Das war bis vor kurzem noch anders. Angefangen hat alles vor vier Jahren. Durch den Bruder eines Kollegen kam Jan erstmals in Kontakt mit der Szene. ImZürcher Restaurant „Federal“, wo man sich traf, um Bier zu trinken. Dort bekam er auch die Meinungen zu hören, die er sich später zu eigen machen sollte.“Für eine weisse Rasse, gegen die Reichen, gegen die Linken“, umschreibt er das heute, locker, wie wenn es etwas Selbstverständliches wäre. „Bist du jung,wirst du gefördert“, erzählt Jan. „Die brauchen dich. Denn schliesslich wandert ein Junger, der Scheisse baut, nicht gleich in den Knast.“
NACHDEM DIE Skinheads jeweils genug Bier getrunken hatten, zogen sie los. Durch die Zürcher Innenstadt, zum Platzspitz, zum Bahnhof. „Wir haben uns auf den Weggemacht mit dem Ziel, ein paar umzuhauen“, erklärt Jan. Und bei ihm tönt das so, als sei es nur darum gegangen, mal eben schnell ein Päckchen Zigaretten zuholen. Die permanente Gewaltbereitschaft ist typisch für die Skinheadszene. „Diese Cliquen von Glatzköpfigen denken nicht im Traum daran, Parteiprogramme zuformulieren oder an Wahlen teilzunehmen“, schreibt der Journalist Jürg Frischknecht, der sich seit Jahren mit der Szene befasst. „Ihr Terrain ist die Strasseund das Stadion, die Kneipe und der Festplatz.“ Genau mit den Kneipen gab es dann aber Probleme: Wegen Schlägereien bekamen Jan und seine Skin-Cliquezuerst im „Federal“, später auch im „Du Nord“ und anderen Lokalen Hausverbot. Es folgten deshalb verschiedene Reisen ins benachbarte Ausland – vor allemnach Deutschland. So wurden Kontakte zu den dortigen Skins geknüpft, man besuchte sich gegenseitig. Eine Möglichkeit, viele neue Leute kennen zu lernen,boten auch die Auftritte rechtsradikaler Bands, die Jan besuchte und teilweise mitorganisierte. Konzerte von Bands mit Namen wie „Sturmtrupp radikal“,“Kraftschlag“ und „Erbarmungslos“. Meistens fanden die Anlässe in der Romandie statt. Zum Beispiel in der Nähe von Neuenburg, das laut Frischknecht alsKonzertort europaweit einen guten Ruf gehabt habe, weil die Polizei nicht eingeschritten sei oder die Veranstalter sogar gedeckt habe. DASS DIE Polizei sich nicht einmischte, findet Jan nur recht. „Schliesslich sind die Konzerte friedlich verlaufen, es gab keine Randale. Und das war auch besser so, weilbei so vielen Skins die Polizei ziemlich bald ein Problem gehabt hätte“, meint er grossspurig. Tatsächlich kommt es bei Konzerten selten zu Ausschreitungen.“Die Besucher sind durch Tanz und exzessiven Alkoholgenuss nur noch beschränkt zu solchen Straftaten fähig“, schreibt die Schweizerische Bundespolizei inihrem Bericht über die Skinheadszene in der Schweiz. Viel wichtiger sind – nebst neuen Bekanntschaften – die Musik und der Verkauf von „Souvenirs“, zumBeispiel Aufnähern, Flaggen oder Tonträgern. „Die Texte der Songs“, sagt Jan, „bringen die rechtsradikalen Meinungen am besten rüber.“ Polizeiliches Verhalten wie das erwähnte in Neuenburg mag auch ein Grund für Jans Aussage sein, die Skins hätten keine Probleme mit Polizisten. „Sie sindeigentlich auf unserer Seite“, meint er und scheint dabei vergessen zu haben, dass er die Szene – laut eigenen Aussagen – verlassen hat. Die Polizei seimanchmal sogar dankbar für die Hilfe der Skins. Zum Beispiel am 1. Mai: „Die Polizisten haben einfach nicht den Mut, mit den Fäusten draufloszugehen.Darum sind sie froh, wenn die Skins das für sie tun“, behauptet er. Die Polizei habe ihn auch schon angehalten und mitgenommen, ihn aber zwei Strassenweiter laufen lassen – ohne eine Kontrolle durchgeführt zu haben. Mit dieser Aussage ist Dölf Brack von der Stadtpolizei Zürich allerdings gar nicht einverstanden. „Speziell bei Skinheads führen wir sehr viele Kontrollendurch“, sagt er. Natürlich könne er nicht für jeden einzelnen Beamten die Hand ins Feuer legen. „Wir haben aber schon seit Jahren ein Auge auf die Szene“,betont er. Vor zwei Jahren gründeten Jan und ein paar Kollegen schliesslich eine eigene Organisation: Die „Zürcher Oberländer Front“. Anfänglich waren sie, so sagtJan, ungefähr 15 Leute. „Wir haben nicht jeden aufgenommen“, erzählt er. „Wir wollten keine Mitläufer, sondern nur solche, die etwas drauf haben, na ja,solche, die nicht gleich den Schwanz einziehen, wenn es hart auf hart geht.“ Beschäftigt hat sich die Organisation laut Jan damit, Aufnäher herzustellen undsich zu prügeln. Er habe nur zugeschlagen, wenn ihm einer dumm gekommen sei, verteidigt er sich. Was er damit meint, bleibt im Dunkeln. NACH EINEM halben Jahr habe er dann die Organisation verlassen, sagt Jan. „Ich wollte meine Freiheit und das tun können, was ich will“, lautet seine vage Erklärung.Nachher sei er öfters im „Schweizertreff“ in Uster gewesen. „Endlich ein Lokal, wo nur Schweizer rein dürfen“, lobt der 18-Jährige. Der Besitzer habe amEingang Kontrollen gemacht. Nur wer einen Schweizer Pass besass, durfte hinein. Endgültig raus aus der Szene sei er seit Pfingsten 1999. Damals sei er von sieben Ausländern angegriffen und zusammengeschlagen worden. Er habe mehrereVerletzungen gehabt und ins Spital gehen müssen, erzählt Jan. Wieder schildert er den Sachverhalt betont lässig, als sei nichts dabei. Nach diesem Vorfall seiihm aber klar geworden, dass das Skin-Dasein sinnlos sei. „Am Ende bist du doch einfach das Arschloch. Du bekommst immer aufs Dach und kannst dochnichts verändern“, beklagt er sich. „In der Zeit, in der ich einen Jugo verschlage, kommen acht neue illegal ins Land. Für was soll man da noch einstehen?“ Jangerät in Rage. Nichts ist mehr übrig von der Lässigkeit, mit der er aufgetreten ist, weg ist seine ganze Coolness. Stolz erzählt er, einmal auch bei einemBrandanschlag auf ein Asylantenheim dabei gewesen zu sein. „Das Zeugs hat aber nicht recht gebrannt“, meint er enttäuscht. Dass die Polizei immer noch imDunkeln tappt, freut ihn. TROTZ SEINES vermeintlichen Ausstiegs aus der Szene verkehrt Jan noch heute mit Skinheads. Und überhaupt: Seine Ansichten, sagt er im Brustton der Überzeugung, hättensich nicht geändert. „Aber wenn du etwas verändern willst, musst du das politisch tun“, glaubt er. Deshalb ist Jan schon längere Zeit Mitglied der SchweizerDemokraten. Versucht er aber, seine politischen Anliegen darzulegen, verstrickt er sich in Widersprüche: Reine Schweizer Schulen wünscht er sich, und ja,dann müsste man Spezialklassen für Ausländer machen, aber nein, Geld solle man nicht geben dafür, ach was, ausschaffen sollte man alle . . . Schliesslich versucht der Informatiklehrling doch noch konkret zu erklären, inwiefern er sich verändert hat. Er sagt: „Heute beurteile ich alle Menschen gleich.Wenn mir einer dumm kommt, poliere ich ihm die Fresse.“ * Name geändert Autor: TEXT NICO LUCHSINGER ILLU SAMUEL GLÄTTLI