20 Minuten. 20-Minuten-Leser Enrico Bernasconi ärgert sich über die Migros. Ein Soziologie-Professor warnt vor zu viel Aktionismus.
Darum gehts
- Die Migros strich einen «Mexikaner» von der Glace-Verpackung.
- Ein Leser findet die Entwicklung bedenklich.
- Beim Schweizer Mexiko-Verein nimmt man die Diskussion gelassen.
Die Migros hat auf der Verpackung des Cowboy-Wasserglaces eine stereotypisierende Abbildung eines «Mexikaners» mit Sombrero, Schnauz und Gewehr durch einen Cowboy ersetzt (siehe Bildstrecke). Das erinnert an die ZVV, die einst Verbotskleber mit musizierenden Mexikanern nach Protesten entfernte.
News-Scout Enrico Bernasconi ärgert sich darüber. Nach den Debatten um Winnetou oder über die Benennung von Schokokuss oder Paprikaschnitzel habe ihm das Migros-Glace den Rest gegeben, sagt er zu 20 Minuten. «Das ist völliger Irrsinn. Ich glaube nicht, dass sich Mexikaner durch die Abbildung gekränkt fühlen.»
Die Entwicklung sei bedenklich. «Es werden künstlich Probleme geschaffen von Leuten, die es eigentlich gar nicht betrifft. Wir müssen aufpassen, dass dieser Aktionismus nicht zu weit geht.» Sonst könne bald auch noch der Begriff «Wienerli» unangebracht sein, weil sich jemand aus Wien dadurch gekränkt fühlen könnte.
«Die neue Verpackung passt besser»
Laut der Migros fand der Verpackungswechsel mit der Einführung der Nährwertkennzeichnung Nutri-Score bereits im Sommer 2021 statt. Feedback der Kundschaft habe es seither nicht gegeben.
Beim Verpackungswechsel entschied sich die Migros laut Sprecher Tristan Cerf auch dazu, den zwielichtigen Charakter einiger Figuren zu ändern, sie entfernte daher etwa eine Waffe und eine Flasche, die man als Whiskey interpretieren könnte.
Auf die Frage, warum die Migros die Figur mit Sombrero durch einen Cowboy austausche, sagt Cerf: «Das Eis heisst Cowboy und nicht Bandidos. Die neue Verpackung passt daher besser.» Ebenfalls ein neues Design gab es für die Glace-Sorte Alaska, auf deren Verpackung aber weiterhin Inuits abgebildet sind, die als stereotypisierend wirken (siehe Bildstrecke). Die Migros weist darauf hin, dass ihre Kundschaft auf der Migipedia-Webseite Vorschläge für neue Verpackungs-Designs machen kann.
Mexikaner sehens gelassen
Beim Verein Viva México Bern glaubt man nicht, dass das Stereotyp bei Menschen aus Mexiko zu einer Kränkung führe – weder seine Verwendung noch seine Entfernung von der Glace-Verpackung: «Man muss so etwas immer im Kontext sehen», sagt Vereinspräsident Alex Gertschen zu 20 Minuten. Er lebte jahrelang als Korrespondent in Mexiko, arbeitet nach wie vor in Lateinamerika und ist mit einer Mexikanerin verheiratet.
«Die Natur, Kultur und natürlich die Menschen selbst verschaffen Mexiko hierzulande ein positives Image. Deshalb dürften sich Mexikanerinnen und Mexikaner in der Schweiz über ein solches Bild nicht aufregen», so Gertschen. In den USA wäre das wohl anders, weil das Image von Mexiko dort schlechter, die Beziehung zwischen den Ländern komplizierter sei.
Soziologie-Professor Elisio Macamo von der Uni Basel zeigt Verständnis für den Frust des Lesers, sagt aber auch: «Ich finde es gut, wenn man Mühe damit hat, das gibt uns die Möglichkeit, uns über die Geschichte zu unterhalten und uns darüber auszutauschen, wie andere von uns gesehen werden möchten.»
Die Gesellschaft sei gegenüber Stereotypen, die als rassistisch wahrgenommen werden könnten, empfindlicher geworden. «Deshalb können wir heutzutage bestimmte Aussagen nicht mehr machen, die vor 20 Jahren noch normal waren. Das zeugt auch von einer ethischen Entwicklung», so Macamo.
Neues Logo fürs Winnetou-Glace
Trotz der Winnetou-Debatte um kulturelle Aneignung will der Winnetou-Glace-Hersteller Froneri den Namen des Glaces nicht ändern. Das Glace gebe es seit über 40 Jahren und sei eine Kultmarke geworden, heisst es in einer Mitteilung von August. Man sei sich aber der sozialen Bewegungen bewusst und wolle entsprechend handeln. Deshalb passt Froneri das Logo an. Das Gesicht eines amerikanischen Ureinwohners mit Federschmuck ersetzt der Hersteller mit einer Abbildung von zwei Federn.
Die Migros müsse selber entscheiden, ob sie sich sensibel zeige und Dinge entferne, die Menschen stören könnten. Der Soziologie-Professor warnt aber auch vor zu viel Aktionismus, bei dem die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird.
Die Gefahr, dass bald auch der Ausdruck «Wienerli» unangebracht ist, sieht er aber nicht. «Es ist ein Unterschied, ob sich Schweizerinnen und Schweizer über Menschen aus Österreich äussern oder aus Afrika, Lateinamerika und Asien, weil es in der Geschichte ungleiche Machtverhältnisse durch die Kolonisation gab», so Macamo.