In anderen Regionen der Schweiz geben Anti-Rassismus-Projekte zu Hoffnung Anlass
Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung beim Bund hat in den letzten fünf Jahren Projekte gegen Rassismus unterstützt und nun die Erfahrungen ausgewertet. Wie sehen solche Ansätze in der Praxis aus und wie wirken sie sich aus?
Andreas Kneubühler
Nach dem Bekanntwerden der Vorfälle in Unterwasser wurden weitere rassistische Vorfälle aufgedeckt, so in einer Schulklasse in Alt St. Johann. Für Michele Galizia, Leiter der Fachstelle für Rassismusbekämpfung beim Bund, handelt es sich dabei nicht um singuläre Fälle, die sich auf das Toggenburg beschränken. «An Workshops und Veranstaltungen bekommt man solche Geschichten immer wieder zu hören, gerade aus der Ostschweiz oder aus dem Kanton Aargau.» Wichtig sei aber vor allem eines: «Man kann etwas dagegen tun.» Die Fachstelle für Rassismus wurde vom Bundesrat 2001 ins Leben gerufen. Seither wurden rund 500 Projekte gegen Rassismus mit insgesamt 14,5 Mio. Franken unterstützt. Es gab Aktionen in Schulen, Betrieben, Gemeinden oder auch langfristige Projekte für ganze Regionen. «Diskriminierung und Rassismus bedrohen nicht nur einzelne Menschen, sie bedrohen unsere Gesellschaft als Ganzes», hält Galizia fest.
Meldestelle eingerichtet
Wie sehen Projekte gegen Rassismus konkret aus? Im Kanton Bern arbeiten 40 Gemeinden mit der Informations- und Beratungsstelle gegen Gewalt und Rassismus (gggfon) zusammen. Kostenpunkt: 15 Rappen pro Einwohner. Das zentrale Angebot der Stelle ist eine Telefonnummer und eine Mailadresse, bei der rassistische Vorfälle und Beobachtungen gemeldet werden können ? auch anonym. Im letzten Jahr gingen knapp 100 Meldungen ein. Begonnen hat die Tätigkeit der Beratungsstelle mit einem Auftrag der Gemeinde Münchenbuchsee. «Dort gab es einen Treffpunkt von
Neo-Nazis, es gab Übergriffe, Leute wurden attackiert», sagt Stellenleiter Giorgio Andreoli. In den Medien sei wiederholt darüber berichtet worden, die Behörden hätten aber lange geschwiegen. «Irgendwann war der Leidensdruck zu gross.» Die Beratungsstelle wurde kontaktiert. «Wenn wir eine Meldung erhalten, gehen wir dorthin, wo sie herkommt», beschreibt Andreoli die Aufgaben der Stelle. Dann gebe es Gespräche mit Beteiligten und Behörden, Lösungsmöglichkeiten würden aufgezeigt. «Dabei versuchen wir, vom Links-Rechts-Schema wegzukommen», sagt Andreoli.
Nach Münchenbuchsee seien weitere Gemeinden dazugekommen. Politischen Widerstand habe es kaum gegeben. Der Gemeindepräsident von Münchenbuchsee sei in der SVP, das habe möglicherweise die Akzeptanz erleichtert, vermutet er. Zudem sei das Angebot keine Dauereinrichtung, sondern ein Projekt, das alle drei Jahre wieder neu bewilligt werden müsse. Aus einer Meldung an die Beratungsstelle entstand beispielsweise ein Schulprojekt.
In einer Klasse seien Schüler mit rechtsextremen Emblemen im Unterricht aufgetaucht. «Wir erarbeiteten mit der ganzen Klasse über mehrere Veranstaltungen eine Charta, in der festgehalten wird, dass man einander respektieren muss», schildert Andreoli. Dieses Abkommen müsse dann unterschrieben werden ? von mindestens 70 Prozent. Für jede Charta werde ein «Götti» gesucht, eine bekannte Person aus der Region. Im beschriebenen Fall konnte André Rötheli, ein Spieler des SC Bern, gewonnen werden. Jährlich werde nachher überprüft, ob die Charta eingehalten werde.
Positives Medienecho
Es sei klar, dass hartgesottene Rassisten durch solche Projekte kaum ihre Meinung änderten, relativiert Andreoli. Ein wichtiger Effekt sei aber, dass die anderen gestärkt würden. Die Fremdenhasser wüssten, dass hingeschaut werde. Das zeige Wirkung: Die Aussagen des Eishockeyspielers hätten die vier rechtsextremen Schüler stark verunsichert. Die Arbeit werde in den Gemeinden anerkannt. «Sie wissen, dass sich die Situation immer wieder ändern kann.»
Es gebe noch einen weiteren Grund: Eine Untersuchung in Basel zeige, dass sich die Projekte auf das Feedback in den Medien auswirkten. Zuerst werde zwar negativ berichtet. Das ändere sich dann aber schnell und die Aktivitäten gegen Rassismus würden positiv wahrgenommen.
Unterschwellig in ländlichen Gebieten
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus sammelt Vorfälle und beobachtet Gerichtsverfahren. Wie lassen sich die Ereignisse im Toggenburg einordnen? «Nicht der Vorfall als solcher, aber die mediale Dynamik, die dadurch ausgelöst wurde, ist eher selten, vergleichbar noch mit Anlässen von Rechtsextremen wie dieses Jahr im Kanton Wallis oder Anschlägen auf jüdische Gräber und Synagogen», erklärt Tarek Naguib, juristischer Mitarbeiter der Kommission. «Es wäre eine verkürzte und zu einfache Schlussfolgerung, zu behaupten, das Toggenburg wäre besonders rassistisch.» Beobachtungen hätten aber gezeigt, dass in ländlichen Regionen die unterschwellige Fremdenfeindlichkeit öfter vorkäme als in städtischen Gebieten. «Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass es weniger Kontakte gibt zwischen Einheimischen und Fremden.» Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung hat einen Bericht über ihre Erfahrungen mit Projekten herausgegeben. Dazu gibt es einen Dokumentarfilm auf DVD. (akn)