Gesellschaft Gewalt
Hooligans
Sie nennen sich Ultras und sind «geil auf Gewalt». Wer sind diese Basler Hooligans wirklich: Rowdies, Rechtsradikale, Knochenbrecher, Gestrandete? Nahaufnahmen von Fotograf Thomas Weisskopf und FACTS-Reporter Martin Beglinger.
N ichts ist gelaufen über Ostern. Scheisse. Der FCB ist draussen, und er war nicht dabei, durfte nicht, Stadionverbot … Vor zehn Tagen hat ihn der «Sport» auf der Frontseite abgebildet, ihn als Drahtzieher jener «Basler Chaoten, Wahnsinnigen, Kriminellen, Hooligans» präsentiert, die im Luzerner All mend stadion eine Schlacht mit der Polizei provoziert hatten – mit 20 Verletzten.
«Der Jimmy kann sich die Kugel geben», sagten seine Freunde, die das Foto sahen, «der kommt nie mehr in ein Stadion rein.» Genervt hat Jimmy allerdings mindestens so sehr, dass die Zeitungen dauernd von deutschen Hooligans schrieben, die die grosse Randale lanciert hätten. Als ob ein Basler wie er nicht Manns genug dazu wäre.
Das Cupspiel vom Ostermontag hat Jimmy in der «Arche» gesehen, seiner Stube auf der Gasse. Die «Arche» ist die Beiz der Gestrandeten, ein Ort, wo die «Böhsen Onkelz» in der Musikbox aufliegen und nur der tätowierte Mann ein echter Mann ist. Jimmys Lieblingsmotiv prangt auf seinem linken Brustmuskel: Eine langhaarige Brunette umarmt einen Totenkopf mit dem Namen Jimmy. Auf dem Bauch hat er sich noch ein Stück Haut freigehalten für den wichtigsten Schriftzug seines Lebens: Command Ultras, Basel. Vorderhand aber bleibt die Stelle weiss, weil er kein Geld hat für das Glanzstück auf seinem Hundertvierkilokörper. Denn was er nicht versoff von seinem Lohn als Magaziner, das musste Jimmy in den letzten Jahren seinen Opfern abtreten: 30 000 Franken Schmerzensgeld. Für gebrochene Nasen. Gebrochene Kiefer. Einen Schwartenriss. Eingeschlagene Zähne. Geplatzte Augenbrauen. Gebrochene Arme. Eine gebrochene Rippe.
Jimmy sitzt beim Nachmittagsbierchen in der «Arche», berichtet freundlich und geduldig, wie alles kam: Vor knapp fünf Jahren, am 1. August 1990, gründete der gelernte Metzger Jimmy die Ultras Basel. Es war die Kopie jener Gang namens Ultras, die er zusammen mit einem italienischen Kumpel im Stadion von Cesena zum ersten Mal gesehen hatte. Das Programm war klar: Glatze, Tätowierung und die nach aussen gekehrte Bomberjacke. Das orange Jackenfutter sollte leuchten in der Masse der Fans.
Zu ihren besten Zeiten waren die Basler Ultras 20 Leute. Heute seien sie zu zehnt. Mehr, das war für Jimmy immer klar, hätten es nicht sein können. Er wollte ins Stadion, in die Masse, in die Ekstase, aber in der Masse wollte er exklusiv bleiben mit wenigen Auserwählten.
«Unsere Ehre heisst Treue» steht als Leitspruch auf dem Bandenknopf der Basler Ultras. Vor 50 Jahren war der Satz in Konzentrationslagern zu lesen. Jimmy hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Familie und Verwandten. Sein Ersatz ist die Gang. «Die Ultras sind meine Familie, die Mitglieder meine Brüder.»
Wer zu den Ultras will, muss erst mal mitlaufen. Nach drei Monaten entscheiden die Mitglieder einstimmig, ob dem Neuen zu trauen ist. Ein Wochenende Abwesenheit ohne Entschuldigung reicht als Treuebruch. Der Kandidat hat die Bandenfahne im «Joggeli» und in den Auswärtsspielen zu hüten wie den eigenen Augapfel. Wer an ihr zerrt, der muss «vertrampt werden», sagt Jimmy, «ohne Vorwarnung». Und wehe dem, der seine Jacke auf Orange dreht, ohne den Silberring der Ultras am Finger zu tragen. Er riskiert ein gebrochenes Nasenbein.
Dann singen sie von den Rängen: «Und wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Basel und morgen die ganze Welt.» – «Komm mal ‚rüber, Mann, ich schlag‘ dich nieder, Mann, weil ich ein Ultra bin, weil ich ein Basler bin.»
Es ist nicht lange her, da liess man die Ultras noch gratis ins Stadion, und der Vorstand des FCB war froh um Bombenstimmung im Joggeli. Jimmy durfte gar mit Herren vom Vorstand parlieren und die 20 Meter lange Ultras-Fahne in den Katakomben des Stadions deponieren.
Jetzt verflucht der Vorstand die glatzköpfigen Geister, die er auf seine Ränge rief, denn sie ruinieren den Ruf des Klubs. «Bitte, bitte, hört auf, das kaputtzumachen, was wir im letzten Jahr aufgebaut haben», rief der verzweifelte FCB-Präsident Epting in Luzern über den Stadionlautsprecher den 20 Basler Krawallanten zu. Genützt hat es nichts.
Zu jenem Zeitpunkt hatte Jimmy die Promille von selbstgeschätzten 16 Stangen, 6 bis 7 Kafi Luz und einem Halben Weissen im Blut. Entsprechend war sein Aggressionspegel. Als erster, wie es dem Chef der Ultras ansteht, rückte er gegen die Polizei vor. Dann liess er sich, weil er gegen das Tränengas der Polizei ohne Chance war, an einer Waschschüssel in der Toilette aus.
Seit Luzern, dem ersten Grossauftritt des heimischen Hooliganismus, hängt die Fahne der Ultras vorübergehend nicht mehr. Die Bomberjacken bleiben grün und schwarz. Die Ultras sind in die Masse getaucht, ihr harter Kern darf schon gar nicht mehr auf die Ränge. Gut 40 Basler Fans haben mittlerweile Stadionverbot. Jimmy wäre auch ohne Verbot schon bald auf Entzug. Denn er weiss, dass er im Sommer in den Knast muss. In der Zwischenzeit ist ihm vor allem eines wichtig: dass geregelt wird, wer die Fahne hisst.
Ins Gefängnis muss er bereits zum zweiten Mal und diesmal wohl für zwei, drei Jahre. Die wird er, unter anderem, für einen Messerstich zwischen die Rippen kassieren. Doch Bussen und Gefängnisstrafen scheint er hinzunehmen wie andere eine krumme Nase. «Gewalt ist mein Leben», sagt er, «mein Leben ist so komponiert – Schicksal.»
Heute ist Jimmy 30 Jahre alt. In der ersten Hälfte seines Lebens war er das Opfer seines Vaters. Der war Rangierarbeiter, und was Faustrecht heisst, hat er von ihm jeden Tag erfahren. In der zweiten Hälfte wurde Jimmy selber zum Täter. Seit er 15 war, wechselte er von einer Gang zur nächsten, hängte sich bei den Skinheads dran und bei den Rockern.
Dann versuchte er es mit einer Frau. Nach vier Jahren liess er sich scheiden, weil er merkte, dass er «die Bruderschaft sucht und nicht eine Familie. Ich bin nicht für die Liebe gemacht.» Politik interessiert Jimmy soviel wie Eiskunstlaufen. Auch die Schweiz ist ihm egal. «Ich fühle mich nicht als Schweizer, sondern als Basler. In Basel bin ich geboren und aufgewachsen. Hier ist mir wohl, hier kennt man mich.» Am wohlsten jedoch fühlt er sich in der «Arche», dort respektiert man ihn und seine Fäuste. Die andern Kumpels begrüssen zuerst den Chef der Ultras, ehe sie sich setzen.
«Die ganze Schweiz», sagt Jimmy, «hat Schiss vor uns», und er ist stolz auf seinen Anteil daran. «Wenn wir kommen, dann verziehen sich die anderen Fans.» Nie könnte Jimmy zu den Basler Hooligans wechseln, jener anderen Gang von Basler Fussballrowdies, die er nicht mag, weil sie nicht sein Kind ist wie die Ultras und weil sie anders kämpft. Die Hooligans, erklärt Jimmy die Differenz, hören auf zu prügeln, wenn der Gegner am Boden liegt. Bei einem Ultra hingegen ist das noch kein Grund für Gnade.
Einzig das Militär gilt Jimmy noch als Erlebnis, das ihm einen Kick jenseits der Gasse und des Stadions verschafft. Auch hier wirken Uniform und Masse. Wenn die anderen Füsiliere zwei Magazine im Gefechtsschiessen verbrauchen, schafft er zehn. «Da werde ich schiessgeil.» Aber den Offizieren sei es immer recht, wenn er sich freiwillig melde, um noch ein paar Handgranaten abzuziehen.
Angst, nach all den Schlägereien, hat Jimmy nur noch vor einem. Vor sich selber. Er hat Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren, irgendwann, irgendwo, total, und dann «irgendeinen zu töten».
D er Spannteppich ist frisch gesaugt, das Salontischchen abgestaubt, auf dem Sofa sitzen Roger und Claudia. Neben ihnen liegen, schön drapiert, eine entschärfte Handgranate, Stiefelmesser, Wurfmesser, Stellmesser, Messer mit Schlagring, an der Wand baumeln ein Patronengurt und zwei Schwerter. Das ist in der vorderen Ecke der Stube. In der hinteren plätschert ein Stubenbrünnlein, und aus einer Duftlampe qualmt ätherisches Öl.
Diese Kombination, findet Roger, sei wie ihre Beziehung: «schizophren».
Auf seiner Visitenkarte bezeichnet sich Roger, 29, als «Fussball-Gewalttäter. Drogen nein danke!!! Gewalt ja!!!» Claudia, seine Freundin, 32jährig, hat ihr Diplom als medizinische Masseurin im Zimmer aufgehängt. Vor ein paar Wochen noch gehörte Roger zum harten Kern der Ultras, bis an jenem Abend, an dem Jimmy, im Vollsuff, einen Schatten der Illoyalität zwischen ihm und Roger entdeckt haben wollte. Deshalb warf der Präsident sein Mitglied raus. Jimmy bereut es heute, aber Roger kann nicht zurück, weil seine Demütigung vor Zeugen geschah.
Auch Roger war in Luzern dabei, doch er ist der einzige von Jimmys Freunden, der in Basel noch auf die Tribüne darf.
Weil er kein Ultra mehr ist, ist seine Freundin auch nicht mehr die Mama Ultras, wie Jimmy sie einst getauft hat. Im letzten Herbst noch, erzählt sie, war ihre Wohnung ein Massenlager von Rogers radikalen Kumpels. Sie bekochte, verpflasterte und beriet ihre Gäste in allen Lebenslagen. Wann immer die Ultras zu Spiel und Schlacht aufbrachen, wurden sie zuvor von der Mama mit Spaghetti gestopft, damit ihren grossen kahlen Kindern nicht nur das Bier im Bauch schwamm. War ein neuer Haarschnitt fällig, stand Claudia als Gang-Coiffeuse bereit. Und sie war die einzige Frau, welche die heilige Fahne berühren durfte. Zum Waschen.
An ein Spiel aber nahmen sie ihre Mama Ultras so gut wie nie mit. «Wir hätten», sagt Roger, «keine Zeit, um sie zu verteidigen, wenn einer sie anmacht.» Hingegen ruft Roger nach jedem Match zu Hause an. Ein Lebenszeichen, und sei es nicht viel mehr als Rülpser, ist Balsam für ihre Nerven.
Eine Ausnahme gewährten die Ultras ihrem Anhang, das war im letzten November gegen den FC Sion. Und prompt gab es Zoff nach dem Match, prügelte ein halbes Dutzend Walliser Polizisten, eingespritzt auf die Hooligans des FCB, den betrunkenen Roger blutig. Ob er überfahren worden sei, fragte der Notfallarzt später, doch da fand es Roger schon wieder «geil, denn alles, was mich nicht tötet, macht mich hart.»
Roger und Claudia bilden eine Leidensgemeinschaft, die extreme Symbiose zweier Aussenseiter. Roger sagt: «Ich habe einen kranken Kopf und Claudia ein krankes Bein.» Vor zehn Jahren hatte sie einen grässlichen Motorradunfall, der sie eineinhalb Jahre ohne Unterbruch ins Spital zwang. «Das war wie Alcatraz», sagt Claudia. Sie verliess das Spital mit einem Gestell am Bein, das ihre Umgebung erschaudern liess. Claudia war isoliert, wurde bestenfalls als Kumpel wahrgenommen, aber nicht mehr als Frau.
An jenem Abend vor zweieinhalb Jahren, als Roger Claudia im Basler «Mr. Pickwick’s»-Pub kennenlernte, war er dermassen blau, dass er ihr steifes Bein erst am anderen Morgen bemerkte. Für ihn war es seit langer Zeit der erste Körperkontakt, der nicht mit den Fäusten erfolgte. Roger galt als einer der grössten Rüpel unter den Stadionschlägern, völlig unnahbar. An ihn heranzukommen, sagt Claudia, sei «der grosse Reiz» für sie gewesen.
Dass seine grünen Augen sie fasziniert hätten, kann Roger keinesfalls glauben. «Es war doch mein illegaler Hauch, das Gewalttätige, was Dich angezogen hat.» Widersprechen mag sie nicht, «… obwohl ich im Prinzip gegen Gewalt bin. Zuerst muss man reden und nicht gleich schlagen.» Claudia weiss, wenn ihr Roger «dure gheit». Dann schwillt eine Ader mitten auf seiner Stirn, und der Hals wird innert Sekunden dick. Zum Beispiel, als drei Typen im Pub sich über Claudias Bein mokierten. Jimmy – Ehrensache unter Brüdern – war allerdings noch schneller als der rasende Roger und holte die drei von den Beinen.
Unter den Ultras wird Claudia nicht einfach akzeptiert. Sie wird verehrt. Das erste Mal in ihrem Leben. Ohnehin sind Freundinnen unter Ultras tabu. Macht einer die Freundin eines andern an, ist das schlimmer als jede Niederlage des FCB.
Claudia ist der einzige Mensch, der Roger ungestraft alles und in jeder Tonlage sagen darf. Auch dass er ein ganz blödes Arschloch sei und sich gopferdammisiech nicht immer vollaufen lassen und sich von jedem kleinen Wichser provozieren lassen soll wegen nichts und wieder nichts.
Über seine Zeit im Knast will Roger nicht reden, nur, dass «jeder Tag einer zuviel» gewesen sei. Doch das schreckt ihn heute nicht mehr ab. «Wenn mich einer wirklich nervt, muss ich ihn wegputzen, obschon ich es unterdrücken will.»
Meistens versucht es Claudia mit Zureden, wenn Rogers Alarmader schwillt, und manchmal auch mit einer Bachblütentherapie. «Bleib mir weg mit diesem Zauberglump», sagte Roger beim ersten Versuch. Er nahm dann doch ein paar Tropfen und gestand ihr, ganz leise, es hätte ihm gut getan. «Meine Predigten wirken schon», meint Claudia, «aber in der Öffentlichkeit würde er das natürlich nie zugeben.»
Roger weiss nicht, was ihn zur Gewalt treibt. Er weiss nur, dass es schon so war, als seine Haare noch auf den Rücken fielen und er auf der Zürcher Langstrasse, wo er aufgewachsen ist, Popper verhauen ging.
Unterordnen konnte er sich nie: Seine Lehre hat er abgebrochen, regelmässige Arbeit hat er keine. Den Preis, dass er «niemandem Rechenschaft schuldig sein will, auch nicht einem Arbeitgeber», zahlt seine Freundin. Sie kommt für ihn auf.
Das EMD liess Roger nach dem dritten erfolglosen Anlauf, bei dem er sich als Rekrut hätte stellen sollen, entnervt wieder ziehen. Kämpfen will er nur für seine Ehre und die des FCB, aber nicht für dieses Land, das ihm nichts bedeutet.
Für Politik hat Roger kein Sensorium, hingegen ein doppeltes für Provokation. Schickt er einem Kumpan eine Karte, unterschreibt er mit «Dr. Mengele». Zu Hause, beim Kaffee in der Polstergruppe, lacht er wie ein kahler Kindskopf und sagt: «Damit kannst du den Pöstler schocken. Und der Hitlergruss gehört natürlich auch dazu, das nervt die Leute grauenhaft.» Von Roger ist, je nach Promille- und Spielstand, jeder Rassistenspruch zu haben. «Der Neger beim Gegner stinkt, in den Urwald mit ihm!» Doch auf der Tribüne spielt die Hautfarbe keine Rolle, sofern die Insignien stimmen. Da be grüsst Roger einen Dunkelhäutigen, als wäre der sein eigener Bruder.
Ob sie Angst vor ihm habe? Claudia zögert und nährt den Verdacht, bis die Antwort kommt: «Nein, Respekt.» Und geschlagen? Noch nie, sagt Roger, das sei Ehrensache. Letztere war immer die erste Frage, die Claudia Bekannten und Nachbarn beantworten musste, nachdem sie erfahren hatten, wer ihr Freund ist.
Ohne Claudia, sagt Roger, wäre er «irgendwo in Afrika». «Nein, hier» meint sie und kreuzt ihre Finger zu Gitter stäben.
E r heisst Göktürk, doch alle rufen ihn Gök, obwohl er eigentlich «Duke» genannt werden möchte, der Herzog. Gök wohnt – mit Mutter, Schwester und Freundin – in einem Basler Aussenquartier. Kommt er nach Hause, dann schaut ihm im Gang zuerst der gerahmte Atatürk streng in die Augen und dann ein gestopfter Gemskopf. In seinem eigenen Zimmer prangen der deutsche Reichsadler, je nach Laune ein paar Hakenkreuze und immer die Fahne des FCB.
Wo er hingehört, ist für Gök the Duke eine schwierige Frage. Er wurde in Istanbul geboren, der Vater ist Türke, die Mutter Deutsche, dann zogen sie für ein Jahr nach Berlin und schliesslich, Gök war drei, nach Basel. Heute ist Gök 27 und fühlt sich im Herzen als Schweizer und als Fremder in jenem Land am Bosporus, dessen Pass er noch besitzt.
Sein Vater versuchte ihm die richtige Identität einzuprügeln, die türkische. Als Gök mit engen Jeans nach Hause kam, warf ihm sein Vater vor, er sehe aus wie ein Schwuler und besudle die Ehre der Familie. «Zuhälter, Asozialer» teilte er ihm aus, als zu den engen Hosen noch die langen Haare kamen. «Der beste Freund des Menschen ist das Buch», sagte der Vater, vollgesoffen wie immer, und trieb den Sohn mit Füssen und Fäusten durch die Wohnung, wenn der einen Dreier in der Schule gemacht hatte. Das einzige, was er ihm gönnte, war Fussball. Gök durfte zum FC Münchenstein.
Als er das erste Mal zurückschlug, war Gök 16 Jahre alt. Ein Erfolg: Die Gewalt wirkte abschreckend. Doch er musste ausziehen. Seine Mutter fütterte ihn fortan heimlich durch, versteckte Gök die Essensreste in der Waschküche.
Fast zehn Jahre lang lebte Gök auf der Strasse, dreissigmal hat er in dieser Zeit seinen Unterschlupf gewechselt. Eine Lehre als Metallbauer brach er ab und auch eine weitere als Strassenbauer. Mehr Ausdauer hatte er nur bei den Rockern, dort fühlte er sich akzeptiert.
1993 lernte er Jimmy und die Ultras kennen. Sie hatten zwei gute Jahre zusammen, bis ihn Jimmy rauswarf, am gleichen Abend und aus dem gleichen Grund wie Roger. Für Gök jedoch hat Jimmy gegen den Kodex der Hooligan-Ehre verstossen, weil er nicht die gegnerischen «Hools» verprügelte, sondern wahllos Passanten in der Stadt.
Gök, mittlerweile wieder bei der Mutter eingezogen, während sein Vater in die Türkei zurückkehrte, bekennt sich seit zwei Monaten zur Konkurrenz, zu den «Basler Hooligans». Allerdings hat auch er seit dem letzten November Stadionverbot, wenn sein FCB spielt. So versucht er es halt mit Tricks wie vor zehn Tagen. Mit ein paar Kumpels tauchte er am Spiel Young Boys gegen Winterthur auf, in der Hoffnung, man werde endlich ein paar Kantonalzürcher Fans zwischen die Fäuste kriegen. Doch die feigen Hunde hätten sich nicht blicken lassen.
Fast ein halbes Jahr schon ist Gök ohne echten Kampf. «Das ist so», erzählt er, «wie wenn ein Junkie den Aff macht. Dann bin ich ganz schlecht drauf.» Er tiegert ums Joggeli, hört 15 000 drinnen johlen und wird fast wahnsinnig darob.
«Ich bin», sagt Gök, «geil auf Gewalt. Ich muss mich einfach abreagieren von diesem öden Alltag. Aber der Kampf muss fair sein, gegen Gleichgesinnte. Wenn du auf dem Weg ins Stadion genau weisst, jetzt geht’s ab, jetzt knallt’s – das ist, ganz ehrlich, unbeschreiblich geil.»
Bevor er geht, dreht er zu Hause die Songs von «Störkraft» auf. «Absolut geil», meint Gök. Das Stück «Hooligans»: «Eine Masse voller Hass und Wut, die alles für die Mannschaft tut. Ob mit Fäusten, Knüppeln oder Stiefeln, es wird das Blut der Gegner fliessen …»
Die letzte geile Randale für Gök war bei einem Freundschaftsspiel des FCB gegen den Freiburger SC. Die Verabredung, erzählt Gök, ging so: «Bringt ihr einen Mob zusammen?» fragte ein Basler Prügelgeiler seinen Freiburger Kon takt hoo ligan am Telefon. «Sicher, du Scheisser, wir boxen euch weg», antwortete der, «um drei auf dem Grenzparkparkplatz.» Dort ging es ab, ehe das Spiel begonnen hatte.
Gök hat noch ein anderes Hobby: Hitler. Sein Zimmer ist ein Nazi-Museum. Fahnen, Helme, Hakenkreuze, Gestapo-Mäntel, Hitler-Marken, Hitler-Münzen, Hitler-T-Shirts, ein Plastik-Hitler, «Mein Kampf» im Original – mit allem kann Gök the Duke dienen. Aber ein Nazi will er nicht sein. Er denke rechts, ja, «aber nicht nationalsozialistisch.»
Warum nicht? «Für Hitler wäre ich ein Bastard, der nie erreichen könnte, was Reinrassige erreichen.»
Und warum denkt er rechts? «Weil ich die Linken hasse, die Punks» – Warum hasst du die Linken? «Weil die anders sind, anders aussehen. Sie machen Krawall, wenn ein Konzert der Böhsen Onkelz angesagt ist.» Jeden Abend werde er angemacht, weil er rechts sei. «Ausgerechnet du, als Türke!» Aber er fühle sich doch gopferdammi nomol als Schweizer.
Jetzt schaltet sich Göks Berliner Mutter ein: «Nee, nee, ein Nazi iss mein Bub nich.» Den Hitler, mal janz ehrlich, findet sie Scheisse, doch dass der Bub all det Zeuch sammelt, stört sie nicht.
Schrecklich auf die Nerven geht ihr allerdings, wenn der Junge mit dreckigen Schuhen aufs Sofa steigt, um Nazi-Helgen an die Wand zu hängen. «Aber sonst, nee, iss er wirklich n lieber Junge und eigentlich auch keen Schlägertyp.»
Der liebe Junge sass immerhin etliche Male wegen Körperverletzung, Diebstahls, Sachbeschädigung. Jetzt ist er arbeitslos und lebt mit vom Hilfsarbeiterinnenlohn seiner Mutter. «Klar», sagt Gök, «wenn wir im Stadion zum Gegner hinüberschauen und singen: Ihr seid die Juden, die Judensäue, dann ist jeder in dem Moment ein Nazi.» Aber nur in diesem Moment. Letztlich sei es nichts als Provokation. «Was kannst du denn sonst tun, um diese Gesellschaft zu nerven, ihr in den Arsch zu treten? Das Hakenkreuz ist das absolut Geilste, um zu provozieren.» Also liess er sich eines auf den Körper tätowieren und einen «Krawatten löli» am Marterpfahl dazu.
Andrea findet das geil und ihren neuen Freund Gök «einen Schnüg». Früher mochten sich die beiden gar nicht. Da war sie für ihn «eine Fotze», weil ihr Freund ein Junkie war. Gök sagt, er hasse Junkies genauso wie Punks und Linke. Für An drea hingegen, 20 und in der Hoffnung, dereinst «zu werden wie Cindy Crawford», war es «ein geiles Gefühl, mit so einem abgefuckten Typen herumzulaufen. Das nervt die Leute tierisch.»
In ihrem irrlichternen Gang durchs Leben hat sie jetzt die vorerst höchste Provokationsstufe erreicht, die Liaison mit einem Hooligan. Sie selber macht «total auf Nutte», mit Mini und hohen Stiefeln. «Das Nutten-Outfit ist für mich das gleiche wie für Gök die Naziklamotten. So geiiil.»