Tückischer «Gefällt mir»-Button

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Im Sommer 2015 war in einschlägigen Facebook-Gruppen eine Diskussion über die Frage ausgebrochen, welche Tierschutzorganisationen an der Veganmania Schweiz, gemäss Eigendeklaration «das grösste vegane Strassenfest der Schweiz», teilnehmen dürfen. Dabei wurde in Postings von verschiedenen Leuten Erwin Kessler, Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VGT), als Rassist, Antisemit oder Faschist bezeichnet, der VGT als antisemitischer oder gar neonazistischer Verein tituliert. Die Postings wurden von verschiedenen Personen «geliked» – unter anderem von einem 45-jährigen Zürcher.

Keine «ernsthaften Gründe»

An seinem Prozess gestern Montag hatte das Bezirksgericht Zürich im Wesentlichen zwei Fragen zu beantworten: Waren die Äusserungen ehrverletzend, den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllend? Und: Kann deswegen auch eine Person bestraft werden, welche die Texte nicht selber verfasst, sondern nur via Like weiterverbreitet hat? Beide Fragen beantwortete das Gericht mit Ja. Die Äusserungen sind ehrverletzend. Eine Verurteilung lässt sich demnach nur verhindern, wenn der Täter beweisen kann, dass die Äusserungen der Wahrheit entsprechen, oder dass er «ernsthafte Gründe» hatte, sie «in guten Treuen für wahr zu halten».

Dieser Wahrheits- oder Gutglaubensbeweis gelang dem 45-Jährigen nach Ansicht des Gerichts nicht. Es entspricht zwar der Wahrheit, dass Kessler im Jahr 1998, im Zusammenhang mit seinem engagierten Kampf gegen die mögliche Aufhebung des Schächtverbots, wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurde. Ihn aber deswegen, zwanzig Jahre später, als Rassisten zu bezeichnen, gehe nicht. Einen aktuellen Beweis, der es erlauben würde, Kessler auch heute noch als Rassisten, Antisemiten oder Faschisten zu bezeichnen, konnte der Beschuldigte nicht liefern. So erging es auch weiteren Personen, die inzwischen in Zürich, Luzern und Bern wegen übler Nachrede per Strafbefehl rechtskräftig verurteilt wurden.

Dass die Formulierungen von Dritten stammten, konnte den 45-Jährigen nicht vor einer Bestrafung – das Gericht verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 100 Franken – bewahren. Mit dem Anklicken des «Gefällt mir»-Buttons hätte er den Inhalt befürwortet und ihn sich damit zu eigen gemacht. Das Liken, so Einzelrichterin Catherine Gerwig, bedeute in diesem Fall «ein Weiterverbreiten eines Werturteils in zustimmendem Sinne. Mit einem ‹Like› ist eine positive Äusserung verbunden». In vergleichbarer Weise äusserte sich auch das Bezirksgericht Münchwilen TG im Februar dieses Jahres, als es eine zivilrechtliche Klage von Erwin Kessler und seinem Verein behandelte.

Die Urteile und rechtskräftigen Strafbefehle dürften verschiedenen Facebook-Nutzern zu denken geben. Wer hat nicht schon Inhalte «geliked», die fragwürdig oder zweifelhaft sind?

«Like» gleich Weiterverbreitung?

Für Medienanwalt Martin Steiger sind die Urteile vorläufig Einzelfälle, die nicht generalisiert werden sollten. «Es kommt immer darauf an, was ein ‹Like› bedeutet und was jemand damit bezweckt», sagt Steiger. «Ein ‹Like› heisst nicht immer, dass jemandem der Inhalt eines Eintrags gefällt. Ist zum Beispiel ein Unglück passiert, drückt man damit auch Mitgefühl aus. Oder dass man es positiv findet, dass jemand etwas auf Facebook teilt.» Daran ändere auch die vor einem Jahr eingeführte Möglichkeit nichts, «traurig», «wow» oder «wütend» anzuklicken statt «gefällt mir»: «Oft ist unklar, welche Variante passend ist. Und nach wie vor ist ‹like› der Standard.»

Auch könne nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Nutzer einen Eintrag unter seinen Facebook-Freunden weiterverbreite, wenn er auf ‹like› klicke: «Ein ‹Like› erscheint längst nicht bei allen Facebook-Freunden; mobile Nutzer zum Beispiel sehen diesen gar nicht.» Wer einen Inhalt effektiv weiterverbreiten wolle, der müsse die Funktion «Teilen» wählen. Der gestern verurteilte Zürcher hat sich aber möglicherweise selbst ein Bein gestellt: Er hat vor Gericht ausgesagt, dass er die Inhalte befürwortete und weiterverbreiten wollte. Deshalb sei die Verurteilung «nicht zwingend ungerechtfertigt», so Steiger.

Dennoch übt der Anwalt Kritik: «Es ist bekannt, dass Erwin Kessler jede unerwünschte Debatte über seine Person zum Verstummen bringen will. Aus meiner Sicht aber ist er eine öffentliche Person, über die eine kritische Diskussion möglich sein muss.» Aus seiner Sicht wäre es bedauerlich, wenn Urteile wie jenes von gestern und jenes des Zivilgerichts Münchwilen letztlich zu einer «Schere im Kopf» führten. Aber ein kurzes Innehalten vor dem Klicken schade nicht: «Wer auf Facebook einen Inhalt mit ‹Gefällt mir› markiert, der sollte sich im Klaren sein, was er damit will.» Kommentar Seite 2

«Ein ‹Like› heisst nicht immer, dass jemandem ein Eintrag gefällt. Man drückt damit vielleicht auch Mitgefühl aus.»

Martin Steiger, Medienanwalt