Vermummung und Verdummung

Bund

Bern sieben Tage vor dem siebten «Antifa-Abendspaziergang»

Berns Establishment lauschte diese Woche einem Mann, der in jungen Jahren als behelmter Prügelgardist des «Revolutionären Kampfs» auf Polizisten eingehauen hatte ? und später deutscher Aussenminister wurde. Am 9. April will ein Liberalgrüner im Staat Bern Regierungsrat werden ? der als 80er-Bewegter just diesen, «zu unserem Gegner gewordenen Staat» als «faschistoid» verdammt hatte. Da war der «Züri brännt»-Poet namens «O-the-Punk» ? der dann in Bern Bundesratsberater wurde. Und wie kürzlich ein gefeierter Schweizer Literat sich als einstmals linksextremer Brandstifter outete, kennt Bern einen Kunstgaleristen, der als junger Anarchist in Kassibern aus der Amthauszelle von «Stadtguerilla» faselte. Und auch in Berns Medienszene waren einige heutige Kritiker der Elche in jungen Jahren selber welche.

Nicht wenige Hitzköpfe in bewegten Subkulturen sind kluge, kreative Köpfe, die später Gesellschaft und Gemeinwesen als nützliche Glieder, wenn nicht gar als tragende Stützen befruchten ? sofern sie dem Absturz in extremistische Radikalisierung, soziale Isolation, Illegalität widerstehen. Auch unter vermummten Köpfen, die aktuell in Bern mit dem Label «Antifa» für Kopfschütteln sorgen, fehlt es nicht an Cleveren und Kreativen, die sich zum eigenen wie höheren Wohle anderswie entfalten könnten ? sofern sie (be)fähig(t) werden, Vermummung und Verblendung zu entwachsen ? und darin nicht Verrat oder Vereinnahmung durch «das System», sondern Entwicklung und Emanzipation erkennen.

Im Falle der Antifa-Radikalinskis, die mit sturem Willen zu Unbewilligung und striktem Dialogboykott einmal mehr die Stadtbehörden strapazieren und den Stadtfrieden belasten, steht die Chance für Reifung 2006 nicht einmal übel ? und zwar gerade weil die Lage sieben Tage vor Berns siebtem «Abendspaziergang» verfahren scheint wie kaum je zuvor. Denn das «Bündnis Alle gegen Rechts» ? das 1999 als vielversprechende Initiative gegen Rechtsradikalismus und Rassismus angetreten war, auf seinem Zenit 3000 Menschen auf die Strasse brachte und so eine veritable Jugendbewegung zu initiieren vermochte ? ist am Scheideweg: 2006 entscheidet sich, ob Aufbau in Abbruch umschlägt, diese kriselnde Bewegung in Bedeutungslosigkeit untergeht.Im Moment jedenfalls ist das Bündnis drauf und dran, an sich selber kaputt zu gehen. Mit sektiererischer Borniertheit sowie galoppierender Eskalationsdynamik samt Macho-Militanzfetischismus haben sich die «Antifada»-Strategen in eine No-future-Logik verrannt, die nicht nur ausserhalb des Szeneumfelds kaum noch verstanden wird, sondern erkennbar auch an der eigenen Basis zunehmend Zweifel weckt. Die Glaubwürdigkeit nach aussen hin ist ohnehin auf dem Tiefpunkt angelangt: Die plumpe Selbstinszenierung als Opfer von Polizeirepression, Politintoleranz und Pressehetze wäre ja noch halbwegs nachzuvollziehen, wenn Bern in den 80er-Jahren stehen geblieben wäre. Die Stadt von 2006 aber bemüht sich mit Engelsgeduld und Entgegenkommen, baut goldene Brücken, dass bürgerliche Kritiker schon von Unterwürfigkeit reden. Die Polizei offeriert für die Demo beste Innenstadtlage, diskrete Polizeipräsenz bis zur schieren Unsichtbarkeit und Hilfe, falls «Faschos» angreifen sollten. Aber nein, es soll nicht sein, das Bündnis hat keinen Bock darauf ? was verrät, dass sein Kerngeschäft, Antifaschismus, längst weniger zählt als sein Kräftemessen mit Stadt und Staat.

Zu dumm nur, dass sich die Grosswetterlage so gar nicht ans Drehbuch halten will. Keine Spur von galliger Aufwallung des Volksempfindens in Leserbriefspalten und an Stammtischen, kein Zeichen von Medienhetze, und trotz Wahlkampfs fällt selbst die Parteienlandschaft durch erfrischende Unaufgeregtheit und weise Besonnenheit auf ? bis jetzt haben kaum Bürgerliche mit Antifa-Alarmrufen propagandistisch Kapital geschlagen, so wie auch kaum Linke mit Sirenengeheul reagieren auf Polizeichef Daniel Blumers Klartext, wonach es für gute «Demo-Kultur» nun gelte, «hart zu bleiben», sich von den Dialogverweigerern «nicht über den Tisch ziehen zu lassen». 2005 konnte die Antifa-Sturheit immerhin noch als Protest gegen die von Polizeidirektorin Barbara Hayoz vertretene Verschärfung des Kundgebungsreglementes verkauft werden ? 2006 aber ist selbst diese Argumentation in sich zusammengefallen, denn SP und Linksgrüne haben dem Papiertiger die letzten scharfen Zähne gezogen.

So steckt das Antifa-Bündnis also tief im Schlamassel ? und die sieben Tage bis zum «7. Abendspaziergang» werden zeigen, ob es reif genug ist, zu sehen, dass seine Zeit der Reife gekommen ist. Spielt es auf Tutti, wird sein Hochmut sein Fall sein. Reift es indes zur Fähigkeit, im Dialog ein Maximum auszuhandeln, wozu auch gehört, Maximalpositionen relativieren zu können, entdeckt es ? Politik.

Sie haben die Wahl ? und sie wissen es. Denn dumm sind sie nicht, sie könnens, siehe oben, weit bringen. Obsiegt jedoch statt Klugheit Kurzschlusslogik, gar Krawallzynismus, dann, ja dann werden aus Hitzköpfen Betonköpfe, deren Vermummung nur noch für Verdummung steht.