An drei Abenden im Mai 2002 hatten zwei 18- und 20-jährige Schweizer, damals bekennende Rechtsextreme und Ausländerhasser, zwei Tamilen und einen gehbehinderten Bosnier in Luzern auf offener Strasse brutal zusammengeschlagen. Mit stahlkappenverstärkten Stiefeln und Fäusten schlugen sie den Opfern so lange in Gesicht, Brust, Bauch und Rücken, bis sie von Unbeteiligten gestört wurden.
In einem wegweisenden Urteil bestrafte das Luzerner Obergericht die beiden nicht nur wegen Körperverletzung, sondern auch wegen mehrfacher Rassendiskriminierung. Grund: Die Täter trugen sehr kurze Haare, schwarze Kleidung, Bomberjacken mit «Skinhead»-Emblem und einem Abzeichen der «SS-Totenkopfverbände» sowie Stahlkappenschuhe. Die tamilischen Opfer waren auf Grund ihrer Hautfarbe klar als Ausländer erkennbar. «Somit sind die Angriffe klar als rassistische Akte zu qualifizieren», sagte Oberrichter Marius Wiegandt. Die Täter hätten sich beim gewalttätigen Vorgehen regelrecht in einen «Blutrausch» gesteigert.
Verletzung der Menschenwürde
In einem am Mittwoch veröffentlichten Leitentscheid hat das Bundesgericht den Luzerner Richtern zwar nicht im konkreten Einzelfall, aber dem Grundsatz nach Recht gegeben: Eine öffentlich verübte Gewalttätigkeit kann den Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllen. Nicht nur mit Worten oder Texten, sondern auch mit einer Gewalttätigkeit könne zum Ausdruck gebracht werden, dass man den Betroffenen als minderwertig ansehe. Damit werde seine Menschenwürde verletzt.
Laut Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs macht sich strafbar, «wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person (. . .) wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert». Bislang war unklar, was der Gesetzgeber mit der Umschreibung «oder in anderer Weise» gemeint hat. Diese Lücke hat das Bundesgericht jetzt geschlossen. Der Begriff «in anderer Weise» müsse verstanden werden als «auf jede denkbare Weise». Als weiteres Beispiel nannte das Bundesgericht Brandstiftungen. Auch mit einer solchen Tat könne die Antirassismus-Strafnorm verletzt werden, wenn gleichzeitig fremdenfeindliche Parolen skandiert würden. Rassistische Kommentare während der Gewalttat seien für eine Verurteilung nicht notwendig. Sie helfen laut Bundesgericht aber bei der Beurteilung, ob die Tat einen rassistischen Hintergrund habe.
Bei der Frage, ob eine Gewalttätigkeit auch rassendiskriminierend ist, orientierten sich die Lausanner Richter an der Rechtsprechung, die auch für die Rassendiskriminierungen in Wort oder Schrift gilt: Einerseits muss die Handlung öffentlich erfolgen. Andererseits muss sie für einen «unbefangenen durchschnittlichen Dritten auf Grund der gesamten Umstände des konkreten Falls als rassendiskriminierender Akt klar erkennbar» sein.
Im Fall von Luzern war dieser Zusammenhang offenbar nicht «klar erkennbar». Laut Bundesgericht waren die Täter nicht klar als Neonazis oder Rechtsextreme erkennbar. So seien die Bomberjacken für unbefangene durchschnittliche Dritte «ziemlich unauffällig» gewesen. Auch die Embleme «Skinhead» und «SS-Totenkopfverbände» seien mit einer Grösse von 4 × 1 Zentimetern «klein und schon aus wenigen Metern Entfernung nicht mehr zu entziffern oder zu erkennen».
Viele Gründe für eine Schlägerei
Das Bundesgericht erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass in der heutigen Zeit «Auseinandersetzungen zunehmend ungeniert auch im öffentlichen Raum gewalttätig ausgetragen» werden. Gerade in einer Gesellschaft, «in welcher viele Angehörige verschiedener Rassen und Ethnien nebeneinander und miteinander leben», sei nicht jeder Gewaltakt eine rassistische Tat. Vorstellbar seien «zahlreiche andere Gründe», wie Streit um Geld, um Drogen oder um ganz alltägliche Dinge.
Auch wenn die Täter in diesem konkreten Fall nicht wegen Rassendiskriminierung verurteilt werden können, darf das Luzerner Obergericht das rassendiskriminierende Tatmotiv straferhöhend berücksichtigen, wenn es das Strafmass für die Körperverletzungen neu festlegt.