«Strafen haben eine Wirkung»

BernerZeitung

Ein Basler Soziologenteam hat Jugendliche nach den Gründen für den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene befragt. Nur die Hälfte aller Aussteiger schliesse wirklich mit dem Rechtsextremismus ab, sagt Ueli Mäder.

Warum beschäftigt sich eine Nationalfondsstudie mit dem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene?

Ueli Mäder: Der Einstieg ist schon untersucht worden, der Ausstieg bisher kaum. Unsere Studie ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms (NFP 40+ ) «Rechtsextremismus ? Ursachen und Gegenmassnahmen» des Schweizerischen Nationalfonds, das nicht zuletzt durch Vorfälle angestossen wurde. Eine Rolle mögen auch die Ereignisse auf dem Rütli gespielt haben. Uns interessierten Beispiele von Jugendlichen, die den Ausstieg geschafft haben.

Ist der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene etwas Häufiges?

Wir unterscheiden zwischen Austritt und Ausstieg. Eine Aussage der Studie ist, dass nicht jeder Austritt aus der organisierten rechtsextremen Szene als Ausstieg gewertet werden kann, weil ideologische Verhaftungen teilweise weiter bestehen. Es gibt Bundeserhebungen, die in der Schweiz von rund 1000 organisierten Rechtsextremen ausgehen. Es gibt aber auch neuere Formen von Rechtsextremismus, die nichts mit dem etwas klischierten Bild zu tun haben von Leuten mit Springerstiefeln und Glatzen. Deshalb erachten wir es als schwierig, genaue Zahlen zur Grösse der Szene anzugeben. Eine Aussage unserer Studie ist, dass rund die Hälfte der Aussteiger wirklich auch aussteigt.

Warum steigen Jugendliche aus der rechtsextremen Szene aus?

Es sind zum einen Unstimmigkeiten in dieser angeblichen Homogenität, die die Jugendlichen in der rechtsextremen Szene erleben. Das trifft vor allem auf den so genannten kompensatorischen Typen zu. Dieser sucht einen engen Schulterschluss und Wärme in der Gruppierung. Der Aussteiger spürt, dass es sich teilweise um vordergründige, manchmal bierselige Kameradschaften handelt, aber man eigentlich wenig voneinander weiss. Oft geben neue Beziehungen den Ausschlag, wenn jemand Beziehungen mit einer anderen Qualität erlebt. Dazu gehören auch positive Erfahrungen mit Menschen, die von den Rechtsextremen oft ausgegrenzt werden, also Menschen aus einer anderen Kultur.

Diese Jugendlichen sehen, dass solche positiven Erfahrungen nicht zur Ideologie der Rechtsextremen passt?

Genau. Spannend war auch zu sehen, dass viele Jugendliche diese Betriebsamkeit in der Gruppierung als ermüdend empfanden. Diese dauernden Nachrichten per SMS, um spät nachts an einem Treffpunkt zusammen zu kommen.?Einzelne Aussteiger empfanden es so, dass es sich um viel Aufwand für nichts handelt.

Sie reden in der Studie von der fehlenden Wirksamkeit der rechtsextremen Umtriebe, die zum?Ausstieg führen. Kann man daraus schliessen, dass die Schweiz resistent ist gegen Rechtsextremismus?

Gegenüber einer bestimmten Form von Rechtsextremismus ist die Schweiz ziemlich resistent. Gerade dank dem demokratischen Selbstverständnis, das weit verbreitet ist. Das trifft auf die herkömmlichen Formen des Rechtsextremismus zu. Die Geschichte des Rechtsextremismus zeigt aber auch, dass es immer wieder Schübe gegeben hat. Mir macht Sorgen, dass sich die Szene verjüngt und differenziert. Es gibt neue Formen von Rechtsextremismus, die in esoterische und künstlerische Kreise vordringen. Sie sind schwierig zu fassen und scheinen eine neue Attraktivität auszuüben.

Kann die Erfolglosigkeit bei Rechtsextremen bis zum Burn-out führen?

Ja, gerade beim ideologisch ausgerichteten Angehörigen. Beim kompensatorischen Typen sind es eher Übersättigung und Überdruss.

Was können hohe Strafen für rechtsextreme Aktionen bewirken?

Strafen haben eine Wirkung, indem sie deutliche Grenzen vermitteln. Je mehr eine Strafe nachvollziehbar ist, sogar als gerecht empfunden wird, umso wirksamer ist sie. Das Hadern mit der Strafe und die räumliche Distanz zur Szene durch eine Gefängnisstrafe kann dazu führen, dass sich der Verurteilte Gedanken macht über sein?Handeln. Eine Strafe wirkt vor allem dann, wenn sie von einer Beratung oder Therapie begleitet ist. Ich habe selbst mit jugendlichen Exponenten der rechtsextremen Szene die Erfahrung gemacht, dass die Strafe zuerst Trotz und etwas Rebellisches hervorrief. Die Therapie half den Jugendlichen aber, Gefühle zuzulassen. Das ist gerade bei ideologisch verhärteten Jungen hilfreich. Argumente sind da oft von beschränkter Reichweite.

Braucht es mehr Aussteigerprogramme?

Auf jeden Fall. Ich sehe es am Beispiel von Eltern aus gutbürgerlichem Milieu, deren Söhne in rechtsextremen Gruppierungen sind. Die fühlen sich alleine gelassen und wünschten sich eine Anlaufstelle und mehr Begleitung. Das sind teilweise gut informierte Eltern. Sie benötigen gezielte Unterstützung. Slogans «gegen rechts» im Stil einer Anti-Aids-Kampagne helfen ihnen wenig.

Müsste man nicht vielmehr den Einstieg verhindern als über den?Ausstieg nachdenken?

Es ist ganz wichtig, bereits vor dem Einstieg in die Szene anzusetzen. Jugendliche brauchen Orte, die durchmischt sind, wo sie die Unterschiedlichkeit der Jugendlichen als etwas Selbstverständliches erleben. In den Schulen muss der Disput kultiviert und der Zugang zu?Argumenten gefördert werden. So kann ideologischen Verhärtungen bei Jugendlichen vorgebeugt werden.

Aber Multi-Kulti-Appelle in der Schule sind eher kontraproduktiv.

Moralische Appelle und der Aufruf zur Toleranz sind tatsächlich nur von beschränkter Wirkung. Es muss nicht unbedingt viel über Rechtsextremismus diskutiert, sondern es muss die Bereitschaft zum Differenzieren gefördert werden. Eine gewisse Verunsicherung, die nicht nur zur Jugend gehört, verlockt einzelne dazu, zeitweise Halt im Pauschalisieren und Vereinfachen zu suchen.