Verteilaktionen auf Aargauer Pausenplätzen

SonntagsZeitung

Bundespolizei leitet Untersuchung ein

von Andreas Kunz

Zürich – Schweizer Neonazis verteilen auf Schularealen gratis Musik-CDs mitrechtsextremem Inhalt. Durch eingängige Rocksongs sollen «Jugendliche zurnationalsozialistischen Bewegung geführt werden», rät der rechtsextremeVordenker Ian Stuart.

An den Aargauer Bezirksschulen von Reinach, Fahrwangen, Unterkulm undOberentfelden sind letzte Woche junge Rechtsextreme mit der Hassmusikaufgetaucht. «Wir haben 20 CDs beschlagnahmt», sagt Mediensprecher RudolfWoodtli von der Kantonspolizei Aargau. «Wir wissen, wer die CDs verteilthat.»

Ob gegen die Verteiler der Neonazi-Musik eine rechtliche Handhabe besteht, istunklar. «Wir warten auf den Bescheid der Bundespolizei», sagt Woodtli. Dorthat man am Mittwoch von den Vorgängen an den Aargauer Schulen erfahren undeine «minuziöse Untersuchung» eingeleitet, sagt Pressesprecherin FabienneSahli auf Anfrage.

Ob die Texte in der Schweiz strafbaren rassistischen Inhalt haben, ist offen. InDeutschland, wo die Gesetze gegen Rechtsradikale schärfer sind, konnten dieNeonazis ihre Rechtsrock-CD unbehelligt im Wahlkampf verteilen auch aufSchulhöfen.

Die CDs wurden von der deutschen NPD geliefert

Die «Schulhof-CD Der Schrecken aller linken Spiesser und Pauker» und«Anpassung ist Feigheit Lieder aus dem Untergrund» sind aus denWahlkampfbeständen der Nationaldemokra tischen Par tei Deutschlands (NPD).«Bestellungen aus der Schweiz haben wir ausgeführt», sagtBundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt.

Verantwortlich für die Verteilaktion in der Schweiz ist dieNeonazi-Organisation «Blood & Honour», aus der die rechtsextreme ParteiNational Orientierter Schweizer (Pnos) hervorging. «Die CD ist uns bekannt.Mit der Verteilaktion haben wir jedoch nichts zu tun», sagt Denise Friederich,Mediensprecherin der Pnos. Die Partei hatte mit überraschenden Wahlerfolgen inLangenthal BE und Günsberg SO Aufsehen erregt.

Die Aargauer Schulbehörden sind alarmiert. «Rechtsextreme Tendenzen an unserenSchulen können wir nicht tolerieren», sagt Nic Kaufmann, Mediensprecher deskantonalen Bildungsdepartements. Letzten Freitag erhielten deshalb alleAargauer Schulen per E-Mail einen Brief. Darin werden sie aufgefordert,Neonazis konsequent vom Schulareal wegzuweisen.

Neonazis machen Aargauer Schulhöfe unsicher

CDs mit Hassmusik wurden an Schüler verteilt ? Lehrer erstatten Strafanzeige

VON ANDREAS KUNZ

REINACH AG Letzten Mittwoch erschienen junge Männer mit Bomberjacken undSpringerstiefeln auf dem Schulhausareal von Reinach AG. Den 13- bis 16-jährigen Bezirksschülern verteilten sie CDs mit rechtsextremer Hassmusik. Dasgleiche passierte auf den Pausenplätzen der Bezirksschulen in den AargauerDörfern Fahrwangen, Unterkulm und Oberentfelden.

Auf Anraten der Kantonspolizei erstatteten die schockierten Lehrer Strafanzeige.« Es laufen Strafuntersuchungen » , sagt Rudolf Woodtli von der KantonspolizeiAargau. Doch die Neonazi- Propaganda stösst nicht auf taube Ohren. EinzelneSchüler haben über 70 Exemplare der einschlägigen CDs zum Verteilen bereit.« Bands wie Faustrecht oder Nahkampf predigen, dass verschiedene Kulturennicht zusammenpassen, was meiner Meinung nach auch stimmt » , sagte ein Fander CD gegenüber der SonntagsZeitung. Wer sich auf dem Pausenplatz offen gegendie Propaganda wehrt, muss dagegen mit Konsequenzen rechnen: « Weil ich die CDabgelehnt habe, werde ich ausgeschlossen und regelmässig angepöbelt » ,berichtet ein anderer Schüler.

il ich die CDabgelehnt habe, werde ich ausgeschlossen und regelmässig angepöbelt » ,berichtet ein anderer Schüler.

Regelmässig tauchten Neonazis auf den Pausenplätzen auf und zetteltenSchlägereien an, erzählen Schüler aus dem Aargauer Wynental. Daniel Schmid,Präsident der Schulpflege der betroffenen Kreisschule Homberg: « DieSchulleiter haben auf die Vorfälle reagiert. Wir prüfen interne und externeMassnahmen, um das Problem zu lösen. » Widerstand regt sich auch bei denSchülern. Sie verfassten Flugblätter, auf denen sie bei den Lehrern für «mehr politische Bildung in der Schule » werben. « Lehrer und Eltern sollendie CD mit ihren Kindern anhören, die Texte besprechen und einen Konsumsolcher Musik verbieten » , sagt Markus Furrer, Antirassismus- Projektleiterim Kanton Aargau.

Pausenplatzverbote für Neonazis wären nützlich

Per Gesetz sind politische Propagandaaktionen auf Schulplätzen nicht verboten.Unterbunden werden können sie nur, wenn die Schulleitungen Pausenplatzverbotefür die Neonazis einführen. « Wir empfehlen den Lehrern, Anzeige wegenHausfriedensbruchs zu erstatten » , sagt Nic Kaufmann, Mediensprecher derAargauer Bildungsdirektion. Verantwortlich für die Verteilaktion an SchweizerSchulen sind nach Recherchen der Sonntags- Zeitung Ableger der rechtsextremenOrganisation « Blood & Honour » ( « Blut & Ehre » ) . In konzertiertenAktionen werden die Rechtsrock- CDs an lokale Neonazi- Gruppen verteilt, diesie anschliessend an die Jugendlichen abgeben. Der Vertrieb im ganzendeutschsprachigen Raum wird über eine einschlägige Internetsite organisiert.Laut der Website sollen über 250 000 CDs verteilt werden. Die Jugend sei «heiss auf die Schulhof- CD » und soll zum « aktiven Handeln angeregt werden» . Für die Schweiz nennt die Website eine Kontaktadresse in Sempach LU.Über diese Propaganda- Website wird die Hetz- CD der NationaldemokratischenPartei Deutschlands ( NPD) vertrieben. Die Nazi- Propaganda basiert auf einerIdee des « Blood & Honour » – Gründers Ian Stuart: « Durch eingängigeMusik können Jugendliche zur nationalsozialistischen Bewegung geführt werden,auch wenn sie sich nicht für deren Ideologie interessieren. » Bereits imFrühling 2005 hat der Schweizer Zoll ein Paket mit « Project Schoolyard » -CDs abgefangen.

Der Adressat wurde wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz verurteilt.Trotzdem vertreibt die Berner Neonazi- Organisation « Bund Oberland » dieHass- CD weiter gratis auf ihrer Website.

Sachsen als Hochburg der Rechtsextremen

Vorbild für Schweizer Neonazis: Mit grossem Erfolg buhlt die NPD um die Gunstder Jugendlichen

BERLIN Das einstige Kulturhaus ist verriegelt und vernagelt. Es gibt keinenLaden mehr, auch kein Gasthaus. Zeissholz wirkt wie ein Geisterdorf. Ist esaber nicht. Ein paar Hundert Menschen leben in der Bauern- undBergarbeitersiedlung. Nirgendwo im Bundesland Sachsen haben die Neonazisletzten Sonntag ein besseres Ergebnis erzielt: 28 Prozent wählten dieNationaldemokratische Partei Deutschlands ( NPD).

Keiner regt sich auf. Weils ja nur halb so schlimm gekommen ist, jedenfalls imVergleich zu den sächsischen Landtagswahlen vor ein paar Monaten. Da fuhr dieNPD in Zeissholz sogar mehr als 40 Prozent der Stimmen ein.

Kein Wahlkämpfer verirrte sich ins Dorf, keine Plakate wurden geklebt. Das warbei den Landtagswahlen so ? und jetzt wieder. Nur die Sprüche derRechtspartei prangen an den Laternenmasten auf der Dorfstrasse. Zeissholz istvergessenes Terrain. Aufgegeben von den Demokraten. Diese lehnen sich zurück.Überall in Sachsen ist es nur « halb so schlimm » gekommen. « Eine rechteSzene kann ich nirgendwo entdecken » , sagt Bürgermeister Gottfried Krauseaus Neukirch bei Bautzen. Sieben Prozent bekamen die Rechtsextremen in seinemDorf. Im benachbarten Frankenthal dasselbe Bild. Auch hier will dieBürgermeisterin nichts wissen von irgendwelchen Radikalen.

Knapp fünf Prozent haben die Neonazis in Sachsen landesweit geerntet. Da hattenviele mehr erwartet. Doch die NPD hat einen langen Atem. Sie ist dabei, sich imOsten Deutschlands festzubeissen, sagt Toralf Staud, einer der wenigenprofunden Beobachter, und sieht eine « Faschisierung » der ostdeutschenGesellschaft: « Wer dem völkischen Weltbild nicht entspricht, muss im Alltagsehr tapfer sein ? oder er geht. »

Ein Drittel der Schülerinnen und Schüler hätte NPD gewählt

Kurz vor den Wahlen am vergangenen Sonntag gab es eine Umfrage unterJugendlichen, die noch nicht wahlberechtigt waren. Ergebnis: In weiten TeilenSachsens hätte ein Drittel der Schülerinnen und Schüler die Neonazisgewählt. Entsprechend gross war der Jubel in der NPD- Zentrale. UweLeichsenring, einer der Frontleute der NPD, wartet « sehnsüchtig darauf, dassdiese jungen Leute 18 werden » und wählen dürfen.

Die NPD ist Deutschlands älteste rechtsextreme Partei, aber auch die jüngste.Das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder beträgt nur 37 Jahre. Die Neonazissind kein Haufen alter Ewiggestriger. Wie niemand sonst buhlen die NPDler umdie Jugendlichen. Wo immer die Bürgermeister in den Städten und DörfernSachsens einen Jugendklub schliessen, weil angeblich das Geld fehlt, stösstdie NPD ins Vakuum. Neonazi Leichsenring weiss gar nicht, was er zuerstaufzählen soll. Mit Bergsteigerkursen, Schülerhilfen oder Singekreisen ziehtsich die NPD ungestört ihre Wähler von morgen heran. Kritiker Staud: « Wassich der Staat dort in den letzten zehn Jahren an Versagen geleistet hat, istwirklich atemberaubend. » Wer das Wort « Singekreis » hört, mag anLagerfeuer- und Volkslied- Romantik denken. Grosser Irrtum. « Lieder aus demUntergrund » heisst eine Rock- CD, die von der Naziszene mit einer Auflage von250 000 Stück gepresst wurde, damit sie vor allem an sächsischen Schulenverteilt werden konnte. Solche Saat trägt Früchte. Ulrike Schulz, Direktorineiner Chemnitzer Oberschule, fürchtet, dass bei ihren Schülerinnen undSchülern « rassistische Rhetorik längst en vogue » ist.

Den Wahlkreis 159 ( « Sächsische Schweiz » ) hat am letzten Sonntag zumwiederholten Male Klaus Peter Brähmig von der CDU gewonnen. Der wurde zuletztbekannt, als er im August auf einem Forum über « Patriotismus undHeimatgefühl » öffentlich die deutsche Nationalhymne sang.