VON GEORGES WÜTHRICH
RÜTLI UR.Das darf doch nicht wahr sein! Wie schon bei der Rütli-Schande von 2000 hat das grosse Verharmlosen des braunen Mobs begonnen. Der Gipfel der Befremdlichkeit: Die Schwyzer Polizeikommandantin Barbara Ludwig (48) schiebt die Schuld für die ausländerfeindliche Demo in Brunnen SZ indirekt Bundespräsident Samuel Schmid (58) in die Schuhe!
Begonnen hatte es schon Minuten nach der beängstigenden Machtdemonstration der Schweizer Neonazi-Szene auf dem Rütli am 1. August. Auf der Überfahrt nach Brunnen telefoniert der Schwyzer Polizeidirektor Alois Christen seiner Polizeikommandantin Barbara Ludwig.
Nachdem er das Handy ausgeschaltet hat, sagt er nachdenklich vor sich hin: Aus dem Korps heisse es schon, der Bundespräsident habe halt mit seinen Aussagen diese Leute provoziert.
Gestern versuchte Ludwig gegenüber BLICK ihre Haltung wortreich zu präzisieren. Sie habe sich Sorgen gemacht, als sie hörte, dass Schmid über Ausländer und Integration sprechen werde. Und sich sofort gedacht, dass es dann zum Tumult kommen müsse. Als zitierfähigen Satz liess Ludwig folgende Stellungnahme zu: «Ich glaube, dass der Inhalt der Rede Schmids dazu geführt hat, dass sich die Leute (die Neonazis, Anm. der Red.) nach ihrer Rückkehr nach Brunnen aufgeheizter benommen haben als in den Jahren vorher.»
Doch die Frau ist mit ihrer Verharmlosung längst nicht allein.
So will der Chef des Schweizer Inland-Nachrichtendienstes, Urs von Daeniken, «keine extremistischen Embleme auf dem Rütli» gesehen haben. Entweder sind seine Spitzel Deppen oder sie wollen es nicht wahrhaben. Nachzuschlagen sind die mitgeführten Nazi-Embleme auf Seiten 4/5 im BLICK vom Dienstag. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» verharmlost von Daeniken die nazistischen Parolen und Gesten als «schlechtes Benehmen». Genau das kritisiert der Präsident der eidgenössischen Rassismuskommission Georg Kreis gegenüber BLICK.
Und es kommt noch schlimmer: Der Sprecher des Bundesamtes für Polizei (Fedpol), Guido Balmer, lässt über die Nachrichtenagentur sda verbreiten, dass der Auftritt der Rechtsextremen auf dem Rütli «kein Grund zur Beunruhigung» sei.
Balmer und von Daeniken sind Angestellte von Justizminister Christoph Blocher (64), der noch vor wenigen Wochen im Ständerat verkündet hatte, dass ein Verbot von Nazi-Emblemen nicht vordringlich sei.
Und es wird mit verschiedenen Ellen gemessen: Der braune Mob konnte am 1. August unbehelligt von der Polizei durch Brunnen ziehen. Als am gleichen Abend linke Chaoten in Winterthur die Rede von Bundesrat Christoph Blocher mit Knallkörpern stören wollten, wurden sie von einem Grossaufgebot der Polizei mit Tränengas und Gummischrot daran gehindert.
Wenn das kein Nazi-Tattoo ist: Der deutsche Reichsadler thront über dem abgewandelten Hitlerjugend-Emblem. Fotografiert am 1. August beim Schiffssteg in Brunnen SZ.
Urs von Daeniken, Chef Staatsschutz: «Aufs Rütli, das müssen wir betonen, sind keine extremistischen Embleme transportiert worden.»
Vor der Rütli-Feier entwarnte er: «Die Rechten verbinden mit dem 1. August nationale Gefühle und möchten nicht, dass der Anlass entweiht wird.»
Ueli Maurer, SVP-Präsident, sagte vor dem 1. August: «Die Medien kommen mir vor wie Biedermanns „Brandstifter“. Die ganze Geschichte wird doch nur von ihnen aufgeblasen.» Maurers Rezept: «Ignorieren.»
Barbara Ludwig, Chef Kapo Schwyz: «Ich glaube, dass der Inhalt von Schmids Rede dazu geführt hat, dass sich die Leute (die Neonazis, Anm. der Red.) nach ihrer Rückkehr nach Brunnen aufgeheizter benommen haben als in den Jahren vorher.» Und vor dem 1. August: «Ich gehe davon aus, dass sich die Rechtsextremen auch diesmal diszipliniert verhalten werden.»
Judith Stamm, Präsidentin Rütlikommission, sagte vor dem 1. August: «Es nützt wenig, über die Rechtsextremen zu schimpfen. Besser ist es, wenn möglichst viele gewöhnliche Leute aufs Rütli kommen und ihre Präsenz demonstrieren.»
Reto Habermacher, Urner Polizeikommandant: «Wir können doch nicht bestimmte Kreise einfach ausschliessen, nur weil uns ihre Gesinnung nicht passt.»
FDP-Nationalrat Edi Engelberger nach der Rütli-Schande: Die Medien hätten im Vorfeld das «braune Zeug» hochgespielt. Schwerlich vorstellen könne er sich, dass nur noch geladene Gäste kommen, denn «das Rütli lässt sich nicht abriegeln».
Merz: «Wir alle unterschätzen das Problem auf dem Rütli»
Bundesrat Hans-Rudolf Merz exklusiv zu BLICK:
Würde man die 1.-August-Feier auf dem Rütli künftig ganz aussetzen, wäre das eine Kapitulation. Und die dürfen wir nicht zulassen.
In der Schweiz fehlt die Kultur des Dialoges. Das zeigte sich auch am 1. August auf dem Rütli. Wir müssen wieder lernen, Kompromisse zu schliessen, einander zuzuhören.
Wir alle unterschätzen das Problem, das sich am 1. August auf dem Rütli zeigt.
Bundesrat Samuel Schmid hat meine Achtung, wie er mit Stolz seine Werte auf dem Rütli verteidigte. In einem solchen Moment darf man nicht fliehen – sondern muss Stärke zeigen. Das hat Schmid getan.
«Blocher und seine SVP tragen eine besondere Verantwortung»
BASEL. Georg Kreis (Bild) ist Präsident der Schweizerischen Antirassismus-Kommission. Er verurteilt das Schweigen von Bundesrat Christoph Blocher und kritisiert jene, die den Rechtsextremismus verharmlosen.
BLICK Herr Professor Kreis. Was sagen Sie zur 1.-August-Feier auf dem Rütli?
georg kreis «Neu ist die stark gestiegene Zahl der Rechtsradikalen und der erhöhte Frauenanteil. Eine neue Dimension haben auch die hemmungslosen Störungen während der Rede von Bundespräsident Samuel Schmid erreicht. Diese waren weit stärker als im Jahr 2000 bei Bundesrat Villiger.»
Wie sollte man Ihrer Meinung nach gegen Rechtsextreme vorgehen?
«Hier ist die Gesellschaft gefordert, politisch zu reagieren. Insbesondere die Parteien im rechten Spektrum.»
Meinen Sie damit die SVP und Bundesrat Christoph Blocher?
«Ja, aber auch den rechten Flügel der FDP. Wenn aber Rechtsextreme Samuel Schmid als charakterlosen halben Bundesrat beschimpfen, dann wird klar, warum Blocher und seine SVP eine besondere Verantwortung tragen.»
Aber Blocher schweigt…
«Ich halte dies für falsch. Als Justizminister sollte er den Rechtsextremismus verurteilen. Und ihn auch als Gefahr ernst nehmen.»
Gerade er sieht aber keine Dringlichkeit, das Gesetz über ein Verbot von Nazi-Symbolen voranzutreiben.
«Es ist zu hoffen, dass durch die jetzigen Vorkomnisse das Parlament das Verbot rasch einfordert.»
Gehört zu dem Verbot auch der abgeänderte Hitlergruss, der sogenannte Kühnengruss?
«Ja, der gehört dazu und verboten.»
Wie weiter nach der erneuten Rütli-Schande?
«Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe. Der Kampf gegen Rechtsextreme sollte sich nicht nur auf den 1. August fokussieren, sondern auch an den anderen 364 Tagen stattfinden.»
Wird da nicht genügend gemacht?
«Es muss auf allen Ebenen mehr geschehen. Besonders stört mich, dass die Politiker nach der Rütli-Feier verharmlosende apolitische Ausdrücke wie Pöbelei und Unanständigkeit benutzen.»
Welche Ausdrücke würden Sie sich wünschen?
«Dass die Rechtsextremen ausländerfeindlich sind, nationalistisch und die Gewalt verherrlichen. Wenn diese politische Position der Rechtsextremen im politischen Alltag beim Namen genannt wird, dann ist schon viel gewonnen.»
Interview: Beat Kraushaar
Die Rütli-Schande
Ogi warnte schon vor fünf Jahren
„Es ist degoutant, dass Rechtsradikale auf unserem Rütli eine Bundesratsrede stören durften.
Auf der Rütliwiese hielt während der Nazizeit General Guisan seinen historischen Rütli-Rapport mit der obersten Armeeführung.Es war eine Demonstration des schweizerischen Widerstandswillens gegen Nazismus und Faschismus in Europa.Es bedrückt mich zutiefst, dass der Ungeist, den unsere Mütter und Väter damals bekämpft haben, ausgerechnet auf dem Rütli gegen die kluge Rede meines Kollegen Kaspar Villiger pöbelte.
Es ist jetzt an der Zeit, dass alle Demokraten entschlossen Stellung beziehen gegen solche Kräfte, die sich gerade auch in Deutschland wieder regen und das Internet zur internationalen Vernetzung und Verhetzung missbrauchen.“