St. Gallen: Skinheads vor dem Kantonsgericht

WochenZeitung

Patriotisch und kriminell

Jürg Frischknecht

Vor vier Jahren agitierten sie gegen die Juden und für die weisse Rasse – und raubten Bahnhöfe aus: drei Skins des Patriotischen Ost-Flügels (POF).

Dem Kantonsgericht St. Gallen präsentierten sich am Mittwochvormittag zwei junge Männer, die in den letzten Jahren ganz andere Menschen geworden sind, nämlich überzeugte Gegner der Gewalt und praktizierende Anhänger des häuslichen Lebens: Rico Gurt und Wolfgang Risch. Nur Marcel Fürer*, der Dritte im kriminellen Trio, reiste aus dem Knast Lenzburg im Glatzen-Outfit an. Alle drei gehörten seit Mitte der neunziger Jahre zum Patriotischen Ost-Flügel (POF), einer bekannten Skin-Formation mit Schwerpunkten in den Kantonen Thurgau und St. Gallen sowie im Fürstentum Liechtenstein. Der 30-jährige Rangierangestellte Rico Gurt war zudem Mitglied der elitären Schweizer Hammerskins. «Das verschaffte Rico Prestige», sagte vor Gericht der 22-jährige Wolfgang Risch. Zur Feier des Tages hatte er sich eine Krawatte umgebunden, und seine Armtätowierung blieb unter dem Tschoppen versteckt. Gurt und Risch traten 1997 wiederholt als Sprecher der Liechtensteiner Skinheads auf. Fürer, der im St. Galler Rheintal wohnte, war hingegen keine öffentliche Figur. 1997 war die Glatzenszene am Alpenrhein voll im Schuss. Am 5.Juli organisierte das Duo Gurt/Risch in Triesenberg ein international besuchtes Skin-Konzert mit den bekannten Szenebands 08/15, Faustrecht und Brutal Attack. «Tolle Stimmung», lobte das Skin-Magazin «Neue Doitsche Welle» das «Festival in den Alpen».

35 000 Franken in Heerbrugg

Für das Duo Gurt/Risch und ihren POF-Kumpel Marcel Fürer hatte jene Woche erfolgreich begonnen. Am Montag vor der grossen Party raubten sie den Schalter des Bahnhofs Heerbrugg, wo Gurt arbeitete, aus. Gurt spielte den Chauffeur, Fürer lenkte den Schalterbeamten mit einer Fahrplanfrage ab, und Risch verschaffte sich mit den Schlüsseln von Gurt Zugang zum Schalterraum. Mit einer Wollmütze maskiert drückte er dem Beamten eine Maschinenpistole in die Hüfte und zwang ihn, Noten und Schecks im Wert von 35 000 in einen Plastiksack zu stopfen. Nach der Flucht teilten die drei die Beute; Gurt und Risch beanspruchten als geistige Väter des Coups einen doppelt so hohen Anteil wie Fürer. Risch hatte den Beamten mit einer Uzi, also einer israelischen Waffe, bedroht. Ideologisch war das bös daneben, doch machten Risch und Gurt den Fauxpas schon wenige Wochen später wett. In einer Augustnacht verteilten sie in Haushaltungen des Rheintals ein Flugblatt der Nationalen Initiative Schweiz (NIS), das gegen den 100. Jahrestag des Basler Zionistenkongresses wetterte: «Wollen wir diesen rassistischen Landräuber- und Folterstaat feiern? Nein!» Als Kontaktadresse war eine internationale Organisation der Holocaustleugner angegeben sowie ein NIS-Postfach in Vaduz. Das Vaduzer Postfach gehörte, wie die WoZ enthüllte, jener Treuhandanstalt, in der Risch eine kaufmännische Lehre machte . Risch flog umgehend aus der Firma und beendete die Lehre in der Kaufmännischen Schule in Buchs. Heute arbeitet er im elterlichen Betrieb. Gurt und Risch kamen wegen des Flugblatts vor Gericht, wurden jedoch freigesprochen – Liechtenstein besass noch kein Antirassismusgesetz. Hingegen kassierten beide wegen massiver Schlägereien hohe Bussen (bei Gurt waren es 12 500 Franken).

11 000 Franken in Salez

Am ersten Oktobersamstag 1997 sorgten fünfzig zumeist auswärtige Skins in Liechtenstein für Aufruhr, als sie einen Jahrmarkt in Schaan unsicher machten. Das Trio Fürer/ Risch/Gurt fühlte sich erneut in Form und in Nehmerlaune. Am folgenden Donnerstagabend setzten sie dem Schalterbeamten der Station Salez eine Pistole an den Kopf und räumten den Tresorraum aus. Diesmal teilten die drei POF-Mitglieder die Beute zu gleichen Teilen. Den Tatort hatten sie drei Tage zuvor aus einem gegenüberliegenden Wald ausgekundschaftet. Drei Tage zuvor? An jenem Montagnachmittag sass ich mit Gurt und Risch zwei Stunden im Bahnhofbuffet Buchs, weil ich in Sachen NIS-Flugblatt Kontakt zu Vertretern dieser Gruppe suchte. Das hagere Bürschlein Gurt spielte nicht zum letzten Mal den besorgten Zeitgenossen, dem böse «Asylanten» und der Bussen speiende Staat übel mitspielten. Die Glatzen als Opfer. Der jüngere und forschere Risch hingegen haute auf den Putz. Er sass im kurzen Leibchen vor seinem Bier. Auf dem einen Oberarm prangte lebensecht tätowiert der Kopf seines Grossvaters mit Stahlhelm und Uniformspiegeln der Waffen-SS. «Ich bin deutschnational aufgewachsen», diktierte der gewesene Lehrling Risch. Beide gaben sich alle Mühe, ihre ernsthaften politischen Absichten zu unterstreichen.

«Dann telefonieren wir Hans»

Gurt und Risch präsentierten sich nicht nur dem interessierten Journalisten als Szenensprecher. Im November wurden die beiden Kriminellen gewissermassen als Delegation der Liechtensteiner Glatzen von Regie- rungsmitgliedern empfangen und angehört. Und in einer Sendung von «Radio Liechtenstein» durften sie in einer «Diskussion» mit Justizminister Heinz Frommelt und Polizeidirektor Reto Brunhart hemmungslos Ausländer- und Linkenhetze betreiben. Ein Türke habe einen Kollegen mit einem Messer «bis zum Bauch hinunter aufgeschlitzt», wusste Risch zu berichten, und Linke hätten einem anderen Kollegen eine Tätowierung – zufällig ein Hakenkreuz – «mit einem Messer rausgeschnitten». Gurt jammerte: «Es ist ein hartes Leben, das wir führen.» Beide rühmten sich in Anwesenheit des Polizeichefs ihrer guten Kontakte zur Polizei. Da bestehe seit langem ein Vertrauensverhältnis, prahlte Risch: «Hans Meier erfährt alles, und wir sagen ihm: Wir garantieren dir, dass nichts passiert. Und es ist auch noch nie etwas passiert.» Hans Meier, bei der Liechtensteiner Polizei für die Kontakte mit den Skinheads zuständig und von diesen als eine Art guter Götti betrachtet, führte die WoZ in mehreren Fällen mit unzutreffenden Auskünften in die Irre – unter anderem zugunsten von Gurt und Daniel Nietsche, der damals in Liechtenstein als Koch arbeitete. Der ehemalige DDR-Bürger und berüchtigte Schläger verübte mit Fürer zusammen weitere Raubüberfälle auf Bahnschalter von Zizers bis Staad (und auf einen Massagesalon in Chur). Gurt und Risch hingegen machten nicht mehr mit. Im Frühling 1999 flog die Bande auf, einer nach dem anderen kam in Untersuchungshaft. Im vergangenen Herbst sprach das Bezirksgericht Unterrheintal die erstinstanzlichen Urteile: fünfeinhalb Jahre Zuchthaus für Fürer und dreieinhalb für Nietsche, 30 beziehungsweise 27 Monate Gefängnis unbedingt für Risch und Gurt. Die Waffen wurden beschlagnahmt, bei Fürer zudem nationalsozialistisches Propagandamaterial und Nazirock auf CDs und Kassetten. Nietsche akzeptierte das Urteil und sitzt die Strafe in Lenzburg ab. Die anderen drei zogen das Urteil weiter. Fürer spekuliert auf eine kürzere Strafe, und Risch/Gurt hoffen auf höchstens 18 Monate und damit auf eine bedingte Gefängnisstrafe. Dem Gericht präsentierten sie sich nun diese Woche lammfromm und als Gegner der Gewalt. Vollkommen blödsinnig und absolut unerklärlich würden ihnen ihre Taten heute erscheinen, rückblickend sei alles nur mit dem Gruppenzwang zu erklären. Und mit der Glatzenszene hätten sie gar nichts mehr zu tun. Alles sei nur passiert, weil er in diese Szene gerutscht sei, klagte Gurt der WoZ im Vorfeld des Prozesses. «In der Gruppe fühlen sich alle stark, gleichzeitig haben alle Angst, nein zu sagen.» Heute überlege er sich, «wie ich junge Leute davon abhalten könnte, in die Glatzenszene zu rutschen oder wie ich ihnen beim Ausstieg helfen könnte.» Was vor Kantonsgericht auffiel: Die beiden Täter, die auf eine bedingte Strafe hoffen, betonten am meisten, «gar nichts mehr mit der Szene zu tun» zu haben. Sie seien heute «wirklich ganz andere Menschen».

Bricht die Justiz den Schwung?

Der Wandel kann real oder auch bloss taktisch sein. Schliesslich trinkt man sein Bier (im Falle von Gurt sein Cola) doch lieber in Freiheit. Fest steht, dass die Ostschweizer Glatzenszene durch die kommune Kriminalität der drei POF-Mitglieder geschwächt wurde. Die Situation ähnelt jener vor einem Jahrzehnt, als der kleine Frontenfrühling rasch zu Ende ging, weil Exponenten aller wichtigen Gruppierungen als Gewalttäter überführt wurden. Auch in anderen Gegenden der Schweiz sind Rechtsextremisten bei gemeinen Delikten erwischt worden, etwa in der Stadt Bern bei Überfällen auf Taxifahrer und Prostituierte. Derzeit sind in der Schweiz gegen dutzende von Rechtsextremisten Strafverfahren hängig. Noch diesen Herbst werden einige gewichtige Prozesse über die Bühne gehen.Wenigstens halten die beiden Knastkameraden von Lenzburg die Fahne hoch. Doch, ideologisch teile er die Ansichten der Skins weiterhin, bekannte Fürer am Mittwoch vor Gericht – auch wenn er derzeit notgedrungen keinen Kontakt zur Szene habe. Nietsche hält die Fahne noch höher. «Heil», schrieb er der WoZ dieses Jahr, hoffend, «dass unser Tag bald kommt. In Doitschland wird es anfangen, dann in Österreich, dann in der Schweiz, dann in Europa und zum Schluss in der ganzen Welt. Und es wird heissen White Power, White Pride.» Unterschrieben mit «88», Heil Hitler. Für Nietsche – auf der Homepage der «Liechtensteiner Arier» einst als «schneller Daniel» gelobt – wird die Zeit nach Lenzburg ausserhalb der Schweiz beginnen. Neben der Zuchthausstrafe erhielt er fünf Jahre Landesverweisung.