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Der Bundesrat lehnt ein Verbot von Nazi-Symbolen ab, was für Kopfschütteln sorgt. Zwei Fachpersonen nehmen seine Argumente unter die Lupe.
Darum gehts
- Die Zürcher Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hat eine Petition für ein Verbot von Nazisymbolik lanciert.
- Mit der Petition reagiert sie auf den Unmut, nachdem der Bundesrat ein Verbot abschmetterte.
- «Der Bundesrat gerät mit seiner Antwort in Kritik, weil das Bundesgericht keine klare Position eingenommen hat», sagt Strafrechtsprofessor Mark Pieth.
Beim Bundesrat biss Mitte-Nationalrätin Marianne Binder mit ihrer Forderung nach einem Verbot von Nazisymbolen wie Hakenkreuz oder Hitlergruss auf Granit. Dafür erntete sie viele verärgerte und befremdete Reaktionen. «Wir sollten das anders formulieren: Anstatt ‹Bundesrat verbietet Nazisymbole nicht›, hätten wir alle ‹Bundesrat erlaubt weiterhin Nazisymbole› titeln sollen», schrieb die Journalistin Joëlle Weil in einer Kolumne im St. Galler Tagblatt.
Für die Zürcher Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hat der Kampf begonnen: Am Dienstag lancierte sie eine Petition für ein Verbot. «Viele Leute kamen auf uns zu und bekundeten ihren Unmut. Deshalb war für uns klar, dass es eine Petition braucht», sagt Geschäftsleiterin Dina Wyler.
In seiner Antwort auf Binders Vorstoss führte der Bundesrat seine abschlägige Antwort aus. Dina Wyler und Strafrechtsprofessor Mark Pieth, der frühere Sektionschef Wirtschaftsstrafrecht beim Schweizer Bundesamt für Justiz, beleuchten in der Debatte die Argumente kritisch:
Laut Bundesrat ist die Verwendung von Nazisymbolen nicht zwingend Propaganda.
Mark Pieth: «Bundesbeamte lesen zur Beantwortung von Vorstössen Gesetzesartikel nach. In diesem Fall sind sie auf einen Bundesgerichtsentscheid von 2014 gestossen. Dieser präzisiert, dass es nur strafbar ist, wenn jemand mit einem Hitlergruss für den Nationalsozialismus wirbt. Verwendet jemand öffentlich den Hitlergruss, um damit lediglich die eigene nationalsozialistische Gesinnung zu bekunden, handelt es sich um keine strafrechtliche Rassendiskriminierung.»
Dina Wyler: «Der Bundesrat macht eine rein theoretische Unterscheidung zwischen der öffentlichen Zurschaustellung und Werbung für eine Ideologie. Eine Unterscheidung, die völlig lebensfremd ist. Wenn ein Neonazi mit einer Hakenkreuz-Armbinde durch Zürich läuft, macht er unweigerlich Werbung für diese Ideologie. Da braucht es keine weiteren Interpretationen.»
Selbst für die Mehrheit unhaltbare, stossende Ansichten seien hinzunehmen, so der Bundesrat mit Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung.
Pieth: «Der Bundesrat gerät mit seiner Antwort in Kritik, weil das Bundesgericht keine klare Position eingenommen hat. Es ist nicht klar, ab wann etwas als Propaganda gilt. Es hat in der Praxis Mühe bereitet, den subjektiven Tatbestand zu beweisen.»
Wyler: «Diese Argumentation ist höchst befremdlich. Natürlich muss die Meinungsäusserungsfreiheit als eine der höchsten Güter unserer Demokratie wenn immer möglich gewahrt werden. Im Umkehrschluss heisst dies aber nicht, dass jede Meinung vor dem Gesetz schützenswert ist. Das Hakenkreuz steht unweigerlich für den Nationalsozialismus. Dieses Symbol spricht gewissen Gruppen das Recht auf Leben und Teilhabe ab. Das ist nicht mit den Werten unserer Demokratie zu vereinbaren. Denn die eigene Freiheit hört dort auf, wo sie die Freiheit anderer einschränkt.»
Der öffentliche Friede werde durch die Verwendung von Nazisymbolen nicht unmittelbar beeinträchtigt, sagt der Bundesrat.
Pieth: «Hier liegt der Bundesrat falsch und versucht, die Situation zu beschönigen. Es spielt keine Rolle, ob die Verwendung rassistischer Symbole die Menschenwürden und den öffentlichen Frieden mittelbar oder unmittelbar beeinträchtigt. Fakt ist, dass solche Symbole beeinträchtigen. Dafür reicht, dass ein Enkel, der seine Grosseltern im Holocaust verloren hat, zuschauen kann, wie jemand ungestraft mit einem Hakenkreuz durch die Strasse marschieren kann.»
Wyler: «Nazi-Symbole wie das Hakenkreuz stehen für die komplette Zerstörung von Leben. Wenn einer Person das Recht auf Leben abgesprochen wird, sind deren Menschenwürde und der öffentliche Frieden sehr wohl unmittelbar beeinträchtigt. Ein aktuelles Beispiel ist der Aufmarsch von Rechtsextremen an einer Demo von Massnahmengegnern am Wochenende in Zürich, an der auch Mitglieder der rechtsextremen Szene mitmarschieren. Der Bundesrat hat hier die Zeichen der Zeit nicht richtig gelesen.»
Prävention sei besser als strafrechtliche Repression, ist die Ansicht des Bundesrats.
Pieth: «Prävention ist immer eine gute Lösung, wenn man die Auseinandersetzung scheut und ein Problem vor sich herschieben will. Der Bundesrat scheint mit der abgelehnten Motion in vorauseilendem Gehorsam zu handeln, vielleicht aus Angst vor der SVP, die gegen die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm kämpfte.»
Wyler: «Wieso das eine tun und das andere lassen? Natürlich ist Prävention wichtig, um Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen. Wenn jemand mit Nazi-Symbolik wie Hakenkreuze oder Hitlergruss die eigene Ideologie öffentlich bekundet, nützt Prävention aber nicht mehr viel. Hier muss das Strafrecht greifen. Darum rufen wir mit unserer Petition das Parlament dazu auf, einem Verbot inklusive einer klaren Strafbestimmung zuzustimmen.»