Orden, mit dem wir das Wochenende verbracht haben, gehört nicht dazu. Alains Gruppe ist den Geheimdiensten bekannt, aber wird nicht als gefährlich genug eingeschätzt. Das liegt auch daran, dass den Behörden die Ressourcen fehlen. „Für den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wurde sehr viel Geld bereitgestellt, für die Bekämpfung der extremen Rechten steht nicht ansatzweise so viel zur Verfügung“, so die Geheimdienstquelle. „Erst wenn etwas passiert, werden wir die Ressourcen haben, uns vernünftig mit ihnen zu beschäftigen.“
Rechtsextremismusexperte François sagt, dass esoterische Gruppen tendenziell verletzliche Menschen anziehen. Die hierarchischen Codes würden von Mitgliedern ausgenutzt, um schwächere Personen zu kontrollieren. „Viele haben Minderwertigkeits- oder Überlegenheitskomplexe, manche auch beides.“