Neue Zürcher Zeitung vom 30.12.1999
Wie die «Schweizerzeit» Jürgen Graf Beachtung schenkte
In der Woche vor den vergangenen eidgenössischen Wahlen hat ein Brief Christoph Blochers von 1997 für hitzige Diskussionen gesorgt. Darin lobt Blocher ein Buch Jürgen Grafs, in dem Graf den Holocaust leugnet. Blocher hat sich auf die Angriffe von seiten der Medien und der politischen Gegner mit dem Argument verteidigt, er habe beim Verfassen des Briefes Jürgen Graf nicht gekannt und das Buch nicht gelesen. In der Zeitung «Schweizerzeit» des SVP-Nationalrats Ulrich Schlüer und der Auns spielte Jürgen Graf allerdings bereits 1990 eine fragwürdige Rolle als «Experte» der Asylpolitik.
hof. 1989 und 1990 dominierten in der Schweiz – neben dem Mauerfall in Berlin – vor allem die Fichenaffäre und die Asylpolitik die politische Auseinandersetzung. Sorgte die Entdeckung der Tausenden von Fichen in den Kellern der Bundespolizei bei den Linken und weiten Teilen der Bürgerlichen für Kritik am «Schnüffelstaat», erkannte die nationalkonservative Rechte in der Ausländer- und Asylpolitik ein Thema, das geeignet war, die Rolle der Opposition deutlicher zu übernehmen und Stimmen zu gewinnen.
«Frontenfrühling»
Selbst für die von Christoph Blocher seit ihrer Gründung im Jahre 1986 präsidierte «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns), deren Hauptinteresse gemäss Statuten eigentlich der Aussenpolitik gewidmet ist, stand die Asylpolitik weit oben in der Traktandenliste.
Die Zustände im Asylwesen wurden im Rundbrief der Auns vom Oktober 1989 als «unhaltbar» beschrieben. Das üblicherweise weisse Papier des Rundschreibens war durch gelbes ersetzt worden und trug den Titel «Sofortmassnahmen im Asylwesen verlangt». Der Aufruf richtete sich gegen die bundesrätlichen asylpolitischen Massnahmen, die von der Auns als «völlig unzureichend» bezeichnet wurden. Der Aufnahme von Asylbewerbern müssten enge Grenzen gesetzt werden. Im April 1989 hatte der Bundesrat den Bericht für eine Flüchtlings- und Asylpolitik der neunziger Jahre vorgestellt. In der Folge schuf die Regierung das Bundesamt für Flüchtlinge, das sich mit seinen Mitarbeitern der zunehmenden Asylgesuche annehmen sollte. Nicht nur auf der verbalen Ebene schlugen die Wellen zu dieser Zeit hoch. In den Jahren 1989 bis 1991 war eine massive Zunahme rechtsextremer Gewalt gegen Asylbewerber und von Anschlägen auf deren Unterkünfte zu verzeichnen. Beobachter der rechtsextremen Szene sprachen von einem neuen «Frontenfrühling».
Graf macht sich einen Namen
Mitten in diesen asylpolitisch heissen Jahren erschien im Januar 1990 ein Buch mit dem Titel «Das Narrenschiff. Als Asylantenbefrager auf der Basilea» im Verlag Presdok. Autor war ein bis anhin unbekannter Jürgen Graf. Graf, 1951 geboren, hatte Sprachen studiert und arbeitete als Lehrer und Übersetzer. Als er nach einem längeren Aufenthalt in Taiwan 1988 in die Schweiz zurückkehrte, war er sechs Monate als Asylbewerber-Befrager in Basel tätig. Sein Arbeitsort war das Rheinschiff «Basilea», das als Empfangsstelle für Asylbewerber diente. Das «Narrenschiff» ist der Form nach eine subjektive Schilderung der Erlebnisse Grafs auf der Empfangsstelle, materiell ist es eine Abrechnung mit der Schweizer Asylpraxis, gespickt mit fremdenfeindlichen Äusserungen.
Der «Experte»
Anhand von verschiedenen Fällen versuchte Graf zu beweisen, dass sich auf den Empfangsstellen «unsägliche Schmierenkomödien» abspielten und die Befrager in den überwiegenden Fällen angelogen würden. Er prangerte den «Missbrauch» des Asylrechts an, das «längst zum Einfallstor für eine ungehemmte Einwanderung aus aller Herren Ländern geworden» sei. Graf kritisierte vor allem den Vollzug des Asylgesetzes. Dieser müsse zeitlich gestrafft werden, da die grosse Mehrzahl der Asylbewerber sowieso keine «echten» Flüchtlinge seien.
Wie bereits der damalige Rezensent der NZZ (31. 3./1. 4. 90) schrieb, belegte Graf die Behauptung nicht, die Verfahren dauerten zu lange. Graf war überzeugt, dass die Unterscheidung zwischen «echten» und «unechten» Flüchtlingen einfach zu treffen sei. Ein «echter» Flüchtling rede viel, zeige Emotionen, könne Dokumente vorweisen und weise oft Folternarben auf. Schliesslich aber gehe «von einem echten Flüchtling in fast jedem Fall eine erkennbare Ausstrahlung aus – er besitzt Persönlichkeit und ragt aus der anonymen Masse heraus». Und wie wenn Graf seine Zukunft als Holocaust-Leugner antizipieren würde, fügte er an: «Die Schlechtesten sind es ja nicht, die für ein Ideal, mag dies nun unserer Ansicht nach richtig oder falsch sein, Kopf und Kragen riskieren.»
Die «unechten» Flüchtlinge aber, wie zum Beispiel die Ghanesen, Zairer und Angolaner, seien «Asyltouristen und Asylschwindler (. . .), weiter nichts (. . .) Verwöhnte Bürschchen aus der Mittelschicht sind sie, basta.» Das von den Medien geprägte Bild von Afrika als einem Kontinent, auf dem «Misswirtschaft, Korruption, Bürgerkrieg und Terror» herrschen, werde auf den Empfangsstellen gründlich revidiert.
Jürgen Graf hatte keine Angst, für sein Buch «Beifall von der falschen Seite» zu erhalten. Dem Vorwurf, dass er ein Rassist sei, begegnet er mit dem einfachen Argument, dass er sich nicht als solchen betrachte: «Ob die paar hundert Neonazis, die es in der Schweiz geben mag, diesem Buch Beifall spenden oder nicht, ist mir herzlich gleichgültig. Ich gehöre nicht zu ihnen und lege ausgesprochenen Wert darauf, nicht mit jenen Denkern verwechselt zu werden, die Weisheiten wie Semmiten und Türken nach Auschwyz auf Parkbänke schmieren.»
Lob der «Schweizerzeit» und der Auns
Beifall erhielt Graf für sein Buch namentlich in der «Schweizerzeit», die damals wie heute von Ulrich Schlüer, inzwischen SVP-Nationalrat, herausgegeben wird. Am 19. Januar 1990 erschien darin eine wohlwollende Kritik. Der Schreiber mit dem Kürzel hs. begrüsst es, «dass hier endlich einmal ein Insider über den Asylmissbrauch informiert». Das Buch gehöre daher «in die Hand jedes politisch interessierten Zeitgenossen».
Bald darauf war das Thema «Missbrauch des Ayslrechts» der «Schweizerzeit» eine Sondernummer in der Grossauflage von 225 000 Exemplaren wert (März 1990). Jürgen Graf wurde darin als Zeuge einer «verfehlten» Asylpolitik dargestellt. Ein Gespräch mit dem «Asylantenbefrager» Graf machte den Auftakt auf der Frontseite. Die Hauptpunkte seines Buches werden vorgestellt: Die Asylbewerber würden sich durch «offensichtliche, allzuoft faustdicke Lügen einen Asylplatz erschleichen». Und das «bewusste Lügen» sei «organisiert». Auf mehreren Seiten werden Auszüge aus dem «Narrenschiff» abgedruckt. Darunter die Passagen über die Definition der «echten» Flüchtlinge und die schwarzafrikanischen Asylbewerber, in denen die fremdenfeindliche Attitüde Grafs klar durchscheint: «Sie [gemeint sind die Schwarzafrikaner] fahren schwarz, ohne dass ihnen je ein Schaffner eine Mohrenwäsche erteilt.»
In der «Schweizerzeit» wurde für das «Narrenschiff» kräftig die Werbetrommel gerührt. 1990 erschienen in fast jeder Ausgabe Inserate, Hinweise und Bestellscheine. Im Oktober wurde unter dem Artikel von alt Nationalrat Otto Fischer mit dem Titel «Unerträgliche Asylpolitik» in einem grossen Inserat die zweite und aktualisierte Auflage angepriesen. Auch in den Schreiben der Auns tauchte das Buch ab Januar 1990 regelmässig auf. In Klammern wurde zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Jürgen Graf Auns- Mitglied sei. Im Auns-Rundbrief vom April 1991 publizierte Norbert Bernhard einen Artikel zum «Asylwesen und Rassismus», der vom Tenor getragen wurde, dass die Linke durch die «Strapazierung» des Flüchtlingsbegriffs den Fremdenhass schüre. Das «Narrenschiff» wurde darin als «absolute Pflichtlektüre» bezeichnet.
Wandlung zum Holocaust-Leugner
Im selben Monat hielt Graf in Zürich einen Vortrag über das «Narrenschiff». Anwesend war auch Arthur Vogt, mit dem Graf ins Gespräch kam. Vogt ist ehemaliges Mitglied der Nationalen Aktion und Autor des 1994 von Max Wahl herausgegebenen rechtsextremen «Eidgenoss». Diese regelmässig erschienene Publikation wurde in der Folge des vom Volk gutgeheissenen Antirassismusgesetzes 1994 in seinem Erscheinen eingestellt. Vogt schuf sich über die Landesgrenzen hinaus den Ruf eines unbelehrbaren Leugners der Shoah. Die Begegnung mit Vogt und dessen Ideenwelt beeindruckte Graf tief (Die «Weltwoche», 8. 4. 93). Sollte Graf, der bereits die «Wahrheit» des Asylwesens in der Schweiz aufgedeckt hatte, bisher der «Holocaust-Lüge» aufgesessen sein? Vermittelten die Medien auch von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs ein falsches Bild, wie sie dies von der Dritten Welt und ihren Flüchtlingen taten? Musste hier nicht ein unerschrockener Forscher, der er doch in den Augen der «Schweizerzeit» und der Auns war, den Tatsachen auf den Grund gehen?
Erste Publikationen
Von nun an beschäftigte sich Graf privat mit der den Holocaust leugnenden und nationalsozialistischen Literatur. Und die Lektüre trug bald erste Früchte. 1992 erschien Grafs Buch «Der Holocaust auf dem Prüfstand. Augenzeugenberichte versus Naturgesetze». Es gehörte bald zur Standardliteratur des internationalen Negationismus. Die Negationisten verharmlosen und/ oder verleugnen die nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere die systematische Ermordung von Millionen von Menschen. Selber bezeichnen sie sich jedoch gerne als «Revisionisten», um damit den Anschein von Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen.
Graf bestreitet in seinen Publikationen die geplante Vergasung der Juden in den Vernichtungslagern der Nazis. In der breiten Öffentlichkeit entpuppte sich Graf im März 1993 als bekennender Negationist. Er verschickte das Buch an unzählige Personen, darunter alle National- und Ständeräte. Der Regierungsrat von Basel-Landschaft entliess den Lehrer Graf in der Folge fristlos. Nun wurden auch andere Presseerzeugnisse auf Graf aufmerksam. In der «Basellandschaftlichen Zeitung» (24. 3. 93) erklärte Graf, dass der «Blocher-Flügel der SVP und die Schweizer Demokraten seiner Linie» entsprächen. Die «Weltwoche» publizierte ein Porträt.
Drang zur Öffentlichkeit
Es kamen weitere negationistische Elaborate in Umlauf, gedruckt und im Internet. Graf ist begierig darauf, vor dem Gericht zur Verantwortung gezogen zu werden und derart ein neues Podium für sein Gedankengut zu finden. Im Februar 1994 wurde gegen Graf in Mannheim ein erstes Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet. In der rechtsextremen Szene gilt er nun als «Held», der sich für die Meinungsäusserungsfreiheit einsetzt, wie viele Internetseiten einschlägigen Inhalts dokumentieren.
In der «Schweizerzeit» und den Auns-Briefen war die Asylpolitik ab 1992 nicht mehr derart präsent. Auch Inserate für Grafs «Narrenschiff» finden sich keine mehr. Die meisten der 5000 Exemplare waren verkauft, auch dank der Werbung in der «Schweizerzeit». 1992 stand die EWR-Abstimmung vor der Tür, die den Grossteil des redaktionellen Raumes in Anspruch nahm. In der Asylpolitik zeichnete die «Schweizerzeit» auf populistische Art und Weise das Schreckensbild des asylsuchenden «Kriminaltouristen» in grellen Farben an die Wand. Oder sie druckt die Artikel des emeritierten Zürcher Geschichtsprofessors Peter Stadler zu den Themen «Zeitbombe Asylantismus» oder «Multikulturelle Gesellschaft – Illusion und Trugschluss».
Gegner des Antirassismusgesetzes
War der Name Jürgen Graf aus der «Schweizerzeit» verschwunden, tauchte er nun in den anderen Medien auf, insbesondere im Zusammenhang mit der Abstimmung über die neue Rassismusstrafnorm im Herbst 1994 und der Veröffentlichung des Rassismusberichts ein Jahr darauf. Diesem Bericht, in dem Jürgen Graf als Zugehöriger zu einer neuen Generation von Negationisten bezeichnet wird, widmete die «Schweizerzeit» einen ausführlichen Verriss, ohne Graf zu erwähnen. Im Vorfeld der Abstimmung berichtete die NZZ (9. 9. 94) über rechtsextremistische Strömungen in der Schweiz und erwähnte Graf als einen der Hauptexponenten.
Erneuter Massenversand
Im Kampf gegen die Antirassismus-Novelle erkannte Graf ein neues Betätigungsfeld. Zusammen mit seinem Mentor Arthur Vogt und Andreas J. W. Studer gründete Graf die «Arbeitsgemeinschaft zur Enttabuisierung der Zeitgeschichte». Sie leiteten den Massenversand eines Rundschreibens in die Wege, in dem die Existenz der Gaskammern in Abrede gestellt wird. Wiederum ging das Elaborat an 6000 Personen aus Lehre, Politik, Medien und der jüdischen Gemeinschaft.
Nach dem Inkrafttreten der neuen Rassismusstrafnorm wurde es möglich, Graf für seine Äusserungen auch in der Schweiz strafrechtlich zu verurteilen. Im April 1996 wurde am Bezirksgericht Baden Anklage von seiten der Staatsanwaltschaft wegen Rassendiskriminierung erhoben, und im Juli 1998 wurde Graf zu 15 Monaten unbedingter Gefängnisstrafe und 8000 Franken Busse bestraft. Einem Zivilkläger, der Graf zusätzlich wegen Beschimpfung einklagte, hat er 1000 Franken zu bezahlen. Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte das Urteil im Juni 1999. Der Angeklagte hat das Urteil per Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen, wo das Verfahren zurzeit hängig ist. Die Presse berichtete regelmässig über den Verlauf des Verfahrens (NZZ vom 6. 7. 95, 10. 4. 96, 12. 3. 98, 17. 7. 98, 22. 7. 98, 24. 6. 99).
Der Brief Christoph Blochers
In der «Schweizerzeit» tauchte Jürgen Graf erst wieder auf, nachdem der «Sonntags-Blick» kurz vor den vergangenen Wahlen den Inhalt des umstrittenen Briefs von Christoph Blocher einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte. Bereits 1997 hatte zwar die «Wochenzeitung» darüber berichtet, dass Blocher ein Buch des Negationisten Jürgen Graf gelobt habe. Damals aber sorgte die Meldung für keinerlei Aufmerksamkeit, wohl vor allem des fehlenden Wahlkampfs wegen. Nun bezeichnete «Schweizerzeit»-Herausgeber Ulrich Schlüer in seinem Kommentar (siehe Kasten) Jürgen Graf als das, was er in der Zwischenzeit geworden ist, nämlich als einen «Auschwitz-Leugner».