Die traditionelle Szene distanziert sich von den rechtsextremistischen «Faschos»
Region. Der Zugriff von Rechtsextremisten auf zwei Jugendliche in Frauenfeld brachte erneut die Skinheads ins Gespräch. Es gibt aber auch antirassistische Skins.
Brigitta Hochuli
Auf dem Plattenteller laufen Ska und Reggae. Im Laden irgendwo in der Region Kreuzlingen hören wir «Bring back the Skins» aus dem Jahr 1982 von Judge Dread. Für den Gast wird die Musik leiser gestellt, er darf sich ins bequeme Jaguarfell-Sofa setzen und wird zuvorkommend bewirtet. An den Wänden hängen unzählige Poster, in den Regalen findet man Schallplatten, CDs und Kleider einer Untergrund-Kultur. Es ist ein Skinhead- und Punk-Szene-Laden.
Undifferenziert berichtet
Eine Gruppe traditioneller Skins, darunter der Ladenbesitzer, hat einen Leserbrief verfasst, weil sie nicht mit den Schlägern in Zusammenhang gebracht werden wollen, die in der Nacht zum 27. April in Frauenfeld zwei Jugendliche im Alter von 15 und 17 Jahren verprügelt haben. Eines der Opfer erlitt schwere innere Verletzungen. Die Jugendlichen hatten im Kulturzentrum Eisenwerk ein Ska-Konzert besucht. Der Ladenbesitzer war dort anwesend, hat aber vom Vorfall nichts bemerkt. In der Berichterstattung wurden die Täter den rechtsextremistischen Skinheads zugeordnet. Nach einer Demonstration am 24. Mai in Frauenfeld sei dann aber undifferenziert nur noch von Skinheads die Rede gewesen, wehrt sich der Ladenbesitzer. Aus Angst vor den Rechtsextremisten will er seinen Namen nicht preisgeben.
Lebensstil der 60er-Jahre
Neonazis unter den Skinheads verfälschten das Bild dieser Ende der 60er-Jahre in England entstandenen Subkultur. Die Mehrzahl der Skinheads sei links und antirassistisch. Skinhead zu sein, sei ein traditionsbewusster Lebensstil. In der Freizeit unterstützten diese Männer und Frauen die lokalen Fussballclubs und reisten zu Konzerten. Die bevorzugten Musikstile seien Reggae und dessen Vorläufer, «Ska». Ska-Musik erlebe im Moment in der Schweiz einen gewaltigen Boom. Sie stamme ursprünglich aus Jamaika. «Ein weiterer Beweis, dass wir keine Rassisten sind», sagt der Ladenbesitzer. Sänger wie Derrick Morgan und Desmond Dekker sind Schwarze. Sie haben viele Lieder über antirassistische Skinheads geschrieben.
Nach England exportiert
Die Ska-Musik entstand, als sich Jamaika Ende der 50er-Jahre auf dem Weg in die Unabhängigkeit befand und aus Amerika Rhythm?n?Blues, Jazz und Gospel die Dancehalls der Karibik-Insel eroberten. Für die Bezeichnung «Ska» gibt es keine eindeutige Erklärung, es handelt sich auch nicht um die Abkürzung eines bestimmten Begriffs. Als Erfinder des Ska gelten aber der Kubaner Laurel Aitken und der Jamaikaner Cecil Bustamente (alias Prince Buster). Nach der Unabhängigkeit Jamaikas im Jahr 1962 wurde Ska als jamaikanische Populärmusik vermarktet und durch Auswanderer nach England exportiert. Dort wurde die gerade erst in der Arbeiterklasse entstandene Skindhead-Szene auf diese Musik aufmerksam.
Die meisten schwarzen Auswanderer wandten sich jedoch schon bald dem Rastafari-Reggae zu, während eine Minderheit der Schwarzen selbst zu Skinheads wurde. Die Skinheads verstanden sich unter anderem als Gegenkultur zu den intellektuellen Hippies.
Gewaltbereite Arbeiter-Kids
Unter den Skins betrachteten besonders die Arbeiter-Kids Gewalt und Kriminalität als legitime Mittel, um sich im Leben durchzusetzen. Abwechslung brachte ihnen – wie den heutigen Nachfolgern – das Fussballspiel am Wochenende. Allerdings lieferten sie in einer dritten Halbzeit den gegnerischen Fans jeweils regelrechte Schlachten. Sie bekämpften auch die asiatischen Einwanderer, die ihnen die Arbeit wegnahmen, fühlten sich aber solidarisch mit den Gangs der karibischen Arbeiterkinder, von denen sie das typische Rude-Boy-Outfit übernahmen.
Ende der 70er-Jahre wurde die Skinhead-Bewegung vorübergehend von der Punkszene abgelöst, die dann die späteren Skins beeinflusste. Diese hörten nun nicht mehr den schwarzen Ska, sondern Streetpunk oder «Oi!», eine härtere Version des Punkrocks. Die Skinhead-Szene begann sich zu spalten.
Faschos im Hinterland
Traditionsbewusste antirassistische Skinheads gebe es im Thurgau 15, in der ganzen Schweiz 200, sagt der Ladenbesitzer. Unter ihnen habe es auch 40-jährige Familienväter. Man kenne sich und treffe sich regelmässig. Rechtsextremisten würden nicht zu ihren Konzertveranstaltungen zugelassen. Im «Hinterland» des Thurgaus hielten sich rund 30 rechtsextremistische Skins auf. Die so genannten «Faschos». Sie seien im Gegensatz zu den traditionellen Skinheads sehr jung. Oft um die 15. «Mit ihrem Gedankengut wollen wir absolut nichts zu tun haben, Kontakte zwischen den beiden Szenen gibt es nicht.»
Hard and smart
Diese unterscheiden sich nicht nur in der politischen Ausrichtung. Sie sind auch anders gekleidet. «Wir tragen smarte englische Hemden von Fred Perry oder Ben Sherman, College-Pullis, klassische englische Schuhe mit Lochmustern, Stiefel nur von Doc Martens, im Winter lange Mäntel, so genannte Crombies, und zu den Konzerten englische Tonic-Anzüge», sagt der Ladenbesitzer. Der 25-Jährige sieht aus wie ein distinguierter Jung-Banker. Die Haare sind kurz geschnitten, aber nicht abrasiert. Die Haut (skin) des Kopfes (head) schimmert durch. Die Männer haben Koteletten. Die Frauen nennen sich Renees (Skinhead-Girls), tragen Miniröcke und College-Kleidung aus den 60er-Jahren. Wie die Männer sind sie meistens tätowiert. Das Spiel mit den Gegensätzen «hard and smart» in Lebensstil und Kleidung sei ein wiederkehrendes Element.
Die rechtsextremistischen Skinheads hingegen tragen Militärkleider, Bomberjacken und Springerstiefel. Sie sind auch an ihren Kahlköpfen zu erkennen. Und sie hören andere Musik. «Schlecht gemachte Rockmusik zu rechtsideologischen Texten», urteilt der Ladenbesitzer.
Hoffentlich ein grosser Schlag
Die traditionellen, auch «Trojans» genannten Skinheads im Thurgau sind Handwerker, kaufmännische Angestellte und Studenten. «Wir sind gesellschaftskritisch, wählen SP oder Grüne. Wir besuchen Demonstrationen gegen Rechts und scheuen die körperliche Auseinandersetzung nicht.» Doch an ihren Konzerten würden die Aggressionen friedlich abgebaut. «In jeder Disco geht es viel gewalttätiger zu.»
Mit der für heute Samstag in Frauenfeld angekündigten und vom Stadtrat verbotenen Rechtsextremisten-Demonstration und deren Organisatoren wollen die Trojans auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden. Und sie hoffen, «dass die Schlägerei vor dem ?Eisenwerk? und der Selbstmord eines der mutmasslichen Täter im Bezirksgefängnis Kreuzlingen für die Faschos ein grosser Schlag waren und sich vor allem die Jüngeren in dieser rechtsextremistischen Szene jetzt einiges überlegen».
Bulldogge frisst Hakenkreuz: Ein klassisches Motiv für den Kampf der Skinheads gegen Rechts.
Kleider und Freizeit
Die Kleidung der traditionellen Skinheads besteht aus: Crombie (lange Mäntel), Donkey Jacke und Harringtons (englische Arbeiterjacken), Brogues und Loafers (smarte Leder-Halbschuhe, auch Budapester genannt), Doc-Martens-Stiefel, Levis-Jeans oder StaPrest (Levis-Hose mit Bügelfalte). Die Hosen werden einmal schmal umgekrempelt. Als Oberteile werden Fred-Perry-Polos und Ben-Shermann-Hemden getragen (Button-Down-Hemden mit drei Knöpfen am Kragen), im Winter Pulunder und Pringle-Wollpullis mit weitem V-Ausschnitt, darunter wiederum ein Ben-Shermann-Hemd. Gerne getragen werden schmale Hosenträger.
Die Freizeitaktivitäten beinhalten: Konzerte (Ska, Reggae, Soul), Fussball, Irish-Pubs, Vespa/ Lambretta fahren, Schallplatten sammeln (keine CDs), Kontakt zu anderen Skinheads auch durch Reisen ins Ausland, Tattoos. (dk)
800 Schweizer Rechtsradikale
Der Skinheadkultur gehören heute Menschen jeglicher Hautfarbe, politischer und religiöser Einstellung an, so gibt es schwarze, jüdische, kommunistische, studentische und schwule Skins, was noch zu Beginn der Bewegung völlig undenkbar gewesen wäre.
In Deutschland gibt es rund achttausend Skins. Etwa vierzig Prozent von ihnen werden der rechten Szene zugeordnet, zehn Prozent davon der rechtsextremistischen; beinahe fünfzig Prozent stufen sich selber als unpolitisch ein, der Rest dürfte zur linken bis linksradikalen Szene zählen.
In der Schweiz sind die Zahlen schwer abzuschätzen, da es noch keine Studie gibt. Die Bundespolizei geht von siebenhundert bis achthundert rechtsradikalen Skins in der Szene aus. Über die rund 20 kommunistischen Red Skins und etwa 200 unpolitischen Skins liegen keine offiziellen Zahlen vor. Starken Zulauf hat zurzeit die unpolitische «Oi!»-Szene. (tb)