«Wir glauben an die Magie des Bildes»

Basler Zeitung: Autoren des Romans «Bozzetto» wollen das Michelangelo-Werk dem Vatikan zurückgeben

BaZ:

Herr Beyeler, haben Sie den Bozzetto, den Michelangelo für die Sixtinische Kapelle gemalt hat, mit eigenen Augen gesehen?

Hermann Alexander Beyeler:

Ja, den habe ich selber gesehen.

Und wo?

B.:

In einem Zollfreilager in Zürich.

Sie behaupten, dass Sie schon einmal im Besitz dieses Bozzettos waren. Wie das?

B.:

De jure war ich Besitzer, aber nicht de facto. Ich habe den alten Besitzer zwar ausbezahlt, hatte aber trotzdem keinen Zugriff auf das Bild. Einem Mitbesitzer haben die vorherigen Eigentümer des Bozzettos leider ein Recht eingeräumt, das es mir verunmöglicht hat, das Kunstwerk zu übernehmen, ohne dass ich mich in einen langwierigen Rechtsprozess verwickelt hätte.

Und wo ist das Bild jetzt?

B.:

Immer noch in diesem Zollfreilager.

Damit sind wir schon mitten in der Geschichte Ihres Romans. Darin schildern Sie auch die heutigen, seltsamen Eigentumsverhältnisse. Wie realistisch ist denn Ihr Buch?

B.:

Das Buch ist in der vorliegenden Fassung vor allem ein Roman. Diesem liegen aber unsere eigenen Erlebnisse, die wir im Zusammenhang mit dem Bozzetto hatten, zugrunde.

Herr Schneeweis, Sie beschäftigen sich seit 25 Jahren mit dem Bozzetto von Michelangelo und haben darüber 1995 schon einmal ein Buch geschrieben. Wie weit ist das in den neuen Roman eingeflossen?

Gerd Schneeweis:

Gar nicht. Eingeflossen ist mein Wissen über den Bozzetto, den ich schon Ende der 80er-Jahre gesehen habe. Und durch das Zusammentreffen mit Herrn Beyeler ist dann die Idee für diesen Roman entstanden.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

S.:

Herr Beyeler hat über den Bozzetto recherchiert und ist dabei auf mein Buch gestossen. Er hat mich dann gefunden und wir haben unser Wissen zusammengetragen und dabei gemerkt, dass es Dinge gibt, die ich nicht wusste, und andere, die Hermann Beyeler nicht kannte. Dieses Zusammenkommen wird im Roman sehr genau beschrieben und ist keine Fiktion.

Und dann ging alles sehr schnell. In nur 16 Monaten haben Sie den 600-seitigen Roman geschrieben?

S.:

Daran sehen Sie nur, wie sehr uns dieses Thema fasziniert.

B.:

Wir haben aber auch Tag und Nacht gearbeitet.

Wie sah Ihre Arbeitsteilung aus?

B.:

Ich war zum Beispiel jeweils einige Tage bei Gerd Schneeweis in Linz und bin dann nach Hause gefahren, um mich dort mit einer bestimmten Passage weiter auseinanderzusetzen, und umgekehrt war er natürlich auch bei mir in Luzern oder Basel. Diese habe ich ihm dann wieder zum Lesen gegeben, und er hat das Ganze schliesslich in einen leserlichen Fluss gebracht. Es hätte keinen Sinn gemacht, wenn zwei Personen mit unterschiedlichen Stilen diesen Roman zusammen geschrieben hätten.

S.:

Dieses Buch ist nicht in einem Guss, sondern in Blöcken, in Handlungssträngen entstanden. Wir haben uns jeweils ein bestimmtes Thema vorgenommen, es zu Papier gebracht und sind dann das nächste Thema angegangen. Und zuletzt wurde alles miteinander verbunden. Nur dank dieser Arbeitsweise war die Realisierung möglich, sonst hätten wir über Monate hinweg beide Tag und Nacht zusammensitzen müssen.

Sie beide sind auch im Roman die Hauptfiguren. Vom Bozzetto sagen Sie, dass Sie ihn gesehen haben. Jetzt gibt es aber noch eine neofaschistische Gruppe, die dieses Bild behändigen will. Wie real ist das?

S.:

Das ist der Teil des Romans, bei dem wir uns hier am wenigsten weit aus dem Fenster wagen wollen. Die Geschichte vom Überleben Hitlers aus dem Führerbunker ist frei erfunden. Gesichert ist die Geschichte der Auffindung des Bozzettos in Paris, wo sich die Nazis auch andere Kunstwerke unter den Nagel gerissen haben. Und real sind ebenfalls Personen und Geschichten nach dem Krieg, den nicht wenige mit brauner Vergangenheit und viele Nazigrössen unbeschadet überstanden haben, die postwendend erneut in hohe, zum Beispiel politische Ämter aufgestiegen sind. Das ist eine unbestreitbare Tatsache, und diese ultrarechte Gruppierung gibt es bis heute leider tatsächlich. Wir haben uns dabei sehr stark an nachweisbare Fakten gehalten und dazu viele wissenschaftliche Quellen studiert. Doch wir wollten keine trockene Doktorarbeit, sondern einen spannenden Roman schreiben. Dabei vermischen sich natürlich Wahrheit und Fiktion.

Wieso spielt eine Neonazi-Gruppe im Roman eine solche Rolle?

S.:

Es ist erstaunlich, über welche Geldsummen rechtsnationale Gruppierungen verfügen. Das greifen wir im Roman eben auch auf.

B.:

Ich habe mich intensiv mit dem Faschismus und Nationalsozialismus beschäftigt, auch weil meine Mutter selber in einem Konzentrationslager war. Dabei fragte ich mich immer, wie so etwas möglich wurde und was aus den Werten all der Menschen geworden ist, die umgekommen oder verschollen sind. Goebbels und Himmler haben von einem Vierten Reich nach dem Dritten Reich gesprochen. Und jetzt gibt es jeden Tag mehr Anzeichen dafür, dass die rechtsradikale Gesinnung wieder wächst. Im Ostblock, aber auch bei uns. In Dresden habe ich Rechtsradikale kennengelernt, die über unglaubliche Geldreserven verfügen. Woher kommen diese Gelder? Meine These ist, dass sie seit dem Krieg gehortet worden sind. Auf jeden Fall ist der Rechtsradikalismus eine Macht, die immer stärker wird.

Und das greifen Sie im Roman auf?

B:

Ja, aber wir möchten künftig nicht mit Bodyguards herumlaufen müssen. Deshalb haben wir dieses These, die sich auf viele Beweise stützt, in einen Roman verpackt. Sich mit rechtsradikalen Kreisen anzulegen, ist sehr gefährlich. So ist die Wahrheit eben als Fiktion getarnt.

Wieso haben Sie sich selber in den Roman geschrieben?

B.:

Weil wir beide diese Dinge erlebt haben. Deshalb ist es auch keine Selbstverherrlichung. Eine Verschleierung der Personen hätte gar nichts gebracht. Das ist ja gerade das Verrückte an dieser Geschichte, dass sie in vielen Teilen wahr ist.

Wie sind die Reaktionen auf das Buch?

B.:

Die sind sehr gut. Wir warten jetzt bis Weihnachten ab, wie sich das Buch verkauft. Das Interesse in Frankfurt an der Buchmesse war gross. Eine deutsche Fernsehanstalt möchte sogar eine Serie produzieren. Im November werden wir darüber konkret verhandeln. Und auch Ideen für einen Film gibt es bereits. Ich habe sogar schon den Text für den Titelsong geschrieben. Das ist typisch für mich, ich denke bereits weiter und habe immer wieder neue Pläne.

S.:

Das Fachpublikum wie auch die breite Leserschaft haben den Roman sehr gut aufgenommen. Unser Stand an der Buchmesse ist förmlich überrannt worden und wir haben Hunderte Bücher verkauft. Es hätten auch viel mehr sein können, aber wir hatten zu wenig Bücher dabei.

Und den Bozzetto wollen Sie noch immer dem Vatikan schenken?

B.:

Die heutigen Besitzer versuchen das Bild zu verkaufen, aber es fehlt ihm noch die volle Anerkennung. Und diese kann nur durch den Vatikan erfolgen. Das wird der Vatikan meines Erachtens jedoch nie tun. Aber wenn ich das Bild kaufen und dem Vatikan schenken kann, wird es möglicherweise in einem Vorraum der Sixtina aufgehängt werden und ist damit an seinem Ursprungsort zurück. Ich werde alles daran setzen, dass der Bozzetto des Michelangelo nach Hause kommt.

Und Sie glauben auch an die magischen Kräfte dieses Bildes?

S.:

Wir glauben an die Magie dieses Bildes. Wir beide haben sie selber erfahren. Es ist tatsächlich mystisch.

Der Bozzetto von Michelangelo

Pratteln. Für sein berühmtes Werk «Das jüngste Gericht» in der Sixtinischen Kapelle nahe des Petersdoms in Rom soll Michelangelo einen Entwurf, einen sogenannten Bozzetto gefertigt haben. Der Geschichte dieses verschollenen Kunstwerkes gehen die beiden Autoren Hermann Alexander Beyeler und Gerd J. Schneeweis nach. Der Jurist und Schriftsteller Schneeweis beschäftigt sich seit 25 Jahren mit diesem Bozzetto und hat darüber bereits einmal ein Buch geschrieben. Der Unternehmer (Buss-Areal Pratteln), Kunstsammler, Galerist und Mäzen Beyeler möchte das Werk dem Vatikan zurückgeben. Der Roman «Bozzetto» ist im Verlag Weissbooks erschienen.