Skinheads auf dem Vormarsch

NeueLuzernerZeitung

Die Skinheadszene im Kanton Luzern ist so aktiv wie schon lange nicht mehr. Nach einem Treffen in Fischbach kam es in einigen Gemeinden zu massiven Übergriffen.

Der 16-jährige Willisauer Oberstufenschüler Tobias B.* hat Angst, wenn er am Abend alleine mit dem Velo unterwegs ist. Am Samstag, 8. Dezember, wurde der 16-Jährige von zehn bis 15 Neonazis auf brutalste Art und Weise spitalreif geprügelt. Was war passiert? Mit Stiefeln traktiert Tobias B. verbringt seinen Ausgang im Gettnauer Pub Route 66. Für die Heimreise nach Willisau benützt er den Zug. Um 23.50 Uhr trifft er in Willisau ein. Drei Kollegen holen ihn am Bahnhof ab, Tobias ist einer der wenigen Zuggäste, die in Willisau die Bahn verlassen. «Plötzlich hielt ein Kleinbus auf der nahen Strasse an», erinnert sich Tobias. Acht bis zehn «Skinheads» eilen hastig aus dem Fahrzeug und rennen auf die Gruppe am Bahnhof zu. Tobias? drei Kollegen gelingt die Flucht, für den 16-Jährigen ist es schon zu spät. Immerzu hört er, wie die Leute ihn mit «du huere Saujugo» beschimpfen. Tobias, ein Schweizer notabene, wurde zu Boden gerissen. Danach traktierten die jungen Leute im Alter zwischen 18 und 24 Jahren den wehrlosen Schüler mit ihren Stiefeln, bis er am Kopf blutete. Das war nicht der einzige Zwischenfall mit Skinheads an jenem Abend. Knapp eine Stunde nach der Prügeltat in Willisau kam es im nahen Nebikon – gegen 1 Uhr morgens – zu weiteren Opfern, wie Franz Baumeler, Mediensprecher der Kantonspolizei Luzern, auf Anfrage bestätigt. Ein junges Pärchen aus der Bundesrepublik Jugoslawien im Alter von 20 und 25 Jahren wollte sich Zigaretten am Bahnhof besorgen, als auf der Höhe des Restaurants Pinte zwei Fahrzeuge abrupt anhielten. Gemäss der Kantonspolizei stürmten zehn bis fünfzehn Personen auf die jungen Leute zu. Mit Pfeffersprays wurden sie ausser Gefecht gesetzt, danach schlug der Trupp erneut erbarmungslos zu. Die Opfer beschrieben der Polizei später, dass die Angreifer Springerstiefel und Pullover mit Kapuze trugen.

Skins in Fischbach Ob zwischen diesen beiden Vorfällen ein Zusammenhang besteht, kann nur vermutet werden. Dass es ausgerechnet an jenem Wochenende in der Region Willisau-Nebikon zu Zwischenfällen mit Skinheads gekommen ist, scheint kein Zufall zu sein. Recherchen unserer Zeitung ergaben, dass am Abend des 8. Dezembers im «Schützenhaus» in Fischbach ein Skinhead-Treffen stattgefunden hatte. Der Vermieter des «Schützenhauses» wusste nicht, für welchen Anlass er das Lokal freigab. Den Mietvertrag hat er mit einem ihm bekannten, jungen Fischbacher abgeschlossen. Gegenüber unserer Zeitung zeigte sich der junge Mieter Michael* wenig auskunftsfreudig. «Das war ein privates Fest, mehr sage ich nicht dazu.» Eine Beobachterin will gar eine übergrosse Hitlerfahne im «Schützenhaus» erkannt haben. «Hitlerfahne? Davon weiss ich nichts», sagt Michael*.

Aus dem Auto gezerrt Die Skins haben sich in Fischbach offenbar friedlich verhalten. Die Kantonspolizei wurde auf die Feierlichkeiten im «Schützenhaus» bei einer Patrouille zufällig aufmerksam. Gegen 18 Uhr wurden sieben Personen kontrolliert. «Das Fest konnten wir aber nicht mehr verhindern», sagt Baumeler und fügt an: «Solange strafrechtlich nichts vorliegt, dürfen auch solche Leute festen.» Die Kapo habe aber in Fischbach an jenem Abend verstärkt Präsenz markiert. Dass sich die Skinheadszene in Luzern Gehör verschaffen will, zeigt ein weiterer Vorfall an jenem Wochenende: Am Freitagabend, 7. Dezember, hielt ein PW mit vier Personen türkischer Herkunft an der Alpenstrasse in Kriens gegen 20.20 Uhr kurz an, um einen Fahrgast abzuladen. Daraufhin stürmten mehrere junge Männer zum Fahrzeug, rissen die Hintertüre auf und zerrten einen 30-jährigen Mann türkischer Staatsangehörigkeit aus dem Auto. Der wehrlose Mann wurde mit mehreren Schlägen traktiert. Die alarmierte Polizei konnte sechs Täter im Alter zwischen 16 und 21 Jahren festnehmen. Gemäss Baumeler sind die Schläger allesamt wohnhaft im Kanton Luzern. Unklar ist, ob diese Leute bereits am nächsten Tag wieder auf freiem Fuss waren. Ein Zwischenfall mit jungen Skinheads ereignete sich an jenem Abend auch im Restaurant Magdalena in Luzern. Die zirka zehn jungen Skins wurden von den Restaurantbesuchern indes unverzüglich rausgeschmissen.

Die Angst fährt im Zug mit Obschon die Kantonspolizei keine Statistik über die Skinheadbewegung führt, könne «subjektiv betrachtet von einer Zunahme der Szene» gesprochen werden, sagt Baumeler. Im letzten Jahr gingen fünf grosse und zwei kleinere von Skinheads organisierte Veranstaltungen im Kanton über die Bühne, neun habe die Polizei bereits im Vorfeld verhindern können. Der Luzerner Journalist und Beobachter der rechtsextremen Bewegung, Hans Stutz, spricht von einem «Versuch der Szene, im Kanton und der Stadt verstärkt Präsenz zu markieren». Vorab in Willisau und Umgebung habe sich eine Szene etabliert. Stutz vermutet, dass die Nazi-Skin-Szene im Kanton höchstens hundert Personen umfasst. Gemäss seinen Einschätzungen gehört ein Grossteil davon rein informellen, wenig strukturierten Cliquen an. Wenige seien in politischen Organisationen aktiv, vermutet Stutz. Angst vor Neonazis haben gemäss der «SonntagsZeitung» (SoZ) auch Fahrgäste auf der Zugstrecke Luzern-Wolhusen. Vor allem, wenn die Bahn spätnachts und ohne Zugbegleitung unterwegs ist. Die SoZ berichtet von jungen Schlägern, die in Reih und Glied durch die Abteile marschieren. Die Kantonspolizei Luzern bestätigt, dass Skins im Vergleich zu früher öfters Zugpassagiere terrorisieren. Die SBB wollen reagieren und in den Spätzügen unter anderem mehr Bahnpolizei einsetzen.

VON CHRISTOPH REICHMUTH