«Wilhelm Tell» als Bundesfeier auf dem Rütli

NeueZürcherZeitung

Rechte Szene sieht sich um traditionellen Auftritt geprellt

Keine Bundesfeier, sondern eine Aufführung des «Wilhelm Tell» für zahlende Besucher: Das 1.-August-Programm auf dem Rütli ist dieses Jahr völlig anders gestaltet. Die rechte Szene, die jeweils die grösste Gruppe bei der traditionellen Bundesfeier in der Urschweiz stellt, versammelt sich in Brunnen.

Es gehört seit Jahren zur Tradition, dass am 1. August auf dem Rütli eine Bundesfeier stattfindet. Diese wird jeweils von einem jährlich neu zu bestimmenden Urkanton organisiert, der auch den politischen Festredner stellt. In diesem Jahr ist alles anders. Es gibt am Nachmittag keine Bundesfeier auf dem Rütli. Im Zentrum steht ab 16.30 Uhr die von Lukas Leuenberger produzierte Aufführung von Schillers «Wilhelm Tell» durch das Deutsche Nationaltheater Weimar, die von einer halbstündige Feier eingeleitet wird. Nach den Klängen der Musikgesellschaft Brunnen wird Judith Stamm, Präsidentin der Rütli-Kommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, eine kurze Begrüssungsansprache halten.

Anschliessend richtet Stefan Märki, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, ein «Wort der Freude und des Dankes» an die Festgemeinde. Vorgesehen ist abschliessend ein «gemeinsames Singen des Schweizerpsalmes». Besucher ohne Karte für die Theateraufführung – die Preise liegen zwischen 38 und 118 Franken – sind gehalten, das Rütli ab 12 Uhr zu verlassen. – Zur Idee, an diesem 1. August den «Wilhelm Tell» zu geben, statt eine Bundesfeier abzuhalten, führten laut Judith Stamm zwei Überlegungen. Zum einen spiele das Weimarer Theater auch an den anderen Sonntagen um 16 Uhr das Drama von Schiller auf dem Rütli. Die Rütli- Kommission sei zum Schluss gekommen, dass dies eine gute Gelegenheit sei, die Festveranstaltung statt der Bundesfeier abzuhalten, die jeweils um 15 Uhr beginnt. Zum andern würde sich an dem kleinen Ort zu vieles zusammendrängen, wenn beide Anlässe gleichzeitig stattfänden, weil auf der Rütliwiese eine grosse Tribüne und verschiedene Skulpturen stehen. Angesichts der 2500 Theaterbesucher und der jeweils 1300 Teilnehmer der Bundesfeier, die mit Schiffen von Brunnen her transportiert werden, liessen sich beide Anlässe zusammen logistisch nicht bewältigen.

Stilles Gelände am See?

So gross das nationale Interesse an der Theateraufführung auf dem Rütli ist, so klein scheint bis jetzt die Aufregung darüber zu sein, dass die Rütliwiese am 1. August der Öffentlichkeit nur bis 12 Uhr zur Verfügung steht. Ende Mai hatte sich der «Sonntags-Blick» des Themas angenommen, eine Online-Abstimmung in der Leserschaft durchgeführt und schon im Titel die provozierende Feststellung lanciert: «Gaht s no! 1.-August-Feier auf dem Rütli kostet Eintritt». Die eingegangenen negativen Antworten reichten jedoch nicht aus, einen Volkszorn zu belegen. Judith Stamm sagt, sie erlebe vielmehr Leute, die es toll fänden, dass man am 1. August den «Tell» auf dem Rütli sehen könne. Stamm zeigt Verständnis dafür, dass man sich daran stört, und führt dies auf zwei Haltungen zurück, die seit langem das Rütli als symbolischen Ort begleiten. Auf der einen Seite gebe es die Vorstellung, wonach das Rütli eine beschauliche Wiese sein soll bis ans Ende der Tage. Auf der anderen Seite habe die Rütliwiese schon einiges hinter sich, wie etwa den Rütlirapport. In diesem Rahmen vertrage es auch eine Theateraufführung.

Gepolter in der rechten Ecke

Explizit gegen die Schliessung des Rütlis wendet sich einzig die rechte Szene, die sich darüber aufregt, dass «Patrioten» am 1. August auf dem Rütli unerwünscht seien. Angesichts der Eintrittspreise stellt die «Partei national orientierter Schweizer» (PNOS) auf ihrer Homepage fest, «der einfache Schweizer» solle am Nationalfeiertag dem Rütli fernbleiben, weil «die Regierenden eine Riesenangst» davor hätten, dass sich «das Volk zum alten Kampfgeist der Eidgenossen» zurückbesinne. Zusammen mit andern Gruppierungen ruft die PNOS dazu auf, sich um 11 Uhr in Brunnen zu treffen und wie jedes Jahr zahlreiche Kantons- und Schweizer Fahnen mitzubringen. Der Journalist Hans Stutz, der die rechte Szene seit Jahren beobachtet, erwartet rund 500 Besucher aus diesem Lager, ungefähr gleich viele wie letztes Jahr. Das Spektrum reiche von Patrioten, militanten Nationalisten bis zu Neonazis.

Ein Brennpunkt für die Ordnungshüter wird deshalb wie in den Vorjahren Brunnen sein, wo die Schwyzer Polizei zuständig ist, während das Rütli auf Urner Gebiet liegt und dort die Urner Polizei für Ruhe zu sorgen hat. Man werde versuchen, die Urner und die Schwyzer Polizei mit Aufgeboten aus andern Innerschweizer Polizeikorps im Rahmen des Polizeikonkordats zu verstärken, sagt Karl Egli, Mediensprecher der Urner Polizei, die auf dem Rütli im selben Rahmen präsent sein wird wie in den Vorjahren. Wie wird die Polizei reagieren, wenn viele Leute ohne Eintrittskarte kurz vor 12 Uhr auf das Rütli wollen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Schwyzer Kantonspolizei laut Sprecher Florian Grossmann. Die Antwort ist noch nicht klar. Die Möglichkeit, dass die Gruppierungen kurzfristig umorganisieren und an einen andern Ort ausweichen, um sich zu besammeln, sei gross, sagt Hans Stutz.