STADT BERN / Die Berner Polizei attestiert den Ordnungskräften der Autonomen eine «gewisse de-eskalierende Wirkung».
rg. Der «Berner Demoschutz» sondiert die Lage, schreitet ein gegen Provokateure, die aus der Masse heraus Gewalt anwenden wollen. Er ist ein loses Gebilde von 50 bis gar 100, meist vermummten, Demonstrierenden, die sich mit rosaroten Dreiecken an der Jacke als Demoschützende ausweisen. Und sie stehen in Kontakt mit der Polizei. Der stellvertretende Kommandant der Stadtpolizei, Daniel Blumer, attestiert den Autonomen eine «gewisse de-eskalierende Wirkung». Aber: Was bisher zweimal gut ging, habe beim nicht bewilligten «Antifaschistischen Abendspaziergang» vom vorletzten Samstag nicht mehr funktioniert, sagt Blumer.
Vermummte Autonome als Ordnungskräfte
«BERNER DEMOSCHUTZ» / Von wegen «Chaoten»: Ziehen vermummte Autonome durch Bern, handelt es sich seit einem Jahr bisweilen um Angehörige des «Berner Demoschutzes», eines eigenen Ordnungsdienstes, der, so die Stadtpolizei, mit «gewisser deeskalierender Wirkung» nicht unwesentlich zu gewaltfreiem Ablauf beigetragen habe.
* RUDOLF GAFNER
Bern, 22. Januar 2000, 21.15 Uhr: Die 800 Teilnehmenden des ersten «Antifaschistischen Abendspaziergangs» ziehen durch die Amthausgasse, als 100 Meter vor ihnen am Casinoplatz ein Pulk rechter Störer in Erscheinung tritt: Die Demonstrationsleitung ruft dazu auf, stehen zu bleiben und sich von den Rechten nicht herausfordern zu lassen, und der Demoschutz bietet Gewähr, dass auch wirklich niemand ausschert – bis die Polizei die rechten Militanten abgeführt hat, worauf der Umzug weitergehen kann. Insgesamt 250 rechte Störer werden an diesem Abend von der Polizei festgenommen, die bewilligte Demonstration bleibt gewaltfrei.
Bern, 3. Februar 2001, 15 Uhr: Die über 1000 Teilnehmenden des Protestmarsches gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos ziehen durch die Rathausgasse zum Rathaus: Vermummte Mitglieder des Demoschutzes eilen voraus, sondieren kurz die Lage. Dann postieren sie sich, neben zwei Polizisten, beim Rathaus und sorgen dafür, dass der Umzug auf der bewilligten Route zur Gerechtigkeitsgasse abbiegt – und friedlich verläuft.
Zweimal «gut funktioniert» . . .
An diesen ersten beiden Malen, bei denen der Demoschutz aufgetreten sei, habe die Schutztruppe der Autonomen «sehr gut funktioniert», erklärt der stellvertretende Kommandant der Berner Polizei, Daniel Blumer, im Gespräch mit dem «Bund». Abgesehen von vereinzelten Sprayereien sei es zu keinen strafbaren Handlungen gekommen. Blumer attestiert den Demoschützern «eine gewisse de-eskalierende Wirkung». Über die Demonstrationsleitung sei die Polizei an den beiden bewilligten Demonstrationen in Kontakt mit den Demoschützern gewesen, was gut geklappt habe, sagt Blumer dazu.
. . . einmal «nicht funktioniert»
Der dritte und bis heute letzte Einsatz des Demoschutzes jedoch verlief aus Polizeisicht weniger erfreulich. Da habe dieser Schutz, so Blumer, «nicht funktioniert», und da habe die Polizei zudem offiziell keinen Kontakt gehabt, weil diese Demonstration unbewilligt war: Bern, am vorletzten Samstag, 21.30 Uhr: Die über 1500 Teilnehmenden des zweiten «Antifaschistischen Abendspaziergangs» ziehen durch die Rathausgasse, als es bei der Tübeli-Bar zu Unruhe kommt: Der Demoschutz verhindert, dass Demonstrierende und Gäste aneinander geraten, er lässt aber zu, dass «Nazis raus» auf eine Fensterscheibe gesprayt wird und ein weiteres Fenster zertrümmert wird. Diese Sachbeschädigungen hätten die Demoschützer «bewusst nicht verhindert», klagt Blumer. Mehr noch, die Demoschützer gebärdeten sich an dieser Manifestation zum Teil als Schützer strafbarer Handlungen: Wiederholt nämlich scherten Sprayerkommandos aus, um Parolen zu sprühen – und der Demoschutz deckte sie oder gab Unterschlupf in der Menge.
Fotografen «kontrolliert»
An dieser Demonstration übrigens hat sich der Berner Demoschutz zudem angemasst, ihm unbekannte Journalisten zu kontrollieren, was die Polizei jedoch nicht feststellte: Auch der «Bund»-Fotograf wurde von Vermummten angehalten und aufgefordert, seinen Presseausweis vorzuweisen. Ein demoeigener Ordnungsdienst habe nur gegenüber Teilnehmenden eine Sicherheitsfunktion auszuüben, erläutert Blumer die Regel. Die guten und schlechten Erfahrungen mit dem Demoschutz will Daniel Blumer «bei der Planung von künftigen Veranstaltungen berücksichtigen», wie er sagt.
Letztlich doch unberechenbar
Der Vizekommandant der Berner Stadtpolizei ist ein pragmatischer Praktiker, blauäugig jedoch ist er nicht. Er weiss: Autonome sind insofern unsichere Kantonisten, als dass sie «sicher nicht Leute sind, denen an der herrschenden Ordnung gelegen ist». Wie vertrauenswürdig der Demoschutz ist, sei deshalb «schwierig» zu beantworten, sagt Blumer: Bei bewilligten Demonstrationen und «solange man mit ihnen reden kann, können wir Risiken besser abschätzen». Bei nicht bewilligten Demonstrationen hingegen «handelt der Demoschutz im luftleeren Raum, er bleibt damit für uns vollständig unberechenbar», erklärt Blumer. Für die Polizei gefährlicher werde eine Demo wegen des Demoschutzes aber nicht, das Gewaltpotenzial sei eher geringer.
Im Prinzip kein Ausnahmefall
Der autonome Demoschutz ist ein auffallender, delikater Fall von demoeigenem Ordnungsdienst – eine Ausnahme indes ist er nicht, wie Blumer erläutert. Veranstalter im öffentlichen Raum seien sogar verpflichtet, mit dazu beizutragen, dass Dritte nicht zu Schaden kämen – und die Veranstalter politischer Kundgebungen würden von der Polizei denn auch dazu angehalten, von sich aus einen Ordnungsdienst aufzuziehen, auch zu ihrer eigenen Sicherheit. Die Polizei führt vor einer Demonstration intensive Gespräche mit den Veranstaltern, man einigt sich auf Regeln, die Polizei erklärt Grenzen. Dass natürlich an einer Kundgebung des Bundespersonals «das Restrisiko geringer ist», als wenn die Autonomen marschieren, sei klar. Auch bei bestimmten Ausländerdemonstrationen sei das Risiko schliesslich grösser als an einer GBI-Gewerkschaftskundgebung, meint Vizekommandant Blumer.
Zur Frage der Vermummung
Und dass Berns Demoschützer vermummt, teils gar behelmt auftreten, gefällt Blumer gar nicht. Abgesehen davon, dass es im Kanton Bern verboten ist. Er fügt aber hinzu, dass «zum Vermummungsphänomen ehrlicherweise ja auch gesagt werden muss», dass die Gesichter oft auch aus Angst vor Repressalien, etwa von Eltern, Lehrmeister oder Arbeitgeber her, unkenntlich gemacht würden. Es gebe natürlich auch die andern, jene, die sich vermummten, um etwa unidentifiziert sprayen zu können.
Notwehr nach Gesetz erlaubt
Von daher bleibt ein schaler Nachgeschmack, beobachtet man die autonome Schutztruppe. Eine unbeantwortete Frage – auch für die Polizei – ist auch, wie verantwortungsvoll der Demoschutz reagieren würde, käme es einmal zum direkten Aufeinandertreffen mit militanten Rechten. Blumer erläutert dazu, dass die geltende Rechtsordnung einem Angegriffenen Notwehr zubilligt – Notwehr indes nach rechtsstaatlichem Begriff. Nicht aber nach dem politischen, überdies reichlich bedenklichen Notwehr-Begriff der Antifa («Seit Auschwitz ist antifaschistische Gewalt immer Notwehr»).
Von Schutz- zu «Putzgruppe»?
Nicht auszuschliessen ist denn auch, dass die Demoschutzgruppe je nach Situation flugs zu einer angreifenden «Putzgruppe» werden könnte, um den Vergleich mit der derzeit heiss diskutierten militanten 70er-Jahre-Truppe des heutigen deutschen Aussenministers Joschka Fischer zu wagen. Dessen Frankfurter «Putzgruppe» war die Truppe für den Zoff, die ihren «revolutionären Kampf» beispielsweise führte, indem sie behelmt auf einen Polizisten einprügelte. Auch Berns Demoschützer betonen klar: «Dass der Demoschutz spontane, militante Aktionen be- und verhindert, trifft in keiner Weise zu.» Weiter: «Wir schützen weder die Interessen der Medien noch die der Bullen oder irgendwelcher ParlamentarierInnen», schreibt der Demoschutz in einem Beitrag, abgedruckt in der aktuellen Ausgabe des Reitschule-Magazins «megafon». Der Demoschutz arbeite denn auch «nicht in dem Sinne» mit der Polizei zusammen, er suche aber auch nicht Konfrontation mit ihr, sagt die Antifa Bern ihrerseits auf «Bund»-Anfrage.
Antifa: «Wunderbar erfüllt»
Der Demoschutz sei keine feste Institution, sondern ein nach Bedarf entstehendes Gebilde von 50 bis 100 Teilnehmenden, die sich mit rosaroten Dreiecken auf den Jacken kenntlich machten, so die Antifa. Beim ersten Antifaschistischen Abendspaziergang sei der Demoschutz «ziemlich aufdringlich» geworden, was ihm szeneintern «viel Kritik» eingebracht habe. Deshalb auch habe sich der Demoschutz nun beim zweiten Spaziergang «etwas mehr zurückgehalten» und habe «dementsprechend mehr gewähren lassen», so die Antifa. Angesichts der grossen Zahl von Demonstrierenden habe der Demoschutz seine Aufgabe, einen «reibungslosen Ablauf» zu gewährleisten, «wunderbar erfüllt», meinen die «AntifaschistInnen».
«Freundlich, dann harsch . . .»
Der Demoschutz-Vertreter selber schreibt dazu im «megafon», es gehe darum, «die Versprechen zu halten, die wir machen». Leute, die den Aufrufen zu einer Demonstration folgten, sollten Vertrauen haben können, dass «die Demo so abläuft, wie es an den Vorbereitungssitzungen besprochen und abgemacht wurde». Friedliche Demonstrierende seien nicht «wider ihren Willen mit Gewalt zu konfrontieren» oder «als Schutzschilder zu missbrauchen». Als Teil der organisierenden Struktur der Demonstration schreite der Demoschutz deshalb ein, «wenn ProvokateurInnen, die sich zu gut sind, um den ganzen organisatorischen Teil der Demo mitzutragen, die Demo – Menschen, Form, Inhalt – gefährden». Eingeschritten werde gegen sie «erst freundlich, dann harsch, wenn es sein muss handgreiflich», heisst es dazu weiter.
Autonome gegen «Fanatiker»
Mit anderen Worten bedeutet dies, dass Berns Autonome selber nicht länger bereit sind, zu akzeptieren, dass einzelne Gewalttäter nach eigenem Belieben aus dem Schutz der Masse heraus agieren und sich dabei salopp auf ihre Autonomie berufen. «Wir wollen eine Revolution, an der sich alle beteiligen können – und glauben weder an intellektuelle noch an physisch-militärische Avantgarden», schreibt der Demoschutz. «Ruhig, gleichmässig, unaufhaltsam und zuverlässig», zudem «gut organisiert, offen und überzeugt» müsse der politische Kampf sein. «Fanatische Individuen» müssten daher mit Berns Demoschutz rechnen.
Skinheads als Saalschützer
rg. Die Aufstellung einer Schutztruppe fürs Grobe ist im Kanton Bern auch am anderen Ende des politischen Spektrums, bei Neonazis und Skinheads, bereits beobachtet worden. Als im Dezember 1999 in Wiedlisbach im Oberaargau gegen 300 Skinheads aus dem In- und Ausland zusammenkamen und in der dortigen Mehrzweckhalle ein Skin-Konzert besuchten, bildeten Glatzköpfe einen eigentlichen Saalschutz: eine schwarz gekleidete Truppe, die Schlagstöcke, ja gar Hunde dabei gehabt haben soll. Übrigens, das historische Beispiel fällt einem da unweigerlich ein: Die SS, Heinrich Himmlers gleichfalls schwarz uniformierte «Schutz-Staffel», hiess bei ihrer Gründung Ende der 20er-Jahre noch «Saal-Schutz» und schützte Veranstaltungen der NSDAP.