Von Tierliebe und Fremdenhass

WochenZeitung

Marc Badertscher

Eine junge Frau versuchte, eine Asylunterkunft anzuzünden. Vergangene Woche stand sie vor Gericht.

Jetzt geht Nadine S. jeweils mit dem Hund spazieren, wenn sie wütend ist und Frust abladen muss. Das ist früher anders gewesen. Zum Beispiel an jenem Sommerabend im Juli 2000. Sie möchte einen Papagei kaufen. Ihre Eltern sind dagegen, es kommt zu einem heftigen Streit. Wütend geht die 19-Jährige weg und trifft sich mit ihren Kollegen in Ormalingen. «Mit diesen Leuten da», wie der Gerichtspräsident sie später nennt. Nadine S. beschafft sich am selben Abend zwei Kanister Benzin, fährt gegen Mitternacht zur Asylbewerberunterkunft Möhlin und schüttet das Benzin an die Holzfassade. Ein jugoslawischer Bewohner riecht das Benzin und verlässt die Baracke. Als die junge Frau ihn sieht, rennt sie davon. Der Anschlag misslingt. Doch sie wird erwischt und angeklagt. 16. Januar im Gerichtsgebäude in Rheinfelden, Kanton Aargau: «Weshalb haben Sie keinen Heustall gewählt?», fragt der Gerichtspräsident. Nadine S. schweigt, weiss keine Antwort. Sie trägt einen dunkelroten Pullover, den langen Stoffmantel hat sie abgelegt. Die Befragung verläuft schleppend. Es dauert lange, bis sie sagt: «Damals habe ich in den falschen Kreisen verkehrt … in rechtsradikalen.» Nadine S. ist die Erste, die an diesem Morgen das Wort «rechtsradikal» ausspricht. Die Befragung ist zu diesem Zeitpunkt schon eine Stunde in Gang. Nadine S. erzählt, ein Kollege aus der Gewerbeschule habe sie mit «diesen Leuten» bekannt gemacht. Eine Richterin hakt nach: «Weshalb sind Sie denn bei diesen Leuten in Ormalingen geblieben?» Langes Schweigen. Nadine S. rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. Zögernd sagt sie: «Weil wir es lustig hatten.» Der Gerichtspräsident braust auf: «Das ist wohl nicht das Einzige, worauf es ankommt.» Nadine S. antwortet nicht. Mit «diesen Leuten» ist die Skinhead-Gruppe Blood & Honour gemeint. Der Staatsschutzbericht führte zu jener Zeit Nadine S. als aktives Mitglied dieser berüchtigten Gruppe. Einen Hund, einen Dobermann, besitzt Nadine S. erst seit einigen Monaten, jeden Samstag geht sie nun mit ihm in die Hundeschule. Doch schon früher spielten Tiere in ihrem Leben eine wichtige Rolle. Sie betreute ein Pferd, mit dem ausser ihr niemand umgehen konnte, und sie beherbergte zahlreiche weitere Haustiere: zwei Katzen, Zierfische, einen Leguan, einen Gecko, rund ein Dutzend Vogelspinnen und vier Schlangen. «Giftschlangen?», will der Gerichtspräsident wissen. «Nein, Würgeschlangen», sagt Nadine S.

Sie gibt zu Protokoll, dass sie von einer 16-jährigen Frau wusste, die im Frühjahr 2000 mit drei Kollegen ein Asylbewerberheim in Küsnacht anzündete. «Hat sie das inspiriert?»

«Nein.»

«Hat jemand sie gedrängt?»

«Nein.»

«War es eine Mutprobe?»

«Nein.»

Nadine S. sucht den Blickkontakt zu ihrer Freundin, die in der hintersten Reihe im Saal sitzt. Nadines Eltern sind dem Prozess ferngeblieben, ebenso ihre zwei Schwestern. Beim Brandanschlag hat es einen Mitwisser gegeben. Jenen jungen Mann, der Nadine S. das Benzin brachte, mit dem sie die Holzfassade der Baracke tränkte. Überhaupt waren es fast nur Männer, mit denen sie sich in Ormalingen jeweils getroffen und «über Gott und die Welt geredet» hat. Wie auch in ihrer Autowerkstatt, wo sie die Mechanikerlehre machte: zehn Mechaniker, sechs Stifte, ein Vorgesetzter. Die Richter und Richterinnen wollen es genau wissen. Nadine S. sagt, sie sei Alleintäterin. Dasselbe steht auch in der Anklageschrift.

In einem anderen Fall hat Nadine S. nicht allein gehandelt. Das war zwei Monate vor ihrem Versuch, die Asylunterkunft anzuzünden. Mit ihren Kollegen aus der rechtsextremen Szene schnitt sie in Schrebergärten Fahnen von den Masten. Sie wollten damit ihre Zimmer dekorieren. Deliktsumme: 2000 Franken. «Hat jemand im Raum noch weitere Ansprüche, die mit dieser Fahnengeschichte zusammenhängen?», fragt der Gerichtspräsident ins Publikum. Ein Ehepaar räuspert sich, der Mann winkt unsicher mit einer Rechnung. Sie sind vom lokalen Gartenverein. Nach kurzer, leiser Besprechung ziehen sie ihre Forderungen zurück. Eine andere, vergangene Geschichte kommt noch zur Sprache. Es geschah vier Jahre vor dem Brandanschlag. Nadine S. ging auf den Polizeiposten Möhlin und erstattete Anzeige: gegen einen Unbekannten. Ein Mann habe sie angehalten, angegriffen und mit einem Messer im Gesicht verletzt, sagte sie aus.

Im Laufe der jetzigen Untersuchung gesteht sie, die Verletzungen habe sie sich damals selber zugefügt, es sei eine Falschanzeige gewesen. «Diesen Hilfeschrei verstand man nicht», sagt der Staatsanwalt den Richtern. Inzwischen hat Nadine S. die Lehre beendet und die Berufsmatur absolviert. Im Herbst möchte sie ans Technikum in Biel wechseln und sich zur Autotechnikerin ausbilden lassen. «Sie haben jetzt einen Freund», sagt der Gerichtspräsident mehr konstatierend als fragend. «Ja, er gibt mir Halt.»

Die Anklage lautet auf versuchte Brandstiftung, weil Nadine S. die bereits gelegte Benzinlunte nicht mehr anzündete, als der Asylbewerber sie hantieren sah. «Erst später wurde mir bewusst, was hätte geschehen können», sagt Nadine S. Sie wiederholt diesen Satz. Doch der Staatsanwalt zweifelt am Reuebekenntnis. «Noch im letzten November weigerte sie sich, an ihrer Persönlichkeit zu arbeiten. Das zeigt das psychiatrische Gutachten», sagt er zu den Richtern. Die Freundin in der hintersten Reihe schüttelt den Kopf. Der Verteidiger fragt am Ende der Verhandlung, ob das Gericht das Urteil am selben Tag bekannt geben könne. «Meine Mandantin hält dem Druck nur mit Mühe stand.» Die vierzehn Tage vor dem Gerichtstermin habe seine Klientin in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik Königsfeld verbracht. Sie leide unter Depressionen und sei suizidgefährdet. Das Gericht hat Nadine S. zu 18 Monaten bedingt verurteilt. Als strafmildernd beurteilte es, dass es beim Versuch geblieben war. Die RichterInnen auferlegten Nadine S., auch nach ihrem Klinikaufenthalt die Therapie weiterzuführen.

«Blood & Honour» existiert in der Schweiz seit 1998. Die Gruppe erhebt innerhalb der Schweizer Skinhead-Szene explizit einen Führungsanspruch. Der Organisation gehören laut Staatsschutzbericht mehrere Dutzend AktivistInnen an. Neumitglieder haben eine einjährige Probezeit zu bestehen, während der sie von einem älteren Mitglied als Paten betreut werden. Blood & Honour versteht sich als «Speerspitze im nationalen Kampf gegen eine multikulturelle Gesellschaft» und gibt eine eigene Zeitschrift heraus.