Seeländer Ex-Neonazi muss wegen Reitschule-Brandsatz ins Gefängnis

Der Bund: Das Bundesstrafgericht in Bellinzona verurteilt den 26-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.

Bellinzona

Der junge Mann liess sich nichts anmerken. Keine Anspannung, als er den Gerichtssaal betrat, und keine Betroffenheit, als er als ihn als verurteilter Verbrecher wieder verliess. Wie er nach der Urteilseröffnung noch einen Moment lang neben seinem Verteidiger im Gang stand und ins Leere blickte, sah es aus, als habe er mit alldem nichts zu tun. Er sei nicht mehr derjenige, der er damals gewesen sei, hätte er wohl gesagt. Dieses Bild zumindest hat er bei der Verhandlung im Februar von sich zu zeichnen versucht.

Ins Gefängnis muss er trotzdem. Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist den Anträgen des Bundesanwalts vollumfänglich gefolgt und hat den 26-jährigen Seeländer gestern wegen Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht und versuchter Brandstiftung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht erachtet es als erwiesen, dass er am 4. August 2007 während des «Antifascist Festival» einen Brandsatz in der Grossen Halle der Berner Reitschule deponiert hat. Ein Besucher hatte damals den nach Benzin riechenden Rucksack entdeckt, und ein Security-Mitarbeiter hatte ihn nach draussen getragen, wo er kurze Zeit später in Flammen aufging. Zeugen sprechen von einem Feuerball von mehreren Metern Durchmesser.

Ob das Gericht den Mann verurteilen wird, war nicht abzusehen. Zwar beweisen Fingerabdrücke, dass er mit Bestandteilen des Brandsatzes hantiert hatte, doch gibt es keinen direkten Beweis, dass er ihn gebaut und in der Reitschule deponiert hat. Das Gericht war aber der Meinung, dass die Indizien zusammen ein klares Bild ergeben, wie die Gerichtspräsidentin ausführte. Nicht nur am Brandsatz hat der Beschuldigte Spuren hinterlassen, sondern auch im Internetforum der Neonazi-Organisation Blood and Honour, wo er unter dem Pseudonym «Eidgenosse88» mehrmals vom Bombenlegen sprach und am Morgen nach dem Anschlag seine Freude bekundete, noch bevor die Öffentlichkeit davon wusste. Weiter hat die Polizei bei ihm zu Hause alles Material gefunden, das es braucht, um einen solchen Brandsatz zu bauen. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass jemand anderes den Rucksack in der Reitschule deponiert hat. «Es gibt keinen Hinweis für eine Drittbeteiligung», sagte die Gerichtspräsidentin. «Alles deutet auf einen Alleingang hin.»

Für den Bundesanwalt Martin Stupf ist der Schuldspruch ein Sieg, aber auch die Bestätigung einer bitteren Niederlage. Vor zwei Jahren wollte er das Verfahren einstellen, weil man dem Beschuldigten die Tat nicht nachweisen könne. Die Festival-Veranstalter fochten diesen Entscheid an und bekamen vom Bundesstrafgericht recht. Die Richter riefen der Bundesanwaltschaft in Erinnerung, dass sie ein Verfahren nur bei klarer Straflosigkeit einstellen dürfe, was hier «eindeutig» nicht der Fall sei. Sie sei «nicht dazu berufen, über Recht und Unrecht zu richten». Dass das Gericht den Mann nun schuldig gesprochen hat, zeigt, wie falsch die Bundesanwaltschaft mit ihrer Einschätzung gelegen hat.

Kritik an den Berner Behörden

Stupf zeigte sich gestern trotzdem zufrieden. Als er das Verfahren habe einstellen wollen, sei die Situation eine andere gewesen. Die Ermittlungen hätten seither zu weiteren Erkenntnissen geführt, so habe etwa ein Handabdruck dem Beschuldigten zugewiesen werden können, der zuvor ein Hinweis auf einen Dritttäter hätte sein können. Aber auch eine Spitze gegen die Berner Strafverfolgungsbehörden, die anfangs mit dem Fall befasst waren, wollte Stupf sich nicht verkneifen: Deren Ermittlungen seien «nicht gerade profund» gewesen, sagte er.

Dieser Meinung sind auch die Festival-Veranstalter, die sich nach der Urteilseröffnung mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit wandten. Darin heisst es, man nehme das Urteil «ohne Genugtuung oder Freude» zur Kenntnis. Die Veranstalter kritisieren das Verfahren, das sich «durch Desinteresse der Untersuchungsbehörden» ausgezeichnet habe. Das habe bereits in der Nacht des Anschlags begonnen, als die Polizei «nicht ermitteln wollte». Eine Sprecherin, die sich zitieren lässt, erkennt darin «ein klares Zeichen, dass politische Verantwortliche und Justiz offensichtlich auf dem rechten Auge nicht sehen wollen».

Beat Luginbühl, der Verteidiger des Beschuldigten, hatte einen Freispruch beantragt. Er sagte nach dem Schuldspruch: «Man kann es so sehen, wie das Gericht es sieht.» Überrascht habe ihn aber die Höhe der Strafe. Die Tat liege nun fast neun Jahre zurück, und sein Klient habe sich von der rechtsextremen Szene distanziert. Luginbühl hätte eine kürzere, bedingt ausgesprochene Strafe für angemessen gehalten. Luginbühl hat nun die Möglichkeit, das Urteil ans Bundesgericht in Lausanne weiterzuziehen. Ob er das tun wird, konnte er gestern noch nicht sagen.

Zur Sache

«Vier Jahre sind eher tief veranschlagt»

Interview:

Der Mann, der einen Brandsatz in der Reitschule deponiert haben soll, wurde vom Bundesstrafgericht für schuldig befunden. Dies, obwohl die Anklage auf Indizienbeweisen beruht. Sind vier Jahre Gefängnis gerechtfertigt?

Wenn der Richter von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, muss er die Strafe der Schuld entsprechend festlegen. Es kommt in der Praxis aber häufig vor, dass eine unsichere Beweislage durch mildere Strafen kompensiert wird. Das ist aber unzulässig und entspricht nicht unserer Rechtsordnung.

Sind vier Jahre Gefängnis demnach eine zu milde Strafe?

Um zu beurteilen, ob dies hier zutrifft, müsste ich den Fall im Detail kennen. In Anbetracht dessen, dass die Maximalstrafe zwanzig Jahre beträgt und eine Strafe von drei Jahren bereits ohne Gefährdung von Menschenleben zur Anwendung kommen könnte, sind vier Jahre eher tief veranschlagt.

Es gibt keine Beweise, dass der Verurteilte die Bombe in der Reitschule platziert hat. Sollten solche Unklarheiten nicht zu einem Freispruch führen?

Das ist sicher ein Argument für Zweifel an seiner Schuld. Das Gericht muss jedoch immer alle Mosaiksteine eines Falles prüfen. Und wenn es in der Gesamtschau zum Schluss kommt, dass der Angeklagte schuldig ist, muss das Gericht ihn verurteilen.

Der Verurteilte distanziert sich heute von rechtsextremem Gedankengut, ausserdem liegt die Tat mittlerweile neun Jahre zurück. Sollte sich das strafmildernd auswirken?

Ich kann hier nur zu den Grundsätzen etwas sagen. Die Zeit zwischen Tat und Urteilsspruch kann sich auf zwei Arten strafmildernd auswirken: zum einen, wenn die Verzögerung auf Versäumnisse der Behörden zurückzuführen ist und damit das Beschleunigungsgebot verletzt wird. Eine Strafmilderung kann aber auch gewährt werden, wenn das Strafbedürfnis durch den Zeitablauf vermindert ist und der Angeklagte sich in dieser Zeit wohl verhalten hat. Die Praxis ist hier aber streng. Das heisst, auch wenn viel Zeit verstrichen ist, muss das noch nicht bedeuten, dass eine deutliche Reduktion der Strafe erwartet werden kann.

Die Bundesanwaltschaft wollte den Fall vor zwei Jahren nicht mehr weiterverfolgen. Daraufhin wurde sie vom Bundesstrafgericht zurechtgewiesen. Ist der Schuldspruch nun eine erneute Schlappe für die Bundesanwaltschaft?

Die Schlappe war wenn schon, dass die Bundesanwaltschaft den Fall einstellen wollte. Das Bundesstrafgericht hat das nicht zugelassen und durchgesetzt, dass die Entscheidung durch den Richter zu fällen ist. Gemäss dem nun erfolgten Schuldspruch war das richtig. In Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft zur Überzeugung gelangt, es liege zwar ein Tatverdacht vor, der aber schwer zu beweisen ist und für einen Schuldspruch nicht ausreichen könnte, muss sie anklagen. Das kann dann auch dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft zwar Anklage erhebt, vor Gericht dann aber auf Freispruch plädiert.

Das Verfahren könnte nun ans Bundesgericht weitergezogen werden. Wie sehen die Chancen für einen Freispruch aus?

Es wäre reine Spekulation, wenn ich dazu etwas sagen würde. Grundsätzlich hat aber nicht nur der Verurteilte das Recht, den Fall weiterzuziehen, sondern alle beteiligten Parteien. Das heisst, auch die Privatkläger oder die Staatsanwaltschaft können ans Bundesgericht gelangen, sollte ihnen das Strafmass zu niedrig ausgefallen sein.