Im Skinhead-Prozess vor dem Bezirksgericht Frauenfeld fordern die Verteidiger bedingte Gefängnisstrafen
Felben. Die Angeklagten des Skinhead-Prozesses schieben sich gegenseitig die Hauptschuld zu. Dabei geben sie sich wortkarg und lassen ihre Verteidiger reden.Thomas Wunderlin
Die Zuschauerplätze sind auch am zweiten Tag besetzt. Die Lehrer des Oberstufenzentrums in Felben nützen den Prozess im nahen Gemeindesaal als staatskundlichen Anschauungsunterricht. Nachgelassen hat der Medienandrang. Nicht mehr da ist Dominik, der von den sechs Angeklagten am 26. April 2003 in Frauenfeld zum Behinderten gemacht wurde.
Der siebte Mann
Die Angeklagten lassen sich meist nur blicken, wenn ihr Verteidiger sein Plädoyer hält. Bis am Abend haben vier der allesamt amtlich ernannten Verteidiger ihre Pflicht erfüllt. Alle versuchen die Schuld von ihrem Klienten auf die Mittäter abzuschieben. Der Verteidiger eines 25-jährigen vorbestraften Matrosen stellt das siebte Mitglied der Schlägergruppe als Hauptschuldigen hin. Sein Selbstmord in der Untersuchungshaft sei als «mögliches Indiz zu betrachten, dass er sich besonders schuldig fühlte».
Ein einzelner Täter hafte bei einer gemeinsam geplanten Tat nicht für ungeplante Exzesse, so der Verteidiger. Die Skinhead-Gruppe habe die Besucher des Ska-Punk-Konzerts nicht schwer verletzen wollen – keine versuchte Tötung, wie die Anklage lautet. Es sei nur darum gegangen, «anzupöbeln, zu erniedrigen und allenfalls Schläge auszuteilen.» Sein Klient habe nur eines der zwei Opfer geschlagen – «wahrscheinlich» jenes, das keine bleibenden Schäden davontrug. Der stämmige Matrose ist der Älteste der Gruppe. Um ihn scharen sich in den Pausen jeweils drei der Mitangeklagten, sofern sie anwesend sind. Er bot sie damals per SMS zum Angriff auf das Ska-Punk-Konzert auf, wie er am ersten Prozesstag bestätigt hat. Sein Verteidiger sagt nun, das SMS sei ursprünglich nicht von seinem Klienten ausgegangen. Er habe keine Führungsrolle innegehabt.
Die Skinheads geben möglichst wenig von sich preis und lassen ihre Verteidiger reden. Als ihm der Richter das Wort erteilt, sagt auch der Matrose nur: «Es tut mir leid. Ich bitte um ein mildes Urteil.» Sein Verteidiger plädiert auf einfache Körperverletzung und fordert eine Strafe von 18 Monaten Gefängnis bedingt. Ebenso viel beantragt der Verteidiger eines 23-jährigen arbeitslosen, ehemaligen Geräte-Informatiker-Lehrlings, der an der Lehrabschlussprüfung durchgefallen ist. Sein Klient sei ein Mitläufer gewesen, sagt der Verteidiger. Er sei kein Mitglied oder Sympathisant der rechtsextremen Szene. Auch er soll nur auf das leicht verletzte Opfer eingeschlagen haben.
Der Verteidiger eines 22-jährigen Baumaschinenmechanikers räumt ein, sein Mandant habe sich an beiden Opfern zu schaffen gemacht. Er beantragt gleichwohl nur 14 Monate bedingt. Sein Klient habe Dominik lediglich am Davonkriechen gehindert, in dem er das Bein durchs Veloabsperrgitter streckte und ihn mit der Schulter zu Boden drückte. Von der rechten Szene habe er sich abgewendet.
Schwarze Wanderschuhe
Der Verteidiger eines 22-jährigen Automonteurs verlangt einen Freispruch in den Hauptanklagepunkten. Sein Klient habe sich angesichts des krassen Missverhältnisses zwischen Angreifer und Opfer nicht an der Schlägerei beteiligt. Ebenso wenig sei er an einer Schlägerei im Juni 2002 in Rorbas beteiligt – ein Nebenpunkt der Anklage. Schuldig bekennt er sich nur, am 15. Mai 2004 in Rorbas ausserorts 61 Stundenkilometer zu schnell gefahren zu sein. Die schwarzen Wanderschuhe, die er an diesem Sommertag trägt, haben laut Verteidiger keinen rechtsextremen Hintergrund. «Er hat bei einem Motorradunfall den Fuss verletzt und trägt nur noch feste Schuhe.»
«Weinländer Sturm»
Mindestens ein Angeklagter, ein 25-jähriger Matrose, gehört der Neonazi-Gruppierung «Blood and Honour» an. Laut dem Experten Jürg Frischknecht ist er der Untergruppe «Weinländer Sturm» zuzuordnen. Diese sei 2001/02 an Volksfesten im Zürcher Wein- und Unterland aufgetaucht, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen. Einen Schwerpunkt von «Blood and Honour»-Versammlungen bilden Konzerte mit gewaltverherrlichenden Songtexten. Laut Verteidiger kann dem Matrosen jedoch eine günstige Prognose gestellt werden. «Einsicht und Reue sind vorhanden.» Er lebe in einem gefestigten sozialen Umfeld. Wegen seines «politischen Fanatismus» sei er nicht härter zu bestrafen, als wenn die Tat einen unpolitischen Hintergrund gehabt hätte.