Aargauer Zeitung.
Auf einer SVP-Liste für die Kommunalwahlen steht eine Kandidatin, die in Italien wegen Verherrlichung des Faschismus angeklagt war. Die Ortspartei wusste vom Auftritt der Frau an einer faschistischen Gedenkfeier – und stellte sie trotzdem auf.
Am 21. April wählen die Bewohner von Capriasca eine neue Exekutive und ein neues Parlament der 6600-Seelen-Gemeinde im Bezirk Lugano. Auf der Liste der SVP für die beiden Gremien steht Liliane Jessica Tami. Doch die Partei unterstützt die 29-Jährige seit dieser Woche nicht mehr und hat sich von ihr distanziert. Tami hat in der Folge die Partei verlassen.
Grund dafür: Die Tessinerin nahm im April 2016 an einer faschistischen Gedenkfeier auf dem Friedhof Cimitero Maggiore in Mailand teil. Tami trug bei dem Anlass ein Béret und eine Uniform der SS, erhob die Hand zum «römischen Gruss» der italienischen Faschisten und rief mehrfach «Sieg Heil». Dies zeigen Videoaufnahmen, welche die italienische Zeitung «La Repubblica» publik gemacht hat. Aufgrund ihres Verhaltens wurde Tami in Italien wegen Verherrlichung des Faschismus angeklagt, 2019 jedoch freigesprochen.
Bei der Feier wurde gefallenen Soldaten der Repubblica Sociale Italiana (RSI) gedacht. Die RSI wurde im September 1943 von den Nazis in Norditalien als Marionettenstaat unter der formellen Führung Benito Mussolinis installiert. Dessen Regierung in Rom war zwei Monate zuvor infolge der Invasion der Alliierten auf Sizilien gestürzt worden. Auch den Angehörigen der 29. Waffen-Grenadier-Division der SS wurde auf dem Friedhof in Mailand gedacht. Die Division bestand aus italienischen Soldaten, die nach dem Sturz Mussolinis weiter an der Seite der Nazis gegen die Alliierten und gegen italienische Partisanen kämpften.
«Jeder hat Verdienste und Fehler vorzuweisen»
Die SVP Capriasca hatte von der Teilnahme und dem Verhalten Tamis an der faschistischen Gedenkfeier sowie der Anklage Kenntnis. Dies bestätigte Parteipräsident und Vizebürgermeister Alessandro Fontana am Mittwoch gegenüber dem «Corriere del Ticino». Tami habe den Vorstand der Ortspartei transparent darüber informiert. Da sie jedoch einen sauberen Strafregisterauszug vorgelegt habe, sei die Sache für die Partei in Ordnung gewesen: «Jeder von uns hat in seinem Leben Verdienste und Fehler vorzuweisen.» Tami habe versichert, dass diese Geschehnisse der Vergangenheit angehörten.
Für die kantonale SVP-Führung war diese Erklärung ungenügend. Noch am gleichen Tag stellte Kantonalparteipräsident und Nationalrat Piero Marchesi im «Corriere» klar: «Diese Kandidatin kann und darf die SVP nicht in Institutionen vertreten.» Die Ortsparteien seien aufgefordert gewesen, Kandidaten – und insbesondere deren Strafregisterauszüge – sorgfältig zu prüfen.
Im Falle von Tami sei das formal zwar erfolgt, aber dennoch gebe es ein Problem, das gelöst werden müsse. Auch Marchesi hatte von den Gerüchten um Tamis Vergangenheit gehört und die Ortspartei Capriasca darum gebeten, diese zu überprüfen. Am Mittwoch wusste er noch nicht, «ob bei dieser Überprüfung etwas schiefgelaufen sei oder die Problematik unterschätzt worden ist». Marchesi kündigte an, Massnahmen einzuleiten, wie sie die Parteistatuten für solche Fälle vorsehen.
Diesem Szenario ist Liliane Jessica Tami zuvorgekommen. Am Freitag gab sie auf ihrer Facebook-Seite bekannt, aus der Partei auszutreten, «deren Führung mich nicht unterstützt». Sie habe grosse Hochachtung für den Mut der Partei, sie trotz ihrer Vergangenheit aufgestellt zu haben.
«Nationalsozialismus strebte bessere Welt an»
Zu einer echten inhaltlichen Distanzierung von ihren früheren faschistischen Sympathien mochte sich Tami nicht aufraffen: Dem «Corriere del Ticino» sagte sie, sie habe eine philosophische Sympathie für den Nationalsozialismus empfunden, der «wie alle Utopien eine bessere Welt angestrebt hat», was man kritisieren könne oder nicht. Von faschistischen Parteien oder Neonazi-Schlägern distanziere sie sich jedoch.
In der Vergangenheit habe sie auch mit linksextremen Gruppen sympathisiert und sei 2011 im italienischen Pavia in der anarchistischen Hausbesetzerszene aktiv gewesen. Doch unterdessen ist ihr Weltbild rechts zu verordnen. Sie lehne nicht nur freien Warenverkehr, sondern auch die Personenfreizügigkeit ab. «Ich glaube an den geografischen Determinismus: Jede Rasse ist in sich perfekt und muss geschützt werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird am besten in ihren jeweiligen Ländern verwirklicht.»
Da die Zusammensetzung der Wahllisten bereits rechtlich verbindlich feststeht, bleibt Tami offiziell SVP-Kandidatin. Sie wird jedoch nicht am Wahlkampf teilnehmen. Der Tessiner SVP-Präsident Piero Marchesi vertraut darauf, dass die Bürger Capriascas «die richtige Wahl» treffen – und Tami den Einzug in Regierung und Parlament verweigern.
Angeblich ermittelt sie für den Geheimdienst
Im «Corriere del Ticino» wurde Tami auf die vielen «Likes» von Neonazi-Bands auf ihrem Facebook-Profil angesprochen. Tami sagte, privat höre sie Vivaldi, Mozart und Wagner. Die Neonazi-Bands finde sie «grob, vulgär und schlecht angezogen». Grund für die «Likes» sei eine Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Dieser habe sie vor einigen Monaten darum gebeten, diese Bands zu überwachen und zu analysieren, um extremistische Auswüchse in der Schweiz zu verhindern.
Auf Anfrage von CH Media teilt der NDB mit, man kommentiere solche Behauptungen nicht. Eine Quelle im Umfeld des Nachrichtendienstes stellt jedoch klar, dass eine angebliche Mitarbeit Tamis «eine völlig absurde Vorstellung» sei.