Blick: Islamwissenschaftler Urs Gösken (48) über Koran, Terror und Versöhnung
Interview:
Blick Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Anschlag auf das islamische Zentrum in Flums am Wochenende hörten?
Urs Gösken*: Ich bin besorgt über die Gewaltbereitschaft. Sie ist ein Ausdruck von Intoleranz.
Zurzeit macht der Islam weltweit vor allem negative Schlagzeilen. War es absehbar, dass es früher oder später zu einer solchen Gegengewaltaktion kommt?
Auch Israels Politik macht negativ von sich reden: Das rechtfertigt auch keine Gewalt gegen Synagogen.
Weltweit werden im Namen des Islams Gräueltaten verübt. Ist er eine Bedrohung für die westliche Welt?
Der Islam ist keine Person, die handelt. Eine Bedrohung geht von jedem aus, der gewaltbereit ist. Jeder Mensch muss sich sein Verständnis des Islams selber erarbeiten, somit ist jeder Mensch auch selber verantwortlich.
Der Islamische Staat IS mordet aber klar im Namen des Islams.
Es sind einzelne Menschen, die sich schuldig machen, und die es zu verantworten haben, dass sie ihre Taten mit dem Islam rechtfertigen.
Der IS stützt sich auf den Koran. Darin heisst es unter anderem, dass man mit Gewalt gegen Nichtgläubige vorgehen soll. Ist der Koran eine Hass-Schrift?
Nein, die Täter stützen sich auf das, was sie sich unter Islam vorstellen, und auf ihre Interpretation des Korans. Auch die Bibel hat Inhalte, die zur Gewalt aufrufen: «Auge um Auge, Zahn um Zahn» zum Beispiel. Es kommt auf die Interpretation an. Der Muslim ist kein Koran-Roboter.
Wie lautet denn die richtige Interpretation von Koranstellen, die zu Gewalt gegen Nichtgläubige aufrufen?
Der zentrale Punkt ist die aktive Eigenleistung des jeweiligen Lesers. Wie soll ich Gottes Wort verstehen? Es gibt kein Richtig oder Falsch, keine abschliessende Meinung.
Immer mehr Muslime interpretieren solche Stellen wortwörtlich. Müssten Sie als Islamgelehrter sich nicht von solchen Gewalt-Interpretationen klar distanzieren?
In der islamischen Geistesgeschichte haben sich verschiedene kontroverse Deutungen entwickelt. Beispiel Dschihad: Das historisch belegbare Konzept besagt, dass man die Gewalt unter das Gesetz stellt. Der IS betreibt aber gesetzlose Gewalt.
Das heisst, dass der IS den Islam falsch verstanden hat?
Die Lehre des IS ist ohne Auseinandersetzung mit den Offenbarungsaussagen entstanden. Es ist der gewaltsame Versuch, die Gesellschaft gleichzuschalten. Das hatten wir auch im europäischen Totalitarismus mit dem Führerprinzip. Der IS beruft sich auf ziemlich beliebige Lehren. IS-Söldner sind oft Muslime, die sich nicht intensiv mit dem Islam auseinandergesetzt, manchmal nur das Buch «Koran für Dummies» gelesen haben, um in einen rechtsfreien Raum zu gehen und Frauen zu vergewaltigen.
Der IS ist also auf dem falschen Weg?
Der IS ist ein hybrides Gebilde, das man nicht auf einen Nenner mit dem Islam bringen darf. Der IS hat sich nicht mit dem Dschihad auseinandergesetzt. Beim IS steht die Macht im Vordergrund, die Lizenz zum Töten.
… Töten im Namen Allahs?
Im Namen von was auch immer. Den IS kümmert das kaum.
Wie muss man ein Gebilde wie den IS bekämpfen?
Mit knallhartem Vorgehen nach rechtsstaatlichen Prinzipien gegen schuldige Personen. Und indem man den Islam nicht als Schuldigen betrachtet, sondern ihm mit Respekt und Toleranz begegnet.
Muslime in der Schweiz protestieren kaum öffentlich gegen islamistische Terrororganisationen. Warum nicht? Es wäre eine Chance, Vorbehalte gegen die Religion aus dem Weg zu räumen.
Sie sehen keinen Anlass, weil es die Muslime nicht betrifft. Es ist, als ob man die Deutschen nach einem Anschlag von Rechtsextremen zu einer Demo auffordern würde. Oder die Christen, nachdem sich eine extreme christliche Gruppierung in die Luft gesprengt hat. Man kann sich nur distanzieren, wenn man nahe an etwas dran ist.
Aber immer mehr Muslime interpretieren den Islam als gewalttätig. Besteht Gefahr für die Schweiz?
Vom Islam aus besteht keine Gefahr. Aber die Gewaltbereitschaft in verschiedenen Formen von Religionen könnte eine Gefahr werden. Der IS hat zwar Anhänger, es gibt auf der anderen Seite aber auch eine klare Abgrenzung.
Muss man den Islam als Landeskirche einbinden, so wie es in gewissen Kantonen diskutiert wird?
Die Kirche Islam gibt es nicht. Aber die Idee von mehr Einbindung würde die Anerkennung und die Rechtssicherheit der Muslime fördern.
Die ehemalige Muslimin Sabatina James hat grosses Leid von ihrer Religion erfahren. Im BLICK-Interview kritisierte sie Burka und Kopftuch als Unterdrückung der Frau. Sind Sie auch für ein Burkaverbot?
Man muss unterscheiden zwischen freiwilligem Tragen und Zwang. Wenn ein Mann einer Frau vorschreibt, sich zu verhüllen, muss das unterbunden werden. Nicht aber, wenn es eine Frau von sich aus tut. Ein Burkaverbot widerspricht unserem Grundrecht.
Verhüllte Frauen passen nicht in eine offene Gesellschaft. Man will sich in die Augen schauen können.
Was verstehen wir unter offener Gesellschaft? Wir wollen tolerant und weltoffen sein. Es muss die Möglichkeit geben, Burka zu tragen.
Generell sind Frauen in manchen islamischen Ländern nicht gleichberechtigt. In Saudi-Arabien dürfen sie nicht einmal Auto fahren.
Gerade in vielen islamischen Ländern wie etwa dem Iran sind Frauenrechtsbewegungen aber sehr aktiv. Unterdrückt werden die Frauen meistens nur in nicht rechtsstaatlichen Ländern – das können islamische wie auch säkulare Staaten sein.
Sabatina James wirft der Schweiz und Europa vor, vor dem Islam zu kuschen. Was sagen Sie dazu?
Das Stimmvolk hat einem Minarett-Verbot zugestimmt und damit deutliche Zeichen gesetzt. Das ist kein Kuschen. Schon eher ein Zeichen von grosser Intoleranz.
In einzelnen Städten Englands kommen mehr Babys von Muslimen als von Christen zur Welt. Gewisse Schulen sind ganz in muslimischer Hand – und es gibt etwa hundert von Muslimen geführte Schattengerichte. Ist es bald auch in der Schweiz so weit?
Solche Schattengerichte sind eine Untergrabung des Rechtsstaates und nicht akzeptabel. Eine Prognose zu stellen ist heikel. Es kommt ohnehin nicht auf Zahlen an, also wie viele Muslime und Christen es geben wird, sondern darauf, dass wir alle in einer friedlichen Gesellschaft leben können.
* Der Zürcher Urs Gösken (48) ist Islamwissenschaftler. Er lehrt an der Uni Bern Persisch und an der Uni Zürich Arabisch. Er ist kein Muslim.
«Auch in der Bibel hat es Inhalte, die zur Gewalt aufrufen.»
«Auch Israels Politik macht negativ von sich reden.»
«Beim IS steht die Macht im Vordergrund.»