Karl Lüönd
Frau Calmy-Rey singt und will aufs Rütli. Frau Egerszegy heftet sich an ihre Fersen und wirft sich in die Aargauer Sonntagstracht. Die rechtsextremen Krawallbrüder inszenieren einen Aufmarsch an der Sempacher Schlachtfeier. Herr Leuenberger preist Thomas Gottschalk. Manche versuchen es ohne den Umweg über die Bilder gleich mit der thematischen Brechstange, zum Beispiel Chantal Galladé und Daniel Jositsch, dieser Experte für alles. Sie inszenieren eine atemberaubende thematische Pirouette in Sachen Jugendgewalt.
Im Sommerloch sind sie unglaublich fleissig, unsere hitzebeständigen Politikerinnen und Politiker; der Wahltag kommt bestimmt. Es wird um die Lufthoheit über den Bleiwüsten gekämpft, denn die Medien sind derzeit zufolge Ferienzeit mit traktandierter Aktualität nicht verwöhnt. Also sind die Filter gröber eingestellt; die Durchlässigkeit für nette, leichte Sommerthemen wird grösser. Vor allem, wenn Bilder generiert werden können. Das Greenpeace-Prinzip ist längst Allgemeingut aller Parteien und Interessengruppen geworden. Der visuelle Kitsch ist allgegenwärtig.
Greenpeace hat als erste Organisation realisiert, dass das Fernsehen mit Bildern gefüttert werden muss. Also sind sie auf Fabrikkamine geklettert und haben mit Schlauchbooten Öltanker umkreist. Und es funktioniert immer wieder. Wer in der Welt des medialen Scheins seine Inhalte bildhaft, anschaulich machen kann, wird marktgängig. Lieber nackt als im Pelz!
Da im Fernsehen grundsätzlich nichts von Nachrichtenwert ist, was kein Bild hergibt, war die Vorspiegelung von visueller Aktualität schon immer ein Kerngeschäft der Thesenhändler. TV-Journalisten haben dafür eine passende Bezeichnung: «Türenschletzerfilme». Limousine fährt vor, Bodyguard springt heraus, reisst den Schlag auf, Staatsgast steigt aus, die Türe schletzt. Schnitt! Was haben wir erfahren? Staatsgast X. ist von A nach B gefahren. Die visuelle Nicht-Information illustriert den unterlegten Text, der meist etwas anderes, nicht Zeigbares erzählt. Das Bild ist Lockmittel. Aber weil die Leute lieber schauen als sich ein eigenes Bild machen, wäre die Nachricht vom Eintreffen des Staatsgastes ohne sinnfreie Info-Prothesen nicht verkehrsfähig.
Die Politiker und ihre Berater haben dieses Prinzip schnell begriffen. Darum hat Adolf Ogi Eier gekocht und bei der legendär peinlichen Neujahrsansprache vor dem Lötschbergtunnel ein Tännchen liebkost. Keine Initiative wird in Bern mehr eingereicht, ohne dass ein paar Wichtigtuer die Pakete mit den Unterschriftenbogen bildwirksam ins Bundeshaus tragen. Kein Rotary Club ohne Übergabe eines übergrossen Checks.
Inzwischen hat sich das Prinzip der Symbolik verselbstständigt. Es werden nicht mehr bloss Bilder erfunden und hergestellt, sondern die ihnen zugrunde liegenden Ereignisse gleich auch. Die Künstlichkeit der meisten Politikerauftritte vor den Wahlen ist mit Händen zu greifen. Man muss sich darüber auch nicht weiter aufregen. Was mich beunruhigt, ist nur: Die scheinen ja wirklich zu glauben, wir nähmen das alles ernst. Sie reden uns gnadenlos nach dem Mund, sie holen uns bei vermeintlichen Vorurteilen ab, sie sprechen uns aus der Seele. Und weil es beim doofsten Sommertheater immer Publikum hat, scheinen sie zu glauben, dass wir es nicht merken. Sie halten uns für dumm. Das werden wir ihnen nicht vergessen!