War Gummischrot unverhältnismässig? Nach Video wird erneut Kritik an Basler Polizei laut

bzbasel.ch

In den sozialen Medien kursiert derzeit ein Video zur «Basel Nazifrei»-Demo von 2018. Zu hören sind darin Polizisten, die über den kontrovers diskutierten Polizeieinsatz sprechen. Was steckt dahinter?

von Silvana Schreier – bz

Video von Basel Nazifrei zu einem angeblichen «Aktenleak»© Facebook / Basel Nazifrei

Video von Basel Nazifrei zu einem angeblichen «Aktenleak»© Facebook / Basel Nazifrei

«Die Steine wären nicht geflogen, wenn wir nicht Gummi gegeben hätten.» Diese Aussage soll von einem Basler Polizisten stammen, der im November 2018 Teil des Polizeieinsatzes an der unbewilligten «Basel Nazifrei»-Kundgebung war.

Die Teilnehmenden wollten damals eine Demonstration der rechtsextremen Partei PNOS verhindern. Bei den Ausschreitungen wurden mehrere Personen, darunter auch Polizeibeamte, verletzt. Derzeit laufen mehrere Gerichtsverfahren gegen Kundgebungsteilnehmende vor dem Basler Strafgericht.

Sind diese Aufnahmen echt?

Nun haben «Basel Nazifrei»-Aktivisten am vergangenen Wochenende ein neues Video in den sozialen Medien verbreitet. Die darin enthaltenen Audioaufnahmen sollen aus den Ermittlungsakten der Polizei stammen, die der Gruppe zugesendet wurden. Zwei Polizisten sind zu hören, die über den Einsatz von Gummischrot sprechen. Ein Polizist sagt, sie hätten Gummischrot geschossen, um der PNOS den Weg freizumachen, «als Ablenkung».

Die Echtheit dieser Aufnahmen ist ungeklärt. Der Zeitpunkt der Publikation – einerseits kurz vor dem zweiten Wahlgang der Regierungsratswahlen am kommenden Sonntag, andererseits fast genau zwei Jahre nach der Demo von 2018 – scheint nicht zufällig gewählt. Die Basler Polizei teilt auf Anfrage der bz mit, keine Stellung abgeben zu können, da «es sich um Verhandlungsmaterial zu laufenden Verfahren zu handeln scheint».

War es eine Ablenkung, dann «hochproblematisch»

SP-Grossrat und Basler Anwalt Christian von Wartburg vertritt einen Demo-Teilnehmer vor Gericht. In diesem Zusammenhang hat er einen Zusammenschnitt des Videomaterials der Polizei erhalten, in denen es um seinen Klienten geht. Von Wartburg sagt: «Es gibt daneben unglaublich viel Material. Ich gehe davon aus, dass dieses Video mit den Aussagen der Polizisten echt ist.» Als Verteidiger werde er im Verfahren seines Klienten «alles daran setzen, dass diese Aussagen geklärt werden».

Auf den Videos, die von Wartburg bereits gesichtet hat, sei kurz vor dem Einsatz von Gummischrot durch die Polizei kein gewalttätiges Verhalten vonseiten der Demonstrierenden zu sehen. «Wenn diese Aktion tatsächlich zur Ablenkung stattfand, ist dies hochproblematisch und muss untersucht werden», so der Anwalt. Der Einsatz von Gummigeschossen sei nur gerechtfertigt, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung stehe.

Wenn diese Aktion tatsächlich zur Ablenkung stattfand, ist dies hochproblematisch und muss untersucht werden.

Christian von Wartburg, SP-Grossrat und Anwalt

So schrieb denn auch die Regierung auf eine schriftliche Anfrage im Jahr 2016, dass die Kantonspolizei Basel-Stadt, die ihr zur Verfügung stehenden Kollektivmittel – etwa Gummischrot und Tränengas – mit grosser Zurückhaltung und nur dann einsetze, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung stehe. Gemäss dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Die Mittel würden dabei, so die Regierung, als Distanzmittel oder zur Auflösung von Ansammlungen dienen. Der Einsatz von Gummigeschossen einzig zur Ablenkung wäre deshalb «wohl klar unverhältnismässig», sagt von Wartburg.

Von Wartburg fragt: «Warum hat man rund 60 Prozesse gegen Beteiligte eröffnet, aber nicht mit gleicher Akribie das Handeln der Polizei untersucht?» Denn wenn das Video bereits Teil des Materials in den Ermittlungsakten war, hätte die Staatsanwaltschaft seit Längerem davon gewusst. «In diesem Fall muss geklärt werden, ob es auch eine sorgfältige Untersuchung des Polizeieinsatzes gegeben hat. Wenn nicht sind auch politische Konsequenzen gefragt.»