Was sich Marcel von Allmens Mörder vom Gericht wünscht

BernerZeitung

Der Haupttäter im Mordfall Marcel von Allmen wehrte sich gestern vor Obergericht gegen seine lebenslängliche Zuchthausstrafe – in einem Pullover der Okkult-Heavy-Metal-Band Nightwish. Das Urteil folgt heute.

Der Schriftzug «Wish I had an Angel» prangt in roten Buchstaben auf der Rückseite des schwarzen Pullovers, in dem sich der heute 26-jährige Marcel M. vor der II. Strafkammer des bernischen Obergerichts gegen seine Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus wehrt. «Nightwish» ist auf der anderen, den drei Oberrichtern zugewandten Vorderseite des Pullovers zu lesen. «Wish I had an Angel»: Das ist der Titel eines Songs der finnischen Symphonic Metal Band Nightwish, die sich auf esoterisch und okkult angehauchten Heavy Metal spezialisiert hat. «Wenn die Nacht über die Schweiz bricht und die Dunkelheit das Licht raubt, dann ist es Zeit für einen Nachtwunsch», wirbt die Gruppe auf ihrer schweizerischen Website. Weitere Liedtitel der Gruppe: «Planet Hell», «Dead Gardens», «Angels Fall First», «Dead Boy?s Poem».

Der perfekte Soundtrack

Obwohl Szenekenner die Gruppe nicht direkt mit Rechtsextremismus in Verbindung bringen – der pompöse Metal-Sound und die opernhafte Stimme der Nightwish-Sängerin würden den perfekten Soundtrack für die Verfilmung der Tat liefern, welche 2001 das «Bödeli», die Gegend zwischen Brienzer- und Thunersee, erschütterte. 26 Tage lang bangten Marcel von Allmens Angehörige um das Leben des 19-jährigen Lehrlings – bis Polizeitaucher Marcel von Allmens misshandelte und mit einem Metallzylinder beschwerte Leiche bei den Beatushöhlen aus dem Thunersee bargen. Und mit jedem Ermittlungsschritt sollte das Entsetzten in der Bevölkerung noch wachsen: Denn es waren ehemalige Schulkollegen von Marcel von Allmen, die den Mord gestanden – Schulkollegen, die zur Tatzeit zwischen 17- und 22-jährig waren.

Das Schweigegelübde

Zudem wurde bald klar, dass die Tat einen rechtsextremen Hintergrund hatte. Das Opfer, Marcel M., Renato S., Michael S. und Alexis T. hatten auf dem «Bödeli» den «Orden der Arischen Ritter» gegründet – zwecks Widerstands gegen angeblich pöbelnde Ausländer auf dem «Bödeli». Doch dann machte Marcel von Allmen einen Fehler – einen tödlichen Fehler. Er redete auf dem «Bödeli» über den Orden – und brach damit das mit seinen Ordensbrüdern vereinbarte Schweigegelübde. Diese lockten ihn unter einem Vorwand zur mittelalterlichen Ruine Weissenau am Thunersee, legten ihm Handschellen an, klebten ihm den Mund zu – und Marcel M. schlug mit einem Stahlrohr zu. Immer wieder. Den Sterbenden warfen die Täter danach bei der Beatenbucht aus 80 Metern Höhe in den Thunersee.

Das umstrittene Gutachten

Jetzt wehrt sich Marcel M. – seine ehemaligen Mitbrüder des «Ordens der Arischen Ritter» haben ihre Verurteilungen zu je 16 Jahren Zuchthaus akzeptiert – vor Obergericht gegen die lebenslängliche Zuchthausstrafe, zu der ihn das Kreisgericht Interlaken-Oberhasli im März letzten Jahres verurteilt hat. Denn: Der deutsche psychiatrische Gutachter Volker Dittmann – laut Verteidiger Marcel Grass seiner Herkunft wegen gegenüber der rechtsextremen Gesinnung Marcel M.s voreingenommen – habe zu Unrecht bei seinem Klienten keine psychische Störung festgestellt, macht der Verteidiger geltend. Als «entlastendes Momentum» müssten bei der Strafzumessung ausserdem der Gruppendruck innerhalb des Ordens und negative Einflüsse von Gewaltdarstellungen in den Medien gewertet werden. «Es ist lächerlich, ausgerechnet dem sehr erfahrenen Gutachter Dittmann fehlende Unabhängigkeit vorzuwerfen», poltert Markus Weber, der oberste Staatsanwalt im Kanton Bern. Dittmann verkörpere die Psychiatrie geradezu.

Die parallelen Welten

Als «wesentliches Argument» gegen das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung von Marcel M. spreche dessen Fähigkeit, «parallel in zwei verschiedenen Welten» leben zu können, führt Gutachter Dittmann aus. «Denn in der bürgerlichen Welt konnte sich Marcel M. durchaus kontrollieren», sagt der Gutachter. In der Welt des «Ordens der Arischen Ritter» hingegen hätten für den «hochintelligenten» Marcel M. ganz andere Regeln und Verhaltensweisen geherrscht – mit den bekannten Folgen. «Marcel M. und seine Mordbuben haben ihr Opfer gnadenlos in den Tod gelockt – so etwas habe ich in meiner 30-jährigen Tätigkeit in der Strafjustiz noch nie erlebt», stellt Staatsanwalt Weber fest. Die lebenslängliche Strafe sei vom Obergericht zu bestätigen. Verteidiger Marcel Grass hingegen fordert die (bereits erfolg- los beantragte ) Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, eventualiter 15 Jahre Zuchthaus für seinen Klienten. Das Urteil wird heute eröffnet.