Wie die SVP versucht, das Antirassismus-Gesetz zum Wahlkampfthema zu machen
Nach Bundesrat Blochers Provokation in der Türkei stösst seine Partei jetzt nach und fordert erneut die Abschaffung der Antirassismus-Strafnorm. Dabei zeichnet sie ein verzerrtes Bild der heutigen Gerichtspraxis.
Christian von Burg
Gestern hat die SVP in Bern einmal mehr die vollständige Abschaffung der Antirassismus-Strafnorm verlangt und dazu gleich noch die Aufhebung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus gefordert. SVP-Bundesrat Blocher hat der Partei dazu den Weg geebnet, indem er Anfang Oktober auf seinem Staatsbesuch in der Türkei vor geladener Presse sein grosses «Bauchweh» wegen der Antirassismus-Strafnorm beklagte. Er bezeichnete es als unannehmbar, dass türkische Historiker in der Schweiz wegen der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern rechtlich belangt werden können. Blocher hat deshalb eine Überprüfung des Antirassismus-Gesetzes eingeleitet.
Die SVP stellt nicht in erster Linie den Schutz türkischer Historiker in den Vordergrund. Sie will die Situation in der Schweiz zum Thema machen und bezeichnet die Antirassismus-Strafnorm als «Maulkorbgesetz»: Diese verhindere die freie Meinungsäusserung. Wer Missstände mit Ausländern im eigenen Land anprangern wolle, getraue sich kaum mehr etwas zu sagen.
Gewaltbereite Kosovaren
Als Paradebeispiel dient ihr der Fall des Solothurner SVP-Präsidenten Heinz Müller, Unternehmer und Gemeinderat aus Grenchen. Er wurde vom Grünen Burgdorfer Anwalt Daniel Kettiger angeklagt, weil er in einem Interview gesagt hatte, «Kosovo-Albaner legen eine Gewaltbereitschaft an den Tag, die wir hier nicht kennen». Müller wurde dafür in erster Instanz zu 500 Franken Busse verurteilt. Er nahm sich jedoch einen Anwalt und wurde in zweiter Instanz freigesprochen. «Der Kläger hat sich in mir den Falschen ausgesucht», sagt Müller. Er sei nämlich mit einer Kroatin verheiratet und beschäftige in seinem Betrieb zahlreiche ausländische Mitarbeiter – auch aus Kosovo. Die Kriminalstatistik stütze seine Aussage, er sei kein Rassist.
Verzerrte Realität
Was die SVP unerwähnt lässt: Die Antirassismus-Strafnorm hat weder zu einer Prozessflut geführt, noch kann sie ernsthaft als Maulkorb bezeichnet werden, denn es ist möglich, noch viel heftiger ungestraft zu poltern, als dies der Grenchener Kantonsrat tat: Der Bieler Polizeidirektor und Präsident der Freiheitspartei, Jürg Scherrer, sprach von «Ausländerpack», bezeichnete Gaskammern als «Detail der Geschichte» und forderte die Rückschaffung aller Einwanderer aus Kosovo – er wolle «keine neuen Schweizer mit krimineller Vergangenheit».
Auffällig sind zudem die geringe Zahl der Anzeigen und die zurückhaltende Anwendung der Strafnorm durch die Richter. Zwischen 1995 und 2003 sind schweizweit 241 Fälle angezeigt worden. In 49 Prozent der Fälle traten die Richter gar nicht auf die Klagen ein. Bei den übrigen Fällen kam es zu 19 Prozent Freisprüchen und 81 Prozent Verurteilungen.
Skinheads in der Waldhütte
Trotz dieser weiten Toleranzgrenze für populistische Politiker erklärt die SVP-Parteileitung, die Meinungsfreiheit werde immer stärker eingeschränkt. Entgegen der ursprünglichen Absicht des Gesetzes sei heute auch das Erzählen eines rassistischen Witzes am Stammtisch strafbar. Als Beleg führt SVP-Generalsekretär Gregor Rutz einen Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2004 an, mit dem eine Äusserung «an einem privaten Treffen in einer Waldhütte» als Verstoss gegen das Antirassismus-Gesetz gewertet wurde. Was Rutz nicht sagt: Bei dem «privaten Anlass» handelte es sich um ein geheimes Skinhead-Treffen. Das Urteil richtete sich gegen rechtsextreme Gruppierungen, die unter dem Deckmantel nichtöffentlicher Veranstaltungen ihre Propaganda verbreiten.
So laut die Kritik der SVP an der Antirassismus-Strafnorm daherkommt, konkrete Massnahmen dagegen will die Partei nicht ergreifen. Gemäss Parteipräsident Ueli Maurer soll auf eine Initiative vorerst verzichtet werden. Er könne sich durchaus vorstellen, dass es in einem weiteren Anlauf möglich werde, die Strafnorm im Parlament abzuschaffen. Auch die Vorschläge des Justizdepartementes für die Überarbeitung des Antirassismusartikels müssten geprüft werden. Einen Kompromiss schloss Maurer nicht aus. Fazit: Die SVP will die Antirassismus-Strafnorm vor allem zum Wahlkampfthema machen und mit Ausländerthemen vermischen.