Aargauer Zeitung vom 21.05.2012
Analyse zur Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns)
Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) kämpft derzeit um ihr Kernanliegen: Mehr Mitsprache der Bevölkerung in der Aussenpolitik. Sie will, dass Staatsverträge in wichtigen Bereichen dem obligatorischen Referendum unterstellt werden, also zwingend Volk und Ständen vorgelegt werden müssen. Obwohl eine Mehrheit der Parlamentarier die Volksinitiative der Auns ablehnt, die Wirtschaft mit einer Plakate-Flut dagegen wirbt und auch der Bundesrat sich für ein Nein einsetzt, ist der Ausgang der Abstimmung alles andere als gewiss. Denn wo immer die Auns auftaucht, lehrt sie ihre Kontrahenten das Fürchten. Und das seit bald 26 Jahren.
Ihren ersten Sieg trug die Auns noch vor ihrer Gründung davon: Damals kämpfte sie als Aktionskomitee gegen den UNO-Beitritt. Die Diskussion, ob die Schweiz dem Friedensprojekt beitreten soll, köchelte über 40 Jahre vor sich hin. Doch das Votum vom 16. März 1986 hätte deutlicher kaum sein können. 75,7 Prozent stimmten dagegen. Und das, nachdem die Schweizer bereits 1919 dem Völkerbund beigetreten waren – mit 56,3 Prozent Zustimmung.
Weil aber nach dem Zweiten Weltkrieg sich die Meinung verbreitete, die Schweiz habe nur dank ihrer Neutralität die Kriege glimpflich überstanden, formierten sich Kräfte, welche die Neutralität um jeden Preis schützen wollten. Die Auns wurde 1986 gegründet – drei Monate nach dem UNO-Nein. Ihr statutarischer Zweck ist, die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz zu erhalten, indem sie die Integration der Schweiz in supranationale Organisationen wie die UNO oder die EU auch in Zukunft verhindert. Denn Bern spüre den Willen des Volkes nicht mehr, argumentierte der Berner FDP-Nationalrat Otto Fischer, einer der Gründer. Mit rhetorischer Gewandtheit setzte er sich gegen die Politik der Behörden und Verwaltung ein, die «sowieso machen, was sie wollen». Gemeinsam mit dem Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher legte Fischer damit den Grundstein für alle weiteren Kampagnen der Auns.
Auch aktuell argumentiert sie, Bundesbern operiere hinter verschlossenen Türen und verfolge einen «schleichenden EU-Beitritt». Die Auns als Beschützerin der Schweiz? Ironischerweise haben nun die Gegner das Erfolgsmodell der Auns abgekupfert und zeigen auf ihren Plakaten die verletzte Helvetia.
Unter dem langjährigen Präsidenten Blocher wurde die Auns zu einer referendumsfähigen Kraft. Ihren zweiten Sieg verbuchte sie, als 1989 die Abschaffung der Armee abgelehnt wurde. Dann kollabierte die Sowjetunion. Im Zuge des rasanten Wandels innerhalb Europas kapselte sich die Schweiz ab. Die Auns startete zu einem Höhenflug, indem sie das Feindbild des Kommunismus gegen jenes der EU tauschte. Mit Erfolg: Die Initiative zum EU-Beitritt lehnten die Schweizer 1997 mit 74,1 Nein-Stimmen ab.
Den grössten Coup landete sie jedoch mit der Abstimmung zum EWR-Beitritt 1992. Die Auns mobilisierte gegen die Wirtschaft und das politische Establishment; zwar verlor sie Mitglieder aus der bürgerlichen Mitte, gewann aber die Abstimmung mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,1 Prozent. Während der Kampagne flammte erneut die Rhetorik gegen die Classe politique auf. Bern gebe die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung der Schweiz preis, so der Vorwurf. Von der gehässigen Kampagne und dem überraschenden Sieg zehrt die Auns bis heute. 1992 verzeichnete sie auf einen Schlag 16 000 Mitglieder. Heute sind es über 40 000.
Doch die Auns verlor auch wichtige Abstimmungen, wie beispielsweise jene über den Einsatz von Schweizer Soldaten im Ausland. Die grösste Niederlage fuhr sie wohl mit der zweiten Abstimmung über den UNO-Beitritt 2001 ein, als das Stimmvolk diesen mit 54,6 Prozent befürwortete.
Die Auns ergriff auch Referenden. Das Volk schmetterte sie zwar jeweils ab, wie jene zwei zu den bilateralen Verträgen, zur Personenfreizügigkeit und Schengen/Dublin. Aber die Auns etablierte sich als politische Opposition in der Aussenpolitik. Mit rund 40 000 (zahlenden) Mitgliedern und Sympathisanten hatte sie die für ein Referendum benötigten 50 000 Unterschriften jeweils im Nu gesammelt. Die Folge: Wenn die Auns aufmuckt, bewegt sich Bern.
Die enge Verbindung zu Gründervater Blocher und damit zur SVP führte wohl auch dazu, dass sie über ihre statutarisch festgelegten Ziele hinaus vermehrt in die Migrationspolitik eingriff. Beispielsweise, indem sie 2002 die Initiative der SVP gegen «Asylrechtsmissbrauch» unterstützte. Später setzte sie sich auch für ein verschärftes Asylgesetz und gegen die erleichterte Einbürgerung ein. Und das auf eine Art und Weise, mit der sie offenbar das rechtsextreme Milieu bediente. Auf ihrer Website muss sich die Auns explizit vom Extremismus abgrenzen.
Die politischen Exkurse führen dazu, dass die Auns nunmehr als verlängerter Arm der SVP angeschaut wird. Wenn der heutige Geschäftsführer Werner Gartenmann die Auns tatsächlich zur Überparteilichkeit führen will, muss er sich von der SVP-Ausländerpolitik distanzieren. Sie vergrault jene Kräfte, die konservativ, aber nicht fremdenfeindlich sind, die isolationistisch denken, aber nicht SVP wählen.
Dazu kommt: Wenn nach einer allfälligen Annahme der aktuellen Initiative alle wichtigen Staatsverträge vors Volk kommen, verliert die Auns ihre Kernkompetenz. Denn das Referendum ist ein politisches Instrument, das Veränderungen nicht nur über Abstimmungen bewirken, sondern durch die blosse Androhung verursachen kann. Deshalb müsste sie die Abstimmung am 17. Juni eigentlich verlieren wollen. Dann hätte sie weiterhin einen Grund, sich für ihre Kernthemen einzusetzen.