TagesAnzeiger. Ein Mann posiert mit einem abgewandelten Hitlergruss vor einer Synagoge in Genf: Auch das Bundesgericht hält dies für eine Form von Rassendiskriminierung. Philippe Reichen Lausanne
Das Genfer Kantonsgericht hat einen Mann, der mit zwei weiteren Personen vor der Genfer Synagoge Beth-Yaacov die sogenannte Quenelle-Geste zeigte, zu Recht wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht in einem gestern veröffentlichten Urteil. Es stützt damit die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Männer klar darauf abzielten, die jüdische Gemeinschaft öffentlich herabzusetzen und zu diskriminieren.
Die Tat ereignete sich im Dezember 2013. Die Zeitung «20 Minutes» veröffentlichte ein Foto dreier teils vermummten Männer, die, in einer Reihe aufgestellt, vor der Genfer Synagoge mit der sogenannten Quenelle-Geste posierten. Einer der Männer trug sogar einen Kampfanzug der Schweizer Armee. Bei der vom kontroversen französischen Komiker Dieudonné alias M’Bala M’Bala erfundenen Quenelle-Geste wird ein Arm mit offener Handfläche schräg nach unten gestreckt und die andere Hand über die Brust auf die Schulter oder den Oberarm gelegt. Die Geste ist dem Hitlergruss der Nationalsozialisten nachempfunden. Die Innergemeinschaftliche Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (Cicad) in Genf erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. «Es handelte sich um einen klar antisemitischen Akt», sagt der Genfer Anwalt und Cicad-Präsident Alain Bruno Levy. Das sah die Genfer Staatsanwaltschaft genauso, erliess einen Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung gegen die Männer und verurteilte sie zu bedingten Geldstrafen. Doch einer der Männer war damit nicht einverstanden.
Kein «Schulbuben-Humor»
Der Mann focht seinen Strafbefehl zunächst vor dem Genfer Kantonsgericht an, ohne Erfolg. Darauf zog er das Urteil weiter ans Bundesgericht. In seinem Rekurs hielt der Anwalt des Mannes fest, es habe sich bei der Aktion um eine Art «Schulbuben-Humor» gehandelt, das Kantonsgericht habe sich nur auf Internetdokumente gestützt, sei bezüglich der Bewertung des Grusses parteiisch gewesen und habe das Anhörungsrecht seines Klienten verletzt. Auch seien diesem Intentionen unterstellt worden, die er nicht gehabt habe. Er habe weder eine politische noch eine rassistische oder eine religiöse Absicht gehabt.
Die Argumente verfingen beim Bundesgericht aber nicht. Dieses kommt zum Schluss, die Vorinstanz sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Gruss gegen Personen jüdischen Glaubens gerichtet und damit eine herabsetzende und diskriminierende Botschaft transportiert habe. Man könne die Geste nur als feindselige und diskriminierende Botschaft gegenüber Personen jüdischen Glaubens verstehen. Der durchschnittliche Beobachter der Szene vor der Synagoge in der Genfer Innenstadt müsse bei der Geste an einen antisemitischen Akt gedacht haben. Damit sei der Straftatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt, so die Lausanner Richter. In ihrem Urteil beziehen sie sich mitunter auf die Rechtsprechung der französischen Justiz und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, welche die gegen Personen jüdischen Glaubens gerichtete Quenelle-Geste als antisemitisch taxierten. Ein mit jenem in Genf vergleichbarer Fall ereignete sich in Berlin, wo ein Mann mit rechtsextremem Gedankengut vor der Holocaust-Gedenkstätte die Quenelle-Geste zeigte.
Anwalt und Cicad-Präsident Alain Bruno Levy sagte gestern auf Anfrage, er sei über das Urteil erleichtert und hoffe, dass die Sanktion auch eine präventive Wirkung habe. Gerade Synagogen seien oft Ziele von antisemitischen Botschaften wie zum Beispiel Hakenkreuz-Schmierereien, so Levy.