Warum Statuen vom Sockel sollen

Thuner Tagblatt. Rassismus-Debatte. Um Denkmäler, die auf die Kolonialzeit zurückgehen, wird derzeit weltweit gestritten. Diskutiert wird auch in Zürich und in Baselland, vor allem aber in Neuenburg, der einstigen Hauptstadt der Schweizer Sklaverei-Geschäfte.

Es war alles bereit für die Schönheitskur. Das Gerüst montiert, die Seife parat. Doch dann wurde die alljährliche Putzete der wichtigsten Statue von Neuenburg am letzten Donnerstag plötzlich abgeblasen. Eine Politur von David de Pury wäre in diesen Tagen wohl dann doch zu viel gewesen; zu viel der Symbolik, gerade in diesen erregten Zeiten.

Denn um den Sohn der Stadt, der im 18. Jahrhundert auszog, um in Lissabon unendlich reich zu werden, und seinem Neuenburg umgerechnet 600 Millionen Franken vermachte, wird gerade heftig gestritten. Nicht zum ersten Mal werden dem Bienfaiteur, dem Wohltäter, dreckige Geschäfte nachgesagt.

De Pury sei einer gewesen, der aus dem Leid von Sklaven riesige Profite geschlagen habe, behauptet eine Gruppe von jungen Stadtbewohnern. Collectif pour la Mémoire nennen sie sich. Als politisch unabhängig bezeichnen sie sich, ohne hierarchische Struktur. Mattia Ida spricht für die Gruppe: «Die Figur de Pury steht für die weisse Herrschaft, für die rassistische Vergangenheit der Schweiz», sagt er. Zusammen mit seinen Mitstreitern hat Ida eine Onlinepetition gestartet. Die Aktion zur Entfernung der Statue hat bereits über 2200 Unterstützer gefunden. «Das ging viral, ein Erfolg, der zeigt, dass wir nicht mehr einfach Zuschauer bleiben wollen.»

Auch die neutrale Schweiz, in der offiziellen Geschichtsschreibung ein Land ohne Kolonien, ist nun plötzlich Teil einer weltweiten Debatte. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd wird in vielen Ländern Rassismus angeprangert, täglich kraftvoller. Unter die Rufe gegen Polizeigewalt und alltägliche Ausgrenzung mischen sich nun Forderungen zu einer selbstkritischeren Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sklaverei.

Bilder des Sturzes der Colston-Statue ins Hafenbecken von Bristol (GB) gingen um die Welt, am Samstag geschah in New Orleans (USA) Ähnliches. Auch in Belgien, in Frankreich und in Neuseeland wird um Statuen und Monumente gerungen, manchmal konstruktiv, manchmal destruktiv. Und überall wird gefordert: Fort mit diesen Profiteuren des Sklavenhandels!

Huldigung für Kinderhändler

Der Imperativ der Strasse ist in Städten wie Bristol oder New Orleans, beide eng mit der Geschichte der Sklaverei verstrickt, besonders laut. Aber er ertönt auch in der Schweiz. Nicht nur in Neuenburg, sondern auch in Rünenberg bei Sissach BL. Denn dort haben die Juso Baselland mit einer Guerilla-Aktion letzte Woche auf das Denkmal von Johann August Sutter aufmerksam gemacht. Sie hat es mit einem Tuch verhüllt.

Der Findling erinnert an einen Abenteurer mit Heimatort Rünenberg, an einen, der später in Kalifornien zu Vermögen kam, die Kolonie Neu-Helvetien aufbaute und als Gründervater von Sacramento gilt. Nur: General Sutter, wie er sich selbst nannte, baute seinen Wohlstand nach etlichen Konkursen auf einer zweifelhaften Geschäftsidee auf. Laut der Schweizer Historikerin Rachel Huber spezialisierte sich Sutter auf den Handel mit Kindersklaven von amerikanischen Ureinwohnern.

«So ein rassistischer Mensch verdient keine Ehrung», sagt Anna Holm. Die Präsidentin der Baselbieter Juso hat die frühmorgendliche Verhüllung des Sutter-Steins aufgegleist. Anmalen oder gar beschädigen wollten sie das Denkmal aber nicht. «Es hätte der Diskussion eine falsche Richtung gegeben.» Holm will vielmehr die «schockierend schlechte Erinnerungskultur in Baselland» verändern, will, dass der selbstgefällige Umgang mit strukturellem Rassismus ein Ende findet. «Wir brauchen darum ein Mahnmal, kein Denkmal.»

Die örtlichen Behörden ignorierten die Aktion bisher. Stellung nehmen wollten sie auf Anfrage nicht. Auf der Website von Baselland Tourismus ist der Eintrag zum selbst ernannten Schweizer General revidiert worden. Ein erster Schritt, sagt Anna Holm dazu, weitere müssten aber folgen – vor allem politische.

Derzeit stehen aber radikale Forderungen im Vordergrund: Die Gesellschaft soll sich ändern. Sofort. Darum muss der Sutter-Stein weg. Auch das Escher-Monument beim Zürcher Hauptbahnhof. Die De-Pury-Statue in Neuenburg sowieso. Die Geschichte dieser Männer müsse neu erzählt werden. In Sacramento sind sie bereits daran. Am Montag wurde die Sutter-Statue abgebaut. Ohne Vorankündigung.

«Es braucht immer Kontext»

Bouda Etemad weiss, wie man Vergangenheit erzählt. Der iranischstämmige Genfer ist emeritierter Professor für Geschichte und vor allem: Mitautor des Standardwerks «Schwarze Geschäfte», das die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert untersucht. Dass die Debatte die Schweiz erreicht hat, überrascht ihn nicht. Auch wenn die offizielle Schweiz nie in den Sklavenhandel involviert gewesen sei, habe es doch einige Schweizer Institutionen und Personen gegeben, die von diesem Geschäft profitiert hätten. «Und David de Pury aus Neuenburg gehörte definitiv dazu. Aber war er darum ein Sklavenhalter?»

Als Historiker müsse er diese Frage mit einem klaren Nein beantworten, sagt Etemad. Weder habe er ein Sklavenschiff besessen noch Plantagen in Übersee. Der strenge Protestant sei ein Grosskapitalist gewesen, der in alle möglichen Geschäftsfelder seiner Zeit investiert habe – und dazu gehörten eben auch Geschäfte, die auf Sklaverei beruhten. «Aus der damaligen Perspektive war das nicht nur legal, sondern moralisch auch nicht besonders verwerflich.»

Er will damit nicht werten, nur einordnen. Denn Bouda Etemad ist Historiker. Das bedeutet, dass sich der 71-Jährige keine moralisch geprägte Sicht auf die Vergangenheit aneignen will. «Es braucht immer Kontext. Darum fände ich eine Entfernung einer De-Pury-Statue nicht angemessen.» Einen Diskurs, der Licht auf eine dunkle Zeit wirft, begrüsst er aber sehr. «Doch alles andere ist nur Meinung und nicht wissenschaftlich.»

Mattia Ida, der junge Aktivist, will de Purys Taten nicht relativieren. Sie seien moralisch verwerflich gewesen, sagt er. Und ja, der Neuenburger sei als Teilhaber einer Gesellschaft, die mit Sklaven handelte, durchaus direkt beteiligt gewesen. Dennoch. Auch der Mann aus der Gegenwart will die Geschichte der Stadt nicht löschen.

«Dingen auf den Grund gehen»

Denn Neuenburg ist mit der Geschichte der Sklaverei verbandelt wie keine andere Schweizer Stadt. Neben den de Purys gibt es noch weitere Neuenburger Patrizierfamilien, die in dieser Epoche mit globalem Handel reich geworden sind. Das prächtige Anwesen du Peyrou mitten im Zentrum, heute ein Edelrestaurant, zeugt davon; auch die Bibliothek, die Universität, das Spital, zahlreiche Herrenhäuser in der Altstadt.

Neuenburg müsse mit diesem Erbe leben, sagt der Aktivist. Und davon erzählen. «Wir wollen, dass das offengelegt wird und ein Diskurs auf nationaler Ebene angeregt wird.» Ein Nachfahre der Familie hat sich mittlerweile dazu geäussert. Nicolas de Pury, Vertreter der Grünen im Neuenburger Generalrat, unterstützt laut der Lokalzeitung «Arcinfo» eine historische Forschung – «um den Dingen auf den Grund zu gehen».

Noch läuft die Onlinepetition. Das Ziel von 3000 Unterschriften wird erreicht werden. Das Collectif will damit ins Stadthaus und ihre Forderung deponieren. Dort signalisiert Stadtpräsident Thomas Facchinetti Gesprächsbereitschaft, lässt aber auch verlauten: Der politische Weg müsse beschritten werden.

Demokratie braucht Zeit. Geschichte sowieso.


Der Mohr im Wappen sorgt für Ärger

Er war Christ, Asket und Einsiedler, manchmal wird er auch der erste Mönch genannt: der heilige Antonius, der bis heute in zahlreichen Darstellungen geehrt wird, so auch auf dem Wappen der Gemeinde Möriken-Wildegg im Kanton Aargau, 4500 Einwohner, Ausländeranteil 22 Prozent. Doch das gibt nun zu reden. Denn der Begriff Mohr ist dieser Tage wieder in den Fokus des Interesses geraten. Vergangene Woche entschied die Migros, die Dubler-Mohrenköpfe aus dem Sortiment zu nehmen, weil der Begriff Mohr ein Zeichen von strukturellem Rassismus sei.

Die Ausläufer der Erregungswelle haben auch Möriken erreicht. «In den letzten Tagen habe ich deshalb wieder anonyme Mails gekriegt, in denen es heisst, unser Wappen sei furchtbar rassistisch», erzählt der Möriker Landammann Hans-Jürg Reinhart in seinem kleinen Büro des Gemeindehauses. Reinhart lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen.

Immer mal wieder geben im Zuge der Diskussion um strukturellen Rassismus die Mohren zu reden, die auf den Wappen verschiedener Schweizer Gemeinden zu finden sind. Meistens handelt es sich um die Darstellung von Heiligen, Königen oder Kirchenvätern, die man damit ehren wollte. Doch da diese Darstellungen stilisiert sind und die Merkmale afrikanischer Menschen entsprechend wiedergeben, gelten sie heute als rassistisch. «So stellte man sich damals halt einen Nubier vor», sagt Reinhart. «Aber unsere 700 Jahre alte Geschichte hat nichts mit Kolonialismus oder Sklavenhandel zu tun, auch der Ursprung unseres Wappens nicht.»

Er habe Mühe mit dieser Diskussion, sagt Reinhart, das Land habe schliesslich ganz andere Probleme. Im Dorf sei das Wappen auch noch nie Thema gewesen. Die Einzigen, die sich dafür interessierten, seien jeweils Journalisten. Oder anonyme Mailschreiber. Er sei zuversichtlich, dass das Gemeindewappen auch noch weitere 700 Jahre Bestand haben werde.