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Die Coronakrise überfordert rechtspopulistische Parteien in mehreren Ländern. Ihre Polemik geht ins Leere. Und sie mühen sich mit internen Problemen ab.
Julian Wermuth
Francesco Benini / ch media
Ein «politisches Erdbeben» sagte Heinz-Christian Strache für die Wahlen in Wien voraus. Er sollte recht behalten. Die österreichische Hauptstadt und mit ihr das ganze Land wurden am vergangenen Sonntag erschüttert. Das Beben verlief jedoch ganz anders, als es Strache vorhergesagt hatte.
Der Rechtspopulist verpasste mit seiner Liste den Einzug ins Wiener Parlament klar. Und die FPÖ, die Strache bis 2019 als Obmann angeführt hatte, büsste sagenhafte 24 Wählerprozente ein. Ein Absturz von 31 auf 7 Prozent ist selten für eine Partei in einer parlamentarischen Demokratie.
Nicht nur in Österreich fallen die Rechtspopulisten zurück. Sie gewannen an Unterstützung nach der Flüchtlingskrise von 2015. Die Alternative für Deutschland (AfD) schaffte 2017 den Einzug in den Bundestag deutlich; sie kam auf fast 13 Prozent. Nun liegt sie laut Umfragen unter 10 Prozent. In Italien schwindet derweil der Sukkurs für die Lega von Matteo Salvini.
Warum ist das so? Warum sind die Rechtspopulisten in mehreren Ländern in die Defensive geraten, nachdem sie noch vor kurzem grosse Wählerzuwächse verzeichnet hatten?
Populisten nehmen für sich in Anspruch, als Einzige zu verstehen, was das Volk will. Der Populismus – von rechts und von links – konstruiert einen Gegensatz zwischen dem Volk und einer abgehobenen Elite, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiregiert. Die Elite fällt Entscheide, die ihr selber nützen, dem breiten Volk jedoch schaden – so argumentieren Populisten überall auf der Welt.
Die Ausbreitung des Coronavirus zwang Regierungen dazu, Massnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Die Gefahr ist real; in Norditalien, Madrid und in Teilen Grossbritanniens waren Spitäler überlastet von den vielen Patienten, die plötzlich eingeliefert wurden.
Die Regierungen waren unterschiedlich erfolgreich mit den Massnahmen, die sie verhängten. Weite Teile der Bevölkerung in vielen Ländern halten den Politikern aber zugute: Es geht ihnen darum, die Zahl der Opfer zu begrenzen und dabei die Wirtschaft nicht übermässig zu schädigen. In Umfragen ist die Unterstützung für die Regierungen in Deutschland, Italien, Österreich und anderswo klar gestiegen.
Dagegen kommen Populisten nicht an. Wenn in einer akuten Krise das Volk meint, dass die politische Elite in seinem Interesse handelt – dann verpufft jegliche Polemik gegen «die da oben».
Populisten kultivieren Feindbilder. Sie sind erprobt darin, Emotionen zu schüren. Gegen Ausländer. Gegen Abzocker. Im Fall des Coronavirus ist aber nicht klar, gegen wen sich die Wut des Volkes richten soll. Präsident Donald Trump wettert gegen China, wo das Virus seinen Ursprung hatte. Die Polemik verfängt aber nur in Ansätzen, denn China ist für die meisten Amerikaner vor allem eines: sehr weit weg.
Björn Höcke von der AfD sagte im August: «Corona ist vorbei und wird auch nicht wiederkommen.» Nun erfasst gerade die zweite Coronawelle Deutschland. Die Populisten blamieren sich mit ihren Versuchen, die Intensität der Pandemie herunterzuspielen. Es ist nichts Neues, dass sich Populisten von wissenschaftlich erhärteten Fakten nicht beeindrucken lassen. Den Verharmlosern gehen aber die Argumente aus, wenn selbst Landspitäler wie in Schwyz Appelle an die Bevölkerung richten, man möge doch bitte keine Feste mehr feiern und Masken tragen, weil andernfalls die Intensivstation bald die Belastungsgrenze erreiche.
Ein Problem für die Populisten ist auch, dass sie sich in ihrer Kritik an den Coronamassnahmen in einem Boot mit Verschwörungstheoretikern finden. Mit Gruppen, die verbreiten, dass Bill Gates das Virus auf die Menschheit losgelassen habe. Oder dass eine global agierende Elite Kinder gefangen halte, um ihnen Blut abzuzapfen und sich damit zu verjüngen. Dem Dumpfsinn sind keine Grenzen gesetzt, und die Populisten finden sich mittendrin.
Nun gibt es auch Länder, in denen die Bevölkerungen nicht zufrieden sind mit der Arbeit der Regierung in der Coronakrise. Grossbritannien wird von einem Politiker regiert, der populistische Methoden anwendet. An der Spitze der amerikanischen Regierung steht Donald Trump, der sich zum Populismus bekennt.
Boris Johnson fährt in der Coronakrise einen Schlingerkurs, Trump bagatellisiert das Virus, wo er nur kann. Das nehmen ihm vor allem ältere Amerikaner übel, die ihn 2016 unterstützten und nun zur Risikogruppe zählen. Nach Umfragen dürfte Trump am 3. November abgewählt werden. Der Rückstand auf Joe Biden wächst, während das Land bereits von der dritten Coronawelle erfasst wird: Täglich 60’000 neue Ansteckungen und 1000 Tote werden gezählt.
Fehlende Abgrenzung zum Rechtsextremismus
In Deutschland findet die Kritik der AfD am Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Coronakrise bisher wenig Widerhall. Das grösste Problem der jungen Partei ist jedoch ein anderes: Sie ist gespalten in ein nationalkonservatives und ein radikales Lager. Letzteres grenzt sich nicht von Rechtsextremen ab. Es duldet im Gegenteil in seinen Reihen Exponenten wie Andreas Kalbitz, der Mitglied der «Heimattreuen Deutschen Jugend» gewesen war, einer Gruppe von Neonazis.
Kalbitz war Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg und Fraktionschef im Landesparlament. Er wehrte sich gegen die Absetzung von den Ämtern und gegen den Parteiausschluss. Wenig hilfreich war für ihn dabei, dass er im Sommer einem Parteikollegen einen Faustschlag versetzte, sodass dieser mit einem Milzriss ins Spital gebracht werden musste.
Der Konflikt zwischen Nationalkonservativen und Radikalen führte dazu, dass die AfD im September in gleich zwei Landesparlamenten den Fraktionsstatus verlor. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein waren mehrere Parteimitglieder aus den Fraktionen ausgetreten. Die AfD wird nicht zur Ruhe kommen, solange ihr Personen wie Björn Höcke angehören. Der Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag wird vom deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremer eingestuft. In den Bundesländern im Osten Deutschlands ist Höckes Parteiflügel besonders stark.
Es kommen viel weniger Flüchtlinge nach Europa
Im Jahr 2016 zählte Deutschland 745’000 Asylanträge, im laufenden Jahr sind es bisher 86’000. Die EU zahlt der Türkei Milliarden, damit das Land Migranten an der Weiterreise nach Griechenland hindert. Die Coronakrise führte zu einem weiteren Rückgang an Asylanträgen, weil viele Länder ihre Grenzen ganz schlossen.
Damit wird rechtspopulistischen Parteien ein Nährboden entzogen. Sie warnen vor der Überfremdung, vor islamisch geprägten Parallelgesellschaften in Westeuropa. Matteo Salvini fällt es schwer, dieses Thema mediengerecht zu bearbeiten, wenn viel weniger Migranten nach Italien übersetzen.
Ausserdem schlagen Politiker etablierter Volksparteien einen restriktiven Kurs ein, was die Aufnahme von Asylsuchenden anbelangt. Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos weigerte sich ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, Migranten in Österreich aufzunehmen. Er zog sich damit den Unmut der deutschen Kanzlerin Merkel zu. Für die FPÖ bleibt da wenig Raum zur Profilierung.
Skandale und grobe Fehleinschätzungen
Nach der desaströsen Wiener Wahl schob Heinz-Christian Strache den Medien und ihren «Anpatzungen» die Schuld zu. Das schöne österreichische Wort bedeutet «Verleumdungen». Natürlich ist das falsch. Jeder konnte im weltbekannten Ibiza-Video sehen, wie Strache der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen die Bereitschaft zur Korruption zeigte, zur verdeckten Übernahme der «Kronen-Zeitung» und anderem mehr. Der frühere FPÖ-Chef rechnete offenbar auch grosszügig private Auslagen zu Lasten der Partei ab. Straches Untaten führten zum Absturz der Freiheitlichen.
In Italien meinte Matteo Salvini 2019 nach den erfolgreichen Europawahlen, dass die Lega nun stark genug sei, um die Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung aufzukündigen. Diese wollte von Neuwahlen aber nichts wissen und fand flugs einen neuen Koalitionspartner, die Linksdemokraten. Salvini hatte sich verspekuliert. Seither wirkt er konfus. In der Coronakrise wechselt er zuweilen von Woche zu Woche seine Haltung.
Die Rechtspopulisten sind angeschlagen, aber sie sind nicht am Ende. Schafft Donald Trump Anfang November wider Erwarten die Wiederwahl, führt das wohl zu einer Belebung dieses politischen Lagers. In Italien geht der Einbruch von Salvinis Lega mit dem Erstarken der rechtsnationalen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni einher – politische Beobachter fragen sich, ob da nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Und in Frankreich könnte es Marine Le Pen 2022 erneut in die Endausscheidung gegen Emanuel Macron um das Amt des französischen Staatspräsidenten schaffen.
In der Coronakrise haben die Rechtspopulisten aber wenig zu bestellen. Das hängt auch damit zusammen, dass nun nüchterne Sachpolitik gefragt ist, die sich auf die Erkenntnisse von Wissenschaftern stützt. Den Populisten liegen grobe Vereinfachungen, Schuldzuweisungen und Polemik näher.