Newsnet: Die jüdische Gemeinde in Zürich wird wieder häufiger bedroht, sagt Extremismus-Forscher Daniel Rickenbacher. Dabei kommt es zu ungewöhnlichen Allianzen.
Herr Rickenbacher, die jüdische Gemeinde in Zürich investiert immer mehr in die eigene Sicherheit: Panzerglas, Securitas und Sicherheitsschranken. Ist der Aufwand übertrieben? Im Gegenteil. Die Gefahr für die jüdische Gemeinde hat sich seit den Nullerjahren kontinuierlich erhöht. Mit den Terroranschlägen auf jüdische Ziele in Frankreich und Belgien ist die Gefahrenlage noch prekärer geworden. Die derzeitigen Investitionen in die Sicherheit sind bestenfalls adäquat, im Vergleich aber gerade mit Frankreich eher bescheiden. Auch beteiligt sich der Staat dort an den Sicherheitskosten, während die finanzielle Last in der Schweiz allein von den jüdischen Gemeinden getragen wird.
Wie äussert sich die Gefahr konkret? Die lokale Bedrohung äussert sich etwa durch Drohbriefe. In den sozialen Medien wurde 2014 aufgerufen, das «Judenviertel» zu stürmen, und vereinzelt kam es zu Übergriffen: Etwa, als im vergangenen Sommer ein orthodoxer Jude in Wiedikon von einer Gruppe Neonazis attackiert wurde. Anderseits gibt es eine internationale Bedrohung: Der IS hat zu Anschlägen auf jüdische Ziele aufgerufen und versucht, Attentäter über die Flüchtlingsrouten nach Europa einzuschleusen. Der Antisemitismus ist ein fester Bestandteil der Ideologie von Terrorgruppen wie dem IS oder al-Qaida.
In welchen Kreisen ist der Antisemitismus am stärksten verbreitet? Antisemitismus tritt in verschiedenen Kreisen auf: islamistischen, links- wie rechtsextremen. Was sie eint, ist ihr Hass auf Juden. Interessant ist die historische Entwicklung in der Schweiz: In den 50er- und 60er-Jahren war der Antisemitismus in erster Linie rechtsgerichtet. Ab den späten 60er-Jahren wurde der Judenhass zunehmend in linken Kreisen salonfähig. Die klassischen Neonazis waren noch in den 1990er-Jahren stark präsent. Inzwischen hat ihre Bedeutung abgenommen. Heute geht die grösste Gefahr von islamistischen Kreisen aus. Und manchmal kommt es zu unheiligen Allianzen.
Wie meinen Sie das? Wenn beispielsweise Linksradikale und Islamisten in der Schweiz gemeinsame Pro-Palästina-Demonstrationen organisieren. Es ist ein Phänomen, das in ganz Europa in Erscheinung tritt. Ein typisches Beispiel ist die Respect Party in Grossbritannien. Gegründet wurde sie von der trotzkistischen Socialist Workers Party und Anhängern der Muslimbruderschaft. Oft sind es Antisemitismus und ein antiwestliches Feindbild, die diese Kreise einen. Oder ein antisemitisch angehauchter Antikapitalismus, in dem das Jüdische einem Turbokapitalismus à la Wallstreet zugeschrieben wird.
Kommt es auch zu Allianzen zwischen Neonazis und muslimischen Antisemiten? In der Tat gibt es immer wieder solche Allianzen. So hatte zum Beispiel Ahmed Huber, ein inzwischen verstorbener Schweizer Holocaustleugner, der zum Islam konvertiert ist, eine solche Allianz angestrebt. Auch ist unter Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern eine grosse Schwäche für den Iran feststellbar, der als antiwestliche und antijüdische Kraft verehrt wird. Tatsächlich scheitern solche Allianzen aber in der Regel, sobald Rechtsextreme mit der Immigration von Muslimen konfrontiert werden.