Rechtsextreme Gewalttäter schlagen vermehrt ohne Vorwarnung zu – so wie in Frauenfeld, sagt Jürg Bühler vom Bundesamt für Polizei. Mit einer Gesetzesänderung sollen Gruppierungen wie «Blood and Honour» verboten werden
Herr Bühler, wie beurteilen Sie die Gefahr, die momentan von rechtsextremen Gruppen ausgeht?
Jürg Bühler: Die rechtsextremen Gruppen können ihre Mitgliederzahlen seit einigen Jahren auf einem relativ hohen Niveau halten. Wir zählen etwa 1000. Wobei wir nur für den gewalttätig-extremistischen Teil zuständig sind. Mit dem rein politischen Extremismus befassen wir uns gemäss unserer Rechtsgrundlagen nicht.
Handelt es sich bei den beobachteten Gruppen um «Blood and Honour» und die Hammerskins?
Bühler: Hammerskins, «Blood and Honour» und ähnliche Gruppierungen – die Namen wechseln. Sie gruppieren sich um denselben ideologischen Kern. Das Gewaltpotenzial ist vorhanden, wie man bei dem Delikt sieht, das jetzt in Frauenfeld verhandelt wird. In letzter Zeit entlädt sich die Gewalt mehr spontan bei nicht vorhersehbaren Ereignissen. Bei organisierten Anlässen wie Rütliaufmärschen, Konzerten oder Kameradschaftstreffen gibt es gegen aussen in der Regel keine Gewalt.
Dem brutalen Überfall auf die beiden Konzertbesucher in Frauenfeld ging ebenfalls eine gewisse Planung voraus. Die Täter hatten sich beispielsweise per SMS abgesprochen und waren gemeinsam nach Frauenfeld gefahren.
Bühler: Bei grösseren Skin-Konzerten beispielsweise wird dazu aufgerufen, nicht betrunken zu kommen und keine Waffen mitzubringen. Sie wissen, dass es dort polizeiliche Kontrollen gibt. Wenn Rechtsextreme an irgendwelche Feste gehen, die von andern organisiert werden, und dort «Linke» oder «Ausländer» oder was immer für Personen zusammenschlagen, dann ist das in unserm Sinne spontan und kaum im Einzelnen vorhersehbar. Diese Art Gewalt wird heute mehrheitlich verübt. Es gibt auch weniger gezielte Angriffe gegen Asyleinrichtungen, als es noch vor Jahren der Fall war.
Vor solchen Überfällen kann niemand sicher sein. Dieselbe Gruppe, die in Frauenfeld zuschlug, hat im benachbarten Zürcher Weinland Volksfeste gestürmt.
Bühler: Das ist eine schwierige Entwicklung, die dazu führt, dass man Zeitpunkt und Ort gewalttätiger Ereignisse kaum mehr präventiv erkennen und entsprechende Massnahmen dagegen treffen kann. Man kann nicht jedes Fest mit einer genügenden Polizeipräsenz abdecken, um bereit zu sein, falls irgendwelche Rechtsextreme dorthin gehen. In den 90er-Jahren gab es mal eine rechtsextreme Besammlung, von der man wusste, dass die Teilnehmer ins Zürcher Niederdorf gehen wollten. Man hat ein entsprechendes Polizeidispositiv aufstellen können. Als dies die Rechtsextremen feststellten, entschieden sie kurzfristig, nicht ins Niederdorf zu gehen. Nachher haben sie im luzernischen Hochdorf ein Musikfestival überfallen und dort innert Minuten alles kurz und klein geschlagen.
In Deutschland ist «Blood and Honour» seit dem Jahr 2000 verboten. Könnte das die Schweiz auch tun?
Bühler: Nein. In der Schweiz besteht keine ordentliche Rechtsgrundlage, um bestimmte Organisationen zu verbieten – ausser dem zivilrechtlichen Vereinsverbot, das nicht geeignet ist gegen solche Gruppierungen.
Eine gewaltverherrlichende, rassistische Gruppe wie «Blood and Honour» könnte man als kriminelle Organisation bezeichnen. Sind kriminelle Organisationen nicht verboten?
Bühler: Nein. In diesem Sinne nicht. Dafür müsste zuerst ein Gericht anhand von konkreten Einzelklagen feststellen, dass es sich um eine kriminelle Organisation handelt. Dann ist die Mitgliedschaft strafbar für den Einzelnen. Daraus ergibt sich indirekt, dass es sich um eine verbotene Organisation handelt.
Sonst gibt es keine Möglichkeit?
Bühler: Gestützt auf seine Verfassungskompetenzen könnte der Bundesrat eine Organisation verbieten. Dafür bestehen hohe Hürden. Die innere Sicherheit muss unmittelbar schwer gefährdet sein. Diese Kompetenz hat er in den letzten Jahren einmal angewendet – bei Al-Qaida. Nach Ansicht mancher Juristen war nicht einmal diese Bedrohung für die Schweiz so gross, wie es die Verfassung erfordert. Diese Verbote müssen zudem befristet sein.
Besteht hier also eine Gesetzeslücke?
Bühler: Wir sind an einem Projekt, um Organisationen auf einer ordentlichen Gesetzesgrundlage verbieten zu können. Dieses Projekt wird vom Bundesamt für Polizei vorbereitet im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.Interview: Thomas Wunderlin
Brutalität ist Wirklichkeit
«Brutality ist my reality», steht auf der Website der Neonazi-Gruppe «Blood and Honour» (Blut und Ehre). Keine leere Drohung, wie Dominik B. erfahren hat. Im April 2003 wurde er beim Frauenfelder Bahnhof invalid geschlagen. Das Bezirksgericht Frauenfeld verkündet morgen das Urteil über sechs seiner Angreifer. Der 25-jährige Matrose und Maurerlehrling Ivo H., der Kopf der Gruppe, gehört «Blood and Honour» an. Auch die Mitangeklagten bewegen sich in der Szene. Laut Staatsanwalt hat ihre Gewalt jede Vorstellungskraft überstiegen.
«Blood and Honour» entstand in den 80er-Jahren in England. «Blut und Ehre» stand auf den Fahrtenmessern der Hitler-Jugend. In der Schweiz rivalisiert «Blood and Honour» mit den Hammerskins um die Vorherrschaft in der rechten Szene. Die «Blood and Honour»-Untergruppe «Wylandsturm», deren Anführer H. war, machte sich laut «Wochenzeitung» in den Jahren 2001 und 2002 mit gewalttätigen Übergriffen auf öffentliche Feste im Zürcher Weinland unbeliebt. Unter anderem attackierte sie in Marthalen drei 15-jährige Mädchen mit Pfefferspray. Ein Zitat aus jener Zeit zeigt, wie H. denkt: «Die weisse Rasse muss aufrechterhalten werden. Die Schwarzen leben wie wilde Tiere, die gehen auf die eigenen Leute los. Wenn wir auf die Linke losgehen, dann wegen der verschiedenen Ideologien.»
Laut Staatsanwalt scheinen H.s Verblendung und Gewaltverherrlichung masslos zu sein. Wie H. vor Bezirksgericht bestätigte, besucht er nach wie vor rechtsextreme Veranstaltungen. (wu)
Der Prozess gegen die sechs Rechtsextremen fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Person
Jürg Bühler
Stellvertretender Chef des Dienstes für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei