Nau.ch. Wörter wie «Mohrenkopf» sind nur die Spitze des Rassismus-Eisberges in unserer Alltagssprache, sagt eine Professorin. Das Problem sei viel tiefer verankert.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Migros-Vorfall bringt die Debatte über Rassismus in der Sprache wieder ins Rollen.
- «Mohrenkopf» sei dabei nur die Spitze des Eisberges, sagt eine Sprach-Expertin.
- Sie wünscht sich mehr Selbstreflexion in unserer Alltagssprache.
Die Migros verbannt die Dubler-Mohrenköpfe aus ihrem Sortiment und tritt damit erneut die Debatte los, wie viel Rassismus in unserer Alltagssprache steckt.
Zehn Tage, zwei Arena-Sendungen und mehrere Demonstrationen später sind wir gefühlt nicht viel weiter in der Diskussion. Dabei war die Aktion der Migros «ein unverzichtbarer Schritt», sagt Susan Arndt, Professorin für Anglistik und Kulturwissenschaften an der Universität Bayreuth.
Denn der Rassismus in unserer Sprache sei noch viel tiefer verankert, als nur in Form offensichtlicher Beispiele wie dem gängigen «Schwarzen Schaf».
Geschichte lässt sich nicht reinwaschen
Beim Mohrenkopf sei der Fall absolut klar, findet Arndt: «Mit M. wurden versklavte Menschen bezeichnet und mit M. wurde legitimiert, dass weisse Christen Menschen anderer Religionen und Menschen afrikanischer Herkunft versklavten und kolonisierten. Diese Geschichte lässt sich nicht vom Wort abwaschen.»
Sobald ein Wort im Kolonialismus eingeführt wurde oder die Idee transportiere, dass es Rassen gebe, sei ein Wort grundsätzlich rassistisch, sagt die Professorin. Dabei können auch scheinbar harmlose Begriffe wie Kultur, Ethnie oder Entwicklungsstand zu einem Synonym für Rasse werden. Denn sie grenzen Menschengruppen ab.
«Es gibt einige Kriterien, an denen sich messen lässt, ob ein Wort rassistisch ist. Zu solchen Kriterien gehören zunächst einmal Fragen wie etwa: Würde ich den Begriff auch auf mich selbst anwenden, oder würde ich ihn als abwertend empfinden?»
Manchmal gebe es auch gar keinen analogen Begriff. «Es gibt Bananenrepublik. Das würde jeder für Deutschland zurückweisen. Was wäre ein analoger Begriff: Kartoffelrepublik, etwa? Da aber steckt keine Abwertung drin», sinniert Arndt.
«Wir können also immer fragen: Was beziehungsweise wer wurde damit bezeichnet? Wer hat ihn benutzt und mit welchen Wertungen versehen? Wenn ich die Augen schliesse und schaue, was ich mit dem Begriff assoziiere und dadurch sehe, türmen sich da rassistische Bilder vor mir auf?»
Nationalsozialismus war weder Anfang noch Ende von Rassismus
Das Wort Rassismus leitet sich eigentlich aus der nationalsozialistischen Rassen-Ideologie ab. Die heutige Rassismusforschung baue aber darauf auf, dass Rassismus weder vom Nationalsozialismus erfunden wurde, noch mit ihm ein Ende fand.
Angefangen in der Antike wurde sie ab dem 18. Jahrhundert pseudowissenschaftlich fundiert von Denkern wie etwa Kant, Hegel oder Chamberlain.
Doch auch nach dem zweiten Weltkrieg blieb Rassimus ein global wirkmächtiges System, erinnert Arndt: «Denken wir an die Jim Crow-Gesetzgebung als Apartheid in den USA, die bis 1965 wütete, an den staatlich praktizierten Antisemitismus in der Sowjetunion unter Stalin oder den britischen und französischen Kolonialismus, der erst ab den späten 1950er Jahren dem Widerstand erlag.»
Schritt für Schritt
Den Schritt der Migros findet Arndt ebenso klein wie unerlässlich. «Es geht darum, dass Strukturen und Institutionen ebenso rassistisch geprägt sind wie das, was wir denken, fühlen, wissen. Dieser Koloss kann gar nicht auf einmal zerschlagen werden. Das geht nur Stück für Stück und Schritt für Schritt.»
Denn am Ende könne jeder nur das ändern, was in seinem konkreten Handlungs- und Verantwortungsbereich liege: «Als Lehrende einer Universität kann ich etwa lehren, dass Devotes Roman Kolonialismus und Sklaverei verherrlicht und Instrumentarien an die Hand geben, ihn kritisch zu lesen.»
«Die Migros als Schweizer Grossverteiler wiederum kann mit der Sortimententscheidung den Alltag etwas mehr von der Omnipräsenz rassistischer Wörter und Bilder befreien. Ich finde das grossartig», freut sich Arndt.