Im Kanton Thurgau traten in letzter Zeit vermehrt rechtsextreme Aktivisten in Erscheinung
Thurgauer Politiker reagieren differenziert auf die zunehmenden rechtsextremen Auftritte. Die Versammlungsfreiheit solle gelten, gegen Gewalt sei einzuschreiten.Thomas Wunderlin
In der Nacht zum 27. April überfielen sieben 18 bis 23 Jahre alte Rechtsextreme aus Zürich und dem Aargau zwei Besucher eines Ska-Punk-Konzerts in Frauenfeld und verletzten einen davon schwer. Die Täter sind in Haft; einer hat Selbstmord begangen.
Am Samstag, 24. Mai, demonstrierten in Frauenfeld 300 Linksautonome gegen den «braunen Sumpf». Dabei kam es zu einer kurzen gewalttätigen Auseinandersetzung mit 30 Skinheads.
Letzten Samstag nahmen 140 Personen in Hessenreuti bei Sulgen an einer Versammlung des «Patriotischen Ostflügels» teil – laut Staatsschutzbericht von 1997 handelt es sich um eine «rechtsextreme Skinhead-Gruppe». Schon zum zweiten Mal versammelte sie sich in Hessenreuti. Ähnliche Versammlungen gab es auch schon an andern Orten im Kanton, etwa in Müllheim.
Für nächsten Samstag hat die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) in Frauenfeld zu einer Demonstration «gegen Ausländergewalt» aufgerufen. Die linksautonome Szene ruft unter dem Motto «Gib PNOS keine Chance» zu einer Gegendemonstration auf.
Graf: Importierte Symptome
Thurgauer Politiker beobachten den Aufmarsch der rechten Szene mit Zurückhaltung. «Wir verfolgen die Entwicklung im Gewaltbereich», sagt der Vorsteher des Justizdepartements Claudius Graf-Schelling. Bei den Thurgauer Rechtsextremen stelle man keine Zunahme der Szene und auch keine Zunahme der Gewaltbereitschaft fest. Hingegen gebe es «importierte Symptome», die vermutlich aufgrund persönlicher Kontakte in den Thurgau kämen. Es gebe vermehrt Ska-Konzerte, die Anarcho-Punker aus Zürich und damit auch Skinheads anlockten. «Grundsätzlich ist es für Skinheads nicht verboten, sich zu versammeln», stellt Graf fest.
Skinheads räumten auf
In Hessenreuti habe der Grundbesitzer die Versammlung bewilligt, betont Polizeisprecher Rolf Müller. Die Teilnehmer hätten kein Material mitgeführt, das gegen die Antirassismus-Norm verstosse: «Der Polizei waren die Hände gebunden.» In Müllheim hatte die Gemeinde nach einer Rechtsextremen-Versammlung den Grundeigentümern empfohlen, keine solche Zusammenkünfte mehr zu gestatten. Der Vize-Gemeindeammann von Sulgen, Christian Kraft, hält nichts von einem solchen Aufruf: «Wenn sie hier nicht zusammenkommen können, kommen sie woanders zusammen.» Der Grundbesitzer sei mit den Veranstaltern zufrieden, wie er gehört habe. Das Grundstück sei gut aufgeräumt worden. Eine Ruf-Schädigung Sulgens befürchtet Kraft nicht. «Wir müssen uns bei den Skinheads zu einer differenzierten Haltung durchringen», sagt SVP-Fraktionschef Jakob Stark, nicht alle seien rechtsextrem. Im Thurgau gebe es keinen braunen Sumpf. Grundsätzlich gelte Meinungsfreiheit. Falls jemand an Leib und Leben oder am Eigentum geschädigt werde, müsse man «rigoros vorgehen». Von einer Demonstration gegen «Ausländergewalt» hält CVP- Fraktionschef Max Brunner wenig: «Die Frage ist, ob man damit weiterkommt – es gibt auch Gewalt von Schweizern.» Falls die Demonstranten friedlich seien, gelte für sie die Versammlungsfreiheit, «auch wenn sie anders denken als der Rest der Welt».
«Linke» gegen «rechte» Schüler
Von einem braunen Sumpf im Thurgau weiss auch der Frauenfelder Schulpräsident Hans Eigenmann nichts: «Eine solche Szene gibt es überall.» An der Frauenfelder Oberstufe liefern sich eine linke und eine rechte Gruppe gelegentlich Auseinandersetzungen, die zu Gewalt tendieren, bestätigt Eigenmann. Dazu komme eine dritte Gruppe fremdsprachiger Schüler, die zur linken Gruppe tendierten. Bei den 13- bis 16-Jährigen könne man jedoch nicht von einer politischen Haltung sprechen: «Es sind Mitläufer, die sich in einer Gruppe aufgehoben fühlen.»
Angenehmes Schulklima
Er nehme das Problem ernst, ohne es zu übertreiben, betont Eigenmann. Betroffen seien 30 bis 40 der insgesamt 1200 «vernünftigen» Oberstufenschülerinnen und -schüler. Lehrer etwa aus dem Kanton Zürich wunderten sich immer wieder über das angenehme Schulklima in Frauenfeld. Die Schulbehörde stehe in Kontakt mit der Polizei. Vor drei Wochen sei es bei einem Fest am Ende einer Projektwoche zu einer Keilerei gekommen, bei der zwei Schüler Verstärkung von aussen geholt hätten: «Keine Katastrophe.» Bei der Talentnacht im Oberstufenzentrum Auen letzten Freitag habe die Schulbehörde Sicherheitsleute engagiert. Der Anlass sei ungestört verlaufen.
Der Grundeigentümer war zufrieden: Versammlung des «Patriotischen Ostflügels» in Hessenreuti.
Demo abgelehnt
Der Stadtrat Frauenfeld hat das Gesuch rechtsextremer Kreise abgelehnt, die nächsten Samstag in der Frauenfelder Innenstadt gegen «Ausländergewalt» demonstrieren wollten. «Der Stadtrat fürchtet um die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer und sieht auch die öffentliche Sicherheit in Gefahr», heisst es in einer Medienmitteilung. Laut Stadtratssprecher Fredy Marty war der Anlass für das Gesuch eine Schlägerei am 27. Mai beim Oberstufenzentrum Auen zwischen rund 40 jungen Schweizern und Ausländern. Ein Schweizer habe sich dabei leicht verletzt. Seit dem 27. April seien die Emotionen eskaliert, heisst es in der Mitteilung weiter. Am 24. Mai sei eine Eskalation zwischen gewaltbereiten links- und rechtsgerichteten Kreisen nur knapp verhindert worden.
Das Gesuch stammte von einem Amriswiler aus dem Umfeld der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS). Die PNOS will an den Nationalratswahlen im Herbst 2003 teilnehmen, wie ihrer Homepage zu entnehmen ist. Einer der PNOS-Köpfe ist der in Berlingen wohnende Holocaust-Leugner Bernhard Schaub.
Am Dienstag, 24. Juni, 20 Uhr, veranstaltet die Partei «Chrampfe und Hirne» im Rathaus Frauenfeld eine Podiumsdebatte mit dem Titel «Gewalt in Frauenfeld – wir wollen uns frei bewegen». Teilnehmer sind der Journalist und Kenner der rechten Szene, Jürg Frischknecht, die beiden Stadträte Werner Dickenmann und Christa Thorner, der Sozialarbeiter bei der Oberstufe Frauenfeld Stefan Heinzer und zwei Jugendliche. (wu)