100 Zuschauer verfolgten die Urteilsverkündung. Darunter auch die Eltern des zu 16 Jahren verurteilten Renato S.
Jürg Spori
Links aussen unter den Zuschauern sitzen die Eltern von Renato S. Der Vater trägt ein schwarzes Hemd, die Mutter eine grüne Bluse. Ein Polizist führt ihren Sohn in Hand- und Fussschellen in den Assisensaal des Berner Amthauses. Der 24-jährige Angeklagte kann nur kleine Schritte machen. Die Eltern drehen ihren Kopf in Richtung ihres Kindes. Dann sitzt der grosse, athletische Mann auf den Stuhl vor seinem Verteidiger.
Durch die Türe vorne rechts schreitet Gerichtspräsident Thomas Zbinden in den Saal. Renato S. muss aufstehen. «16 Jahre Zuchthaus»: So lautete das Strafmass für den Schreiner aus Unterseen. Sein Vater senkt minutenlang den Kopf. Die Mutter schaut mit traurigem Blick durch ihre schwarz gerandete Brille zu ihrem Sohn.
Ganz nah zusammen rücken die Eltern des Verurteilten bei der Urteilsbegründung. «Es wäre auch auf der Treppe der Ruine Weissenau nicht zu spät gewesen, ?Halt? zu sagen», redet der Gerichtspräsident Renato S. nd den beiden anderen Verurteil-ten ins Gewissen. Renatos Vater schüttelt den Kopf. Nach der über zwei Stunden dauernden Urteilsverkündung wird der Verurteilte Renato S. aus dem Assisensaal geführt. Seine Mutter schaut ihm mit starrem Blick nach.
«Es geht mir nicht gut»
Renatos Vater geht zum Warteraum bei der Loge des Amthauses. Dort zündet er hastig eine Zigarette an. Jedes Mal, wenn er den Rauch ausgeblasen hat, nimmt er sofort einen neuen Zug. «Ja, es geht mir gar nicht gut», sagt er mit dünner Stimme. Seine traurigen Augen zucken hinter der randlosen Brille. «Es will mir nicht in den Kopf», meint er.
«Er hat alles erzählt»
Trotz der schrecklichen Tat hat der Vater seinen Sohn im bereits angetretenen Strafvollzug nicht im Stich gelassen: «Ich und meine Frau haben ihn, wenn immer möglich, besucht», erzählt er. Das sei im Durchscnnitt so alle zwei Wochen gewesen, erinnert er sich. Das soll auch in Zukunft so bleiben: «Auch wenn es meiner Frau und mir sehr schlecht geht, wollen wir unseren Sohn regelmässig besuchen und ihm Kraft geben», sagt der Vater. Bei den Besuchen im Gefängnis konnten die Eltern mit ihm sogar über die Tat sprechen. «Er hat uns genau erzählt, wo und wie er dabei war und was er gemacht hat», berichtet der Vater. Er zupft an seiner bordeauxroten Krawatte, auf der mit goldenen Lettern «Interlaken» steht. «Der Prozess hat uns keine neue Fakten geliefert – weil ich und meine Frau bereits alles wussten», sagt der Vater. «Doch der Prozess hat uns viel geholfen, die Tat unseres Sohnes bewusst zu machen und sie besser zu verarbeiten. »
«Sorge über Zukunft»
Über die verhängte Strafe von 16 Jahren Zuchthaus will sich der Vater nicht äussern. Immerhin hätte man ihnen auf dem Bödeli keine gesellschaftlichen Probleme gemacht – alle schweigen», sinniert er. Doch das sei für ihn das kleinste Problem. «Grosse Sorge bereitet mir jetzt die Zukunft meines Sohnes, obwohl mir klar ist, dass er jetzt ein mal seine Strafe absitzen muss», sagt Renatos Vater mit trauriger Stimme. Dann verlässt er zusammen mit seiner Frau und der Bewährungshelferin seines verurteilten Sohnes das Berner Amthaus.