Überschätzte Provokateure

NeueZürcherZeitung

Die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) ist nach dem Skinhead-Aufmarsch auf dem Rütli vom 1. August 2000 gegründet worden. Ihr grösster Erfolg ist, dass es sie immer noch gibt.

Von Markus Steudler

Es hätte eine jener beschaulichen Podiumsdiskussionen zum Thema Rechtsextremismus werden sollen, wie sie nach dem 1. August 2000 in der Schweiz zuhauf organisiert wurden. Doch an diesem 30. Januar 2001 lag an der Sektionsversammlung der SP Gelterkinden (BL) auf einmal Spannung in der Luft. 13 kahl rasierte Männer und zwei Frauen in Springerstiefeln waren unerwartet ins Gelterkinder «Rössli» marschiert und hatten sich inmitten der Sozialdemokraten niedergelassen. «Erst habe ich gedacht, die seien zum Provozieren da», sagt der Basler Historiker Ruedi Brassel, der an jenem Abend über das Parteiprogramm der neu in der Region aufgetauchten Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) referierte. «Doch sie waren anständig und diskutierten mit.» Brassel erinnert sich, wie der Wortführer, der damals 19-jährige PNOS-Vizepräsident Jonas Gysin, die Nähe zu Nazi- Deutschland von sich wies, sich aber derselben Argumentationsmuster bediente, und wie er sich selbst als Opfer der Diskriminierung und Kriminalisierung darstellte. «Zum Abschied drückten mir einige der Jugendlichen die Hand», sagt Brassel. «Sie hatten massiv Kreide gefressen.»

Weniger Schreibfehler

Es war der erste Auftritt von PNOS- Mitgliedern in der Öffentlichkeit; weitere sollten folgen. Die brachial anmutenden Rechtsextremen waren um eine Imagekorrektur bemüht. Eine politische Partei schien das richtige Instrument dafür. Am 1. September 2000 hatten die beiden einstigen Mitglieder der Skinhead-Organisation «Blood & Honour», Jonas Gysin und Sacha Kunz, in Liestal die PNOS gegründet. Kunz, auf dessen Faust die tätowierte Aufschrift «SKIN» prangt, fungierte damals noch als Präsident der Nationalen Partei Schweiz (NPS). Diese war erst wenige Monate alt, in der rechtsextremen Szene aber bereits abgeschrieben, weil sich ihr Hauptexponent, der Berner David Mulas, mit diversen Entgleisungen – zum Beispiel Morddrohungen gegen «Linke» – angreifbar gemacht hatte. Die PNOS sollte nun schaffen, was der NPS und anderen kurzlebigen Parteikonstrukten nicht gelungen war: «Die PNOS ist die Chance, aus dem Dunstkreis der Gewalt herauszukommen und unsere Meinung öffentlich zu pflegen», erklärte Gysin nach der Parteigründung. Es galt, die Gunst der Stunde zu nutzen: Durch den Skinhead-Aufmarsch auf dem Rütli am 1. August 2000 war die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert; die Medien vermeldeten jede kleinste Bewegung aus der rechtsextremen Szene.

Heute produziert die PNOS die mediale Aufregung selbst. Durch Provokationen oder Mobilisierungen – wie beispielsweise für die diesjährige 1.-August-Demonstration in Brunnen (SZ) und auf dem Rütli – schafft sie es immer wieder, Medien und zum Teil auch Behörden in Alarmstimmung zu versetzen. Obwohl die meisten Rechtsextremen weiterhin in traditionellen Skinhead-Gruppierungen organisiert sind, kann die PNOS das Gros der öffentlichen Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Dabei wird ihre Mitgliederzahl auf lediglich 130 geschätzt. Ihr Ziel, auch Mitglieder ausserhalb der Szene anzuwerben, hat sie verfehlt.

Der grösste Erfolg der PNOS ist, dass es sie immer noch gibt. «Dass die Partei eine recht stabile Existenz hat aufbauen können, ist zwar kein sensationeller Erfolg. Wir hätten es ihr vor vier Jahren aber nicht zugetraut», sagt der oberste Staatsschützer, Urs von Daeniken, Chef des Dienstes für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei. Diese Einschätzung teilt der Berner Rechtsextremen-Ideologe Roger Wüthrich. «Die haben etwas relativ Solides aufgebaut», sagt er. Fortschritte zeigten sich konkret in der Partei- Zeitschrift, die orthographisch viel weniger Fehler aufweise als früher. Heute würden die Texte von drei Personen mit Rechtschreibeprogrammen korrigiert. Dennoch: «Auch wenn die PNOS nicht gleich wieder von der Bildfläche verschwindet, wird sie nie auf einen grünen Zweig kommen. Im Volk fehlt die Akzeptanz», sagt Wüthrich.

Gewalt trotz Verzicht

«Die Partei ist politisch vollkommen irrelevant», sagt auch Samuel Althof, Sprecher der Aktion Kinder des Holocaust, der die Entwicklung der PNOS seit deren Gründung intensiv mitverfolgt. «Sie ist in ihrer gefährlichen nationalsozialistisch orientierten Ideologie gebunden und somit politisch nicht kompromissfähig.» Staatsschützer von Daeniken, der die PNOS als rechtsextreme Organisation mit einer stark revisionistischen Haltung bezeichnet, mahnt zur Vorsicht: «Die deutsche NPD hat vor Jahren gleich begonnen», sagt er. «Dadurch, dass die PNOS sich wählbar gemacht hat, werden ihre Ideen mehr oder weniger legitimiert. Das ist das Gefährliche.»

Bei den Nationalratswahlen 2003 erzielte die PNOS im einzigen Kanton, in dem sie es schaffte, einen Kandidaten aufzustellen, einen Wähleranteil von 0,13 Prozent. Das reichte nicht annähernd für einen Nationalratssitz, wenngleich der PNOS-Kandidat, ein 21-jähriger Plattenleger, 1335 Kandidatenstimmen erzielte, von welchen ein Drittel von SVP-Wählern stammte, wie aus der statistischen Analyse hervorgeht. Diese ist für die Partei viel wichtiger als das Resultat. «Die PNOS hat gewusst, dass sie null Chancen hat», sagt Wüthrich. «Die Teilnahme an den Wahlen hat den Vorteil, dass die Behörden für einen gratis Promotionsmaterial an alle Stimmberechtigten senden müssen. Zudem dienen Wahlen als Stimmungsbarometer.» Sie zeigten, so Wüthrich, in welchem Bezirk man wie viele Stimmen gemacht habe, wo es sich lohne, eine Ortsgruppe zu gründen, Veranstaltungen zu organisieren oder Flugblätter zu verteilen.

Der heutige «Parteivorsitzende», wie sich Jonas Gysin nennt, will das nicht abstreiten. Dank der PNOS werde ein Teil «der Rechten» jetzt anders wahrgenommen, sagt er zufrieden. «Heute kann einer für unsere Meinung einstehen, ohne sich in ein mit Gewalt vorbelastetes Milieu zu begeben», behauptet er. Die PNOS habe einen Rückgang der Gewalt herbeigeführt. Seit ihrer Gründung hat die Zahl der Gewaltdelikte rechtsextremer Kräfte in der Schweiz abgenommen, was ihr seitens der Staatsschützer teilweise tatsächlich zugeschrieben wird. Als ebenso sicher gilt jedoch, dass der propagierte Gewaltverzicht nur Mittel zum Zweck ist im Hinblick auf die eigene Wählbarkeit. So verurteilte das Strafgericht Baselland im November 2003 Sacha Kunz wegen Körperverletzung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 16 Monaten und 15 Tagen, weil er – unter anderem – im Sommer 2001 mit Jonas Gysin einen Minderjährigen spitalreif geschlagen hatte, der angeblich seine Freundin belästigt hatte. Gysin erhielt eine bedingte Gefängnisstrafe von 30 Tagen. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig und werden im Herbst 2004 in zweiter Instanz beurteilt.

«Wir haben Lehrgeld bezahlt», sagt Gysin. «Die Strafen waren für uns mit ein Grund, uns anders, gewaltlos, zu engagieren.» Dass die Gewalttaten ein Jahr nach der Parteigründung geschahen, erwähnt er nicht. «Mein Gott, ich war 19 Jahre alt, als ich die Partei gründete», erwidert er. Das Spiel mit den Medien hat der Vorsitzende gelernt.