Wie Neonazis Corona-Demos unterwandern

Sonntagszeitung.

Erstmals nahm eine ganze Gruppe Rechtsextremisten an einem Protest gegen den Lockdown teil. Die Organisatoren hatten keine Ahnung davon.

Die Neonazis haben ihre Glatzen zum Teil unter Kappen oder Baseballmützen versteckt. Sie geben sich als harmlose Demonstranten, die am 1. März, einem Montagabend, im thurgauischen Weinfelden gegen den Lockdown protestieren. Sie stehen in kleinen Gruppen herum und applaudieren Rednern, die ein sofortiges Ende der Corona-Einschränkungen fordern.

Von den etwa 80 Demonstranten sympathisiert schätzungsweise ein knappes Dutzend mit den Rechtsradikalen, unter ihnen auch ein oder zwei Frauen. Sie alle geben sich Mühe, nicht negativ aufzufallen. Die Organisatoren sollen nicht erfahren, dass Neonazis ihre Demonstration unterwandern.

Impfgegner und Verschwörungstheorien

Lockdown-Proteste – und zwar nicht nur in Weinfelden – haben mit rechtsextremen Ideen eigentlich nichts am Hut. Viele Demonstranten kommen aus der alternativen und esoterischen Szene, sie lassen sich nicht ins rechte Spektrum einordnen. Und in Corona-Diskussionsforen auf dem Messengerdienst Telegram bläst Antisemiten nicht selten ein rauer Wind entgegen.

Allerdings gibt es auch Überschneidungen. Rechtsradikale sind fast geschlossen gegen die Corona-Impfungen, und damit stehen sie an den Protesten gegen die vom Bundesrat verordneten Einschränkungen der Grundrechte nicht allein da. Praktisch alle Neonazis glauben ausserdem an Verschwörungstheorien.

Der Nachwuchs der Winterthurer Rechtsextremisten

Bisher traten Rechtsextreme nur vereinzelt an Corona-Demos auf und nur selten als Initiatoren oder Aushängeschilder. Dass Neonazis aber in Gruppen und mit einschlägigen Transparenten an den grösser werdenden Protesten auftauchen, lässt aufhorchen.

Unter den Weinfelder Demonstranten hat es auch altbekannte Gesichter. Zum Beispiel den 47-jährigen Hammerskin Triboldo, der im Thurgau eine Firma für Gartenunterhalt im Handelsregister eingetragen hat. Triboldo ist das Pseudonym des Gitarristen und Sängers der Rechtsrockband Vargr I Veum, was so viel wie «vogelfrei» bedeutet. Von der Band hat man zwar schon länger nichts mehr gehört, aber Triboldo war 2019 am Budapester «Tag der Ehre» zugegen. An der Veranstaltung mit Tausenden Neonazis aus ganz Europa trat er offiziell als Teil der Schweizer Hammerskin-Abordnung auf.

In Weinfelden wurde deutlich, dass sich der rührige Triboldo auch um den Nachwuchs aus der Winterthurer Neonaziszene kümmert. Unter seine Fittiche genommen hat er offenbar zwei fast ganz in Schwarz gekleidete Neonazis, beide um die 20 Jahre alt. Neben sich haben sie auf einer Sitzbank ein zusammengelegtes Transparent aus weissem Stoff deponiert. Die schwarze Schrift der Botschaft ist zwar nicht zu lesen, dafür aber die Webadresse der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos).

Die beiden jungen Männer gehören zum Umfeld der im letzten Jahr bekannt gewordenen Gruppen Eisenjugend, Junge Tat und Nationalistische Jugend Schweiz (NJS). Fabio L. (Name geändert), ein Metzger aus der Region Winterthur, posiert gerne mit Muskeln und Hanteln, im Fitnesszentrum auch mal in einem T-Shirt der Pnos. Auch er ist in der rechtsextremen Szene bestens vernetzt. An der Thurgauer Pnos-Sektion fällt auf, dass sie im Lockdown durch mehrere Flugblattaktionen von sich reden machte, wie auf der Webseite der Pnos nachzulesen ist.

Im Visier der Polizei

Neben dem jungen Metzger steht der Winterthurer Markus L. (Name geändert). Er machte früher bei der NJS mit und stellte unter anderem ein Foto eines Lagerfeuers auf Instagram – mit der Aufschrift «Der Jude brennt». Im Januar wurde er zusammen mit fünf mutmasslichen Mittätern wegen des Verdachts auf Verstoss gegen die Antisemitismus-Strafnorm kurzzeitig verhaftet.

Von der Gesinnung des jungen Manns ahnte der Winterthurer Stadtrat offenbar nichts, als er sich 2019 zusammen mit Markus L. auf einem Gruppenfoto ablichten liess. Auf das Bild angesprochen, antwortete der Informationschef von Winterthur, dass der Stadtrat den Hintergrund von Markus L. gar nicht habe kennen können: «Die Polizei darf den Stadtrat aus Datenschutzgründen nicht über die Identität von Personen informieren, die unter Beobachtung stehen oder gegen welche Untersuchungen im Gange sind.»