«Mein Sohn, er ist das Opfer»
Die Tötung von Rechtsextremist Marcel Strebel im Burgdorfer Industriequartier bewegt Anwohner wie Direktbetroffene. Der 30-jährige Mann, der schoss, habe aus Notwehr gehandelt, sagt sein Vater.
Sandra Kaufmann
Bernhard Wyss packt das Auto. Er hat genug vom Rummel der letzten Tage und will zusammen mit seiner Frau wegfahren. Familie Wyss wohnt im Industriegebiet Buchmatt in Burgdorf und hat keine sonderlich schöne Aussicht: Vis-à-vis des Hauses befindet sich die lang gezogene, graue Fabrikliegenschaft von J. W.* In diesem Flachbau wurde Rechtsextremist Marcel Strebel am Sonntagabend erschossen.«Ich habe den Schuss gehört», sagt Wyss, «ihn nicht als solchen identifiziert». Zu jenem Zeitpunkt sei er im Garten gewesen. Kurz darauf habe er auf der Strasse eine männliche Stimme vernommen und sei hellhörig geworden. «Jemand telefonierte, und ich konnte Wortfetzen des Gesprächs mithören. Der Mann sprach von
Strebel ohne Bart?
Der Sohn von J. W. hat telefoniert und geschossen. Mit dem Sturmgewehr. Strebel, der an jenem Abend bei J. W. und dessen Sohn zu Besuch ist, wird tödlich getroffen. J. W.s Sohn stellt sich der Polizei und gesteht die Tat.«Ich weiss nicht, ob sich Strebel oft bei J. W. aufgehalten hat», sagt Wyss. Er habe ihn vor kurzem zum ersten Mal gesehen, aber nicht erkannt. «Ich glaube, dass er keinen Bart mehr trug.» Es hätten sich oft illustre Gestalten, die «schwer einzustufen» gewesen seien, auf dem Gelände aufgehalten, sagt Wyss. «Wir wurden zwar nie belästigt, haben uns aber aus Selbstschutz bewusst nicht mit J. W. auseinander gesetzt.» Wyss vermutet keine Zusammenhänge mit der rechtsextremen Szene.
«Wir ziehen weg»
In der Liegenschaft an der Fabrikweg 3 befindet sich das Liquidationscenter von J. W., und zwei eingemietete Betriebe. Einer davon ist ein Sauna-Club. Der andere ist die Garage von Durs Hess, der sich gerade bei der Arbeit befindet. «Wir sind noch ein Jahr hier, dann ziehen wir weg», sagt Hess. Das habe aber nichts mit dem Vorfall von Sonntag zu tun. Es sei zu Differenzen mit dem Vermieter gekommen. «Am Montagmorgen hat mir J. W. erzählt, dass sein Sohn von Strebel mit einem Pickel bedroht wurde und ihn dieser daraufhin erschossen habe.» Hess sagt, dass er Strebel zuvor nur einmal gesehen hat. «Mir fiel damals auf, dass er keinen Bart mehr trug.» Der Sohn von J. W. sei erst seit zehn Tagen bei seinem Vater zu Besuch. «Der wohnt nicht hier.» J. W. handle unter anderem mit ausgedienten Armeefahrzeugen, die er häufig ins Ausland verkaufe, weiss Hess. «Es sind jeweils sehr viele Ausländer bei J. W. ein- und ausgegangen», sagt der Garagist, und: «Wir haben zwar gehört, dass es nebenan etwa zu Auseinandersetzungen zwischen J. W. und seinen Besuchern gekommen ist. Aber wir haben uns nicht eingemischt. Wir wollten damit nichts zu tun haben.»
Die Wohncontainer
Vor der Fabrik befinden sich zwei Wohncontainer. In einem würden, laut Beobachtungen der Nachbarn, zwischendurch Mitarbeiter von J. W. wohnen. Der andere steht zurzeit leer. Marcel Strebel, der bei J. W. arbeiten wollte, hätte in diesem untergebracht werden sollen. J. W. selber wohnt seit 16 Jahren in einer Wohnung im vorderen Teil der Fabrikliegenschaft. Sein Sohn, der bei der Mutter im Kanton Zürich aufgewachsen ist, hat ein eigenes Zimmer im Gebäude. «Nur die vielen Armeefahrzeuge und die Unordnung um J. W.s Betrieb sind aufgefallen», sagt ein Arbeiter von der benachbarten Fabrik. In der Zwischenzeit ist die Polizei auf dem Gelände eingetroffen. «Wir rekonstruieren den Tathergang», erklärt Hans Schmidiger, der zuständige Fahnder.
«Es war Notwehr»
J. W. befindet sich auch vor Ort. Er erklärt sich bereit, den Tathergang aus seiner Sicht zu schildern: «Strebel ist am Sonntag bereits betrunken bei mir eingetroffen und trank weiter.» Strebel sei im April in Bern in eine Schlägerei verwickelt gewesen (siehe Kasten) und habe damals eine schlimme Kopfverletzung davongetragen, holt J. W. bei seinen Schilderungen aus. «Weil er wegen der Verletzung starke Medikamente nehmen musste, ergab dies eine teuflische Mixtur.» Später an jenem Sonntag musste sich J. W. um Kundschaft kümmern. «Plötzlich kam mein Sohn aus dem Gebäude gerannt.» Strebel sei ihm in Rage gefolgt. «Ich dachte mir, was da wohl los sei, und überlegte, die Polizei zu alarmieren.» Er habe aber erst nachdem der Kunde gegangen sei nach seinem Sohn schauen können. «In dem Moment kam er aus dem Haus und sagte, dass er Strebel habe erschiessen müssen. Dieser sei mit dem Pickel auf ihn losgegangen.» Strebel sei ein kräftiger Mann gewesen, der zwar zu Gewalttätigkeit neigte, aber «sonst sehr umgänglich war». Am Sonntag sei er aber unberechenbar geworden. «Mein Sohn hat aus reiner Notwehr gehandelt.» Woher J.W. Strebel kannte? «Ich habe ihn vor zwei Jahren kennen gelernt. Er hat mir ein Armeefahrzeug abgekauft.» Damals habe er nicht gewusst, wer Strebel ist. «Ich bin ein Geschäftsmann und kein Politiker, weder rechts noch links», stellt J. W. klar. Wieso hatte der Sohn so schnell ein Sturmgewehr zur Hand? «Er hat sein Armeematerial bei mir deponiert.»Das tue aber alles nichts zur Sache: «Er musste Strebel erschiessen – die einen freuts, die anderen nicht. Aber mein Sohn ist das Opfer.» *Name der Redaktion bekannt.
Nach einer Schlägerei ins Spital eingeliefert
Am 26. April hielt sich Fremdenhasser Marcel Strebel in der Stadt Bern auf – und für einmal war er an jenem Abend offenbar nicht Täter, sondern Opfer. Was war geschehen? Rolf Spycher, Sprecher der Stadtpolizei Bern, erklärt: Im Bereich der Tramhaltestelle Schönegg an der Seftigenstrasse habe ein Trampassagier eine Schlägerei beobachtet. Zwei junge Männer und ein älterer Mann waren darin verwickelt. Die zwei Burschen, ihr Alter wird auf etwa 18 bis 25 Jahre geschätzt, sollen den älteren Mann mit einem Holzstock traktiert haben. Der Mann blieb liegen, es wurde eine Ambulanz gerufen. Diese fuhr ihn ins Berner Inselspital, und es stellte sich heraus, dass es sich beim zusammengeschlagenen Mann um Marcel Strebel handelt.Strebel zog sich Kopfverletzungen zu; wie schwer diese waren, konnte Rolf Spycher gestern Abend nicht sagen. Ebenfalls konnte er weder bestätigen noch dementieren, dass Strebel als Folge dieses Vorfalls starke Medikamente habe zu sich nehmen müssen. Weiter sei auch unklar, weshalb es überhaupt zum Streit gekommen ist. Klar ist, dass Strebel gegen seine Widersacher eine Anzeige wegen Körperverletzung eingereicht hat. Noch konnten die Gesuchten aber nicht gefunden werden.Vor gut einer Woche ist Marcel Strebel auch in Burgdorf gesichtet worden. Via Drittperson habe man erfahren, dass er sich in der Oberstadt aufgehalten habe und bewaffnet gewesen sei, erklärt die Burgdorfer Polizeichefin Romy Kieliger. Man sei dem Hinweis nachgegangen, habe jedoch nicht herausgefunden, ob es sich bei der beobachteten Person tatsächlich um Marcel Strebel handelte, so Kieliger. maz