«Das Freie Wort ist tot», behauptet Anian Liebrand am Freitagabend im halb gefüllten Saal des Luzern-Littauers Michaelshof. Und so heisst Liebrand die «Mitglieder der Jungen SVP» einen Sarg (schwarz mit dunkelrotem Kreuz) vor die Bühne zu tragen, untermalt vom Lied «Spiel mir das Lied vom Tod». Spannung will nicht aufkommen, auch nicht bei der Brauchtumspflege: Geisslechlöpfer, Trittst im Morgenrot daher, Einmarsch der Kantonsfahnen. JSVP-Präsident Liebrand erklärt noch: Die Rassismus-Strafnorm werde «völlig missbraucht», es gehe nicht um Rassismus, sondern Verhinderung von Kritik.
Bereits in der Einladung hatten die Jungpartei geschrieben: «Gesinnungsjustiz» führe dazu, «dass sich viele Bürger heute nicht getrauen» würden, «unbequeme Meinungen frei zu äussern». Das behaupteten die Strafnorm-Gegner bereits im Abstimmungskampf im Sommer 1994, an diesem Abend wiederholen es die SVP-Exponenten Herman Lei, Anwalt/Kantonsrat Thurgau, und Lukas Reimann, Jurist/Nationalrat Sankt Gallen. «Wir Schweizer müssen uns alles gefallen lassen», behauptet Reimann. Er spricht von einer instrumentalisierten Kampagne, das Ziel sei die Einschätzung «SVP gleich Rassisten, SVP gleich unwählbar». Lei seinerseits beklagt die Strafbefehle gegen SVP-Exponenten, ergangen in den vergangenen Monaten. Er berichtet von Klagen gegen SVP-Kritiker und unterstellt, es gebe «Menschen», die von der Rassismus-Strafnorm («eine Waffe gegen Andersdenkende») leben würden – auch der Verfasser dieses Textes soll dazu zählen.
Geschichten von früher
Erhellendes zu berichten hatte der vierte Redner: Herbert Meier, bereits im Pensionsalter, einst SVP-Grossrat im Kanton Aargau, viele Jahre lang Herausgeber der Zeitung «Abendland», heute Aktivist in der rechtskatholischen Bewegung Pro Ecclesia, eine Art Fanclub von Bischof Wolfgang Haas, der sich als Vertreter einer papsttreuen Kirche versteht. «Vier Wochen vor Ablauf der Referendumsfrist» habe er im Herbst 1993 einen Anruf erhalten, berichtet er. Der Anrufer war ein Vertreter des Rechtsaussen-Komitees, dessen Unterschriftensammlung gegen «das Antirassismus-Gesetz» zu scheitern drohte. Wer genau ihn damals kontaktiert hat, daran will sich Meier nicht mehr erinnern können. Fakt ist: Präsidiert wurde das Rechtsaussen-Komitee vom St. Galler Arzt und Antisemiten Walter Fischbacher (FDP), bekanntester Exponent war der Rimuss-Produzent Emil Rahm (SVP), ebenfalls dabei Ernst Indlekofer (damals noch SVP, heute Holocaust-Leugner und Redaktor einer rechtsextremen Zeitschrift). Wie auch immer: Meier organisierte innert kürzester Zeit ein Komitee von Rechtsbürgerlichen, es rettete das Rechtsaussen-Referendum.
Für ihn sei dieses Gesetz, so berichtet Meier, «nur der Höhepunkt in einer einseitig gesteuerten Kampagne einer neulinken ‚Political Correctness» gewesen, einer «Polit-Seuche, die uns seit den Wirren der sogenannten 68er-Bewegung heimgesucht» habe. Ideologie-Versatzstücke aus der Zeit des Kalten Krieges. Dann aber eine Neuigkeit: Sein Komitee habe rund 300’000 Franken für den Abstimmungskampf ausgeben können. «Fast die Hälfte dieser Summe, 130’000 Franken, stammte von einem einzigen Mann. Sein Name: «Karl Schweri», damals Chef und Besitzer von «Denner». Meier nennt den Spender einen «aufrechten Eidgenossen». Das dürfe man heute sagen, «ohne die Vertraulichkeit zu verletzen oder jemanden zu schaden».
Alle zwei Jahre einen Vorstoss
Den Zuhörern bietet Meier Zuversicht, «die Reihen im bürgerlichen Lager» seien heute «besser geschlossen», sowohl in der SVP wie der AUNS. Denn auch die SVP Schweiz hatte 1994, ein JA zur Rassismus-Strafnorm empfohlen. (Die SVP Luzern beschloss die NEIN-Parole.) Die AUNS hatte damals «in einer stürmischen Sitzung» (Meier) entschieden, sich nicht zu engagieren.
Meier verzichtet auf Kritik am JA-Sager Christoph Blocher, lobt hingegen den aktuellen AUNS-Präsident Lukas Reimann, der «eine eindeutige Meinung» habe. In der Pause präzisiert Meier gegenüber zentral+: «In naher Zukunft wird die Strafnorm nicht abgeschafft.» Auf lange Frist sieht er grössere Chancen. Ähnlich Lukas Reimann. Er kann in den eidgenössischen Parlamenten vorerst keine Mehrheit ausmachen, auch nicht nach den Oktoberwahlen. Aber die SVP will die Aversionen gegen die unerwünschte Strafnorm warm halten und «so alle zwei Jahre» einen Vorstoss einreichen. Das tut sie allerdings bereits seit Jahren.
Rechtsradikale Besucher
Reimann freut besonders die Anwesenheit von Männern in «Edelweiss-Hemden». Am Tisch des zentral+-Reporters sitzt ein junger Mann in einem T-Shirt der »Kameradschaft Heimattreu» (St. Galler Linthtal). Eines will er festgehalten haben: Er sei nicht «rechtsradikal», er sei »Nationalsozialist». Mit ihm unterwegs ist ein ehemaliger Basler Exponent der Partei National Orientierter Schweizer PNOS, bereits einmal verurteilt wegen Leugnung des Holocausts. Auch sie haben sich an diesem Abend von der JSVP bestärkt gefühlt.
Die Rassismus-Strafnorm
Zwanzig Jahre lang ist die Rassismusstrafnorm in Kraft, angenommen Ende September 1994 in einer Referendumsabstimmung mit 54,6 Prozent. Eine Statistik der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) dokumentiert für die ersten 19 Jahre (bis Ende 2013) insgesamt 665 Anzeigen, wovon 337 zu einer Verurteilung führten, macht gesamtschweizerisch knapp 1,5 pro Monat. Insgesamt nur wenig Juristenfutter also.
Die Strafnorm «Rassendiskriminierung» (Art. 261bis StGB) ahndet die Verbreitung von Ideologien, die sich gegen Angehörige einer Rasse, Ethnie oder Religion richten. Ebenso Aufrufe zu Hass oder Diskriminierung, wie auch Propagandaaktionen aus gleicher Motivation, wie auch die Leugnung von Völkermorden und die Verweigerung von Leistungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind. Die Strafnorm sieht bis zu drei Jahre Freiheitsentzug vor. Die meisten Verurteilten sind Ersttäter und erhalten bedingte Strafen. Die höchste ausgesprochene Sanktion bis anhin: 15 Monate Gefängnis unbedingt. Der Verurteilte entzog sich dem Gefängnis durch Flucht ins Ausland.