«Die rechtsextreme Szene ist nicht wesentlich angewachsen», sagt die Polizei des Kantons und auch die in Thun. Die Antifa sieht das anders: Sie spricht von einer Zunahme und 150 Neonazis allein in der Region.
· Bruno Stüdle
«Die rechtsextreme Szene im Kanton ist nicht wesentlich angewachsen», verkündete Peter Baumgartner, Chef Kriminalabteilung der Kantonspolizei Bern, an der Jahresmedienkonferenz im März dieses Jahres. Der Kantonspolizei Bern seien knapp 200 Rechtsextremisten und Skinheads mit Wohnsitz im Kanton Bern bekannt, wovon zirka 70 Personen dem so genannten «harten Kern» zugerechnet werden müssten. Als geografische Schwerpunkte «der mehrheitlich nicht organisierten rechtsextremen Szene» bezeichnete Baumgartner die Agglomerationen der Städte Bern, Burgdorf, Langenthal, Biel und Thun.
Polizei: In Thun Status quo
Von einem Status quo in der rechtsextremen Szene der Region Thun und Berner Oberland spricht auch Thuns Polizeichef Erwin Rohrbach: «Die Situation ist immer in etwa die gleiche. Wir haben es mit 20 bis 25 gewaltbereiten Skins zu tun. Straff organisiert sind sie aber zum Glück nicht. Auch wenn sich einer immer wieder als Anführer aufspielt.» Rohrbachs Zahlen bestätigt auch Thuns Polizeidirektor Heinz Leuenberger und noch mehr: «Der Polizei sind die Leute aus der Region Thun-Berner Oberland schon länger namentlich bekannt.»
Antifa spricht von Zunahme
«Die Polizei spricht von 20 bis 25 gewaltbereiten Skins? Da können wir nur lachen?», ärgern sich Leute der Antifa Thun. In der Region Thun-Oberland seien es mindestens 100 bis 150, Tendenz zunehmend. «Natürlich sind viele davon nur gewaltgeile Mitläufer, die die Geschichte nicht kennen, diese verleugnen oder gar nicht wissen, um was es bei den Nazis eigentlich geht. Sie sind aber nicht minder gefährlich», warnen die Antifa-Leute.
Angst: Keine Anzeigen
Eine repräsentative Statistik über die Vorfälle mit Rechtsradikalen gibt es wie anderswo auch für die Region Thun und das Berner Oberland nicht. Das hat vor allem einen Grund: «Wenn wir von Neonazis angegriffen werden, machen wir keine Anzeige. Nicht nur wir Aktivisten handeln so, auch Opfer aus anderen – ganz normalen – Kreisen», sagt ein Mann von Antifa Thun. «Wir haben Schiss vor weiteren Repressalien der Rechten. Die kennen einfach nichts. Wenn sie wegen einem Vorfall angezeigt werden, wissen sie ja genau, woher die Anzeige kommt. Und die scheuen sich ganz bestimmt nicht vor Drohungen und neuerlichen Gewaltanwendungen.»
Zudem würden sie dann selber – auch wenn sie die Opfer seien – von der Polizei wegen Raufhandels angezeigt, wirft ein anderer Antifa-Mann ein. Das bestätigt Polizeichef Rohrbach: «Wenn es zu einer Schlägerei kommt, dann werden beide Parteien wegen Raufhandel angezeigt. So schreibt es das Gesetz vor.» Und Leuenberger fügt hinzu: «Bei einer Schlägerei in einem ?Knäuel? ist es oft sehr schwierig, auszumachen, wer die Angegriffenen und wer die Angreifer sind. Es steht natürlich immer Aussage gegen Aussage. Deswegen wird der Strafrechtsparagraf ?Raufhandel? angewandt, weil dieser ein Offizialdelikt (das Delikt wird von Amtes wegen verfolgt) darstellt. Wenn jemand von einem anderen angegriffen wird, ist dieses Delikt ein Antragsdelikt, das heisst, der Geschädigte muss Anzeige erstatten.»
Leider habe die Polizei von vielen Vorfällen keine Kenntnis, weil die Angegriffenen aus Angst vor Repressalien keine Anzeige machen, bestätigt Leuenberger das Dilemma der Neonazi-Opfer. Und die Angegriffenen seien keineswegs immer nur Linksextreme, sondern auch ganz normale Jugendliche.
19 Vorfälle im Kanton
Im vergangenen Jahr registrierte die Kantonspolizei Bern laut Kripochef Baumgartner insgesamt 19 durch Angehörige der rechtsextremen Szene ausgelöste Vorfälle. Lediglich deren 7 kamen zur Anzeige: «Es handelte sich um Straffälle wie Anwendung physischer Gewalt, Verstösse gegen die Waffengesetzgebung oder gegen die Antirassismus-Strafnorm», so Baumgartner. «Schlägereien oder blosse Rempeleien ohne strafrechtliche Folgen entstanden meistens bei Begegnungen mit ?Punks? oder ?Antifaschisten? auf der Strasse und nach gegenseitigen Provokationen.»
«Um der Entwicklung im Rechtsextremismus entgegenzuwirken, wird die Kantonspolizei Bern die eingeleiteten und bewährten Massnahmen fortsetzen», versprach Peter Baumgartner im März.
Als polizeiliche Mittel, mit welchen dem Rechtsextremismus entgegengewirkt werden könne, erwähnte Baumgartner:
· «Prävention durch Personen- und Fahrzeugkontrollen im Umfeld von organisierten Anlässen.
· Sicherstellung von mitgeführten gefährlichen Gegenständen (Waffen) und von Propagandamaterial mit rassendiskriminierenden Inhalten.
· Gezieltes Aufsuchen von einschlägigen Szenetreffpunkten zur Abend- und Nachtzeit.
· Anlassbezogene Sicherheitsvorkehren zur Früherkennung und Verhinderung von Konfrontationen zwischen rechten und linken Gewaltextremisten.»
«Keine rechte ?Handhäbi»
«Wir verfügen gegen die Neonazis über keine rechte ?Handhäbi?», schränkt Thuns Polizeichef Erwin Rohrbach ein. «Allein wegen ihren Symbolen können wir den Rechtsextremen nichts anhaben. Und solange sie nicht öffentlich zum Rechtsextremismus auffordern – z. B. mit Brandreden und Hitlergrüssen auf dem Mühleplatz – oder solange wir keine Anzeigen wegen Gewalt-akten erhalten, können wir gegen sie nicht viel ausrichten.»
«Die Polizei nimmt das Problem sehr ernst», erklärt Polizeidirektor Heinz Leuenberger. «Im Sinn von ?wehret den Anfängen? hat die Polizei von den Behörden von Thun schon vor Jahren die Weisung für scharfe und unmissverständliche Kontrollen erhalten. Das ist auch nötig: Wir haben in Thun ein ganzes Arsenal an Waffen und Symbolen beschlagnahmt – Schlagstöcke, Schmetterlingsmesser, Hakenkreuzfahnen, Schusswaffen etc. – der Anblick ist ein Horror.»