Newsnet: Aus mehreren Kantonen gingen illegale Bestellungen beim Onlineshop eines bekannten deutschen Rechtsextremen ein. Die Polizei ist machtlos.
Am 18. Mai besucht ein Mann aus Frick AG den Webshop Migrantenschreck.ru. Er sucht nach Waffen, zum Schutz vor «Asylforderern», wie der Onlinehändler seine Gummischrotgewehre bewirbt. Hinter dem Waffenshop steckt Mario Rönsch, ein bekannter deutscher Rechtsextremer, der in Deutschland wegen Aufruf zu Gewalt und Volksverhetzung gesucht wurde.
Der Mann aus dem Aargau entschliesst sich für einen Schreckschussrevolver (399 Euro) und eine Packung 9 mm Pfefferspray-Gaspatronen der Marke Walther (39.98 Euro). Dazu bestellt er eine Tube Silikongel Oxet A2 (7.99 Euro), das für die Verwendung von Hartgummi-Geschossen notwendig ist. Damit lassen sich auf kurze Distanz schwere Verletzungen zufügen.
«Zeit online» hat alle Bestellungen der letzten sieben Monate auf einer Karte eingetragen (Bild: Screenshot «Zeit online»).
Der Shop verspricht eine «schnelle und diskrete Lieferung» ohne bürokratische Hürden. Und das scheint zu funktionieren: Fast 200 erfolgreiche Bestellungen erfolgen in den letzten sieben Monaten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das zeigen Kundendaten, die «Zeit online» und anderen deutschen Medien zugespielt wurden. Aus der Schweiz gingen demnach insgesamt sechs Bestellungen ein.
Für die Einfuhr solcher Waffen ist eine Bewilligung nötig. Laut dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) liegen aber keine Importgesuche für den Migrantenschreck-Shop vor. Die Käufer aus Frick AG, Kreuzlingen TG, Goldach SG, Weite SG, Langendorf SO und Oberdorf BL dürften die Waffen folglich illegal erworben haben.
Keine Hausdurchsuchung in Frick
Im Oktober erhält der Mann aus Frick Besuch von der Kantonspolizei Aargau. Sie hat einen Hinweis des Landeskriminalamts (LKA) Berlin erhalten. Dort führt die Abteilung Staatsschutz ein Verfahren im Zusammenhang mit dem Waffenshop: In Werbevideos schiesst ein maskierter Mann unter anderem mit dem Revolver Gummigeschosse auf Wasserflaschen, Kohlköpfe und Plakate mit Gesichtern von deutschen Politikern – darunter Justizminister Heiko Maas.
Die Visite der Polizei beim Waffenbesteller verläuft ergebnislos: «Dem fraglichen Mann aus Frick konnte die Einfuhr der Waffe nicht nachgewiesen werden», sagt Kapo-Sprecher Bernhard Graser auf Anfrage. Die Person habe den Kauf des Schreckschussrevolvers bestritten. Eine Hausdurchsuchung sei nicht durchgeführt worden. Mehr kann Graser zum Fall nicht sagen.
So wirbt Migrantenschreck für seine Waffen (Video: Youtube/Migrantenschreck GmbH).
Den Kantonspolizeien Thurgau, St. Gallen, Basel-Landschaft und Solothurn waren die Bestellungen aus ihrem Gebiet bisher nicht bekannt. Auch die Bundespolizei wurde erst durch die Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnet auf die illegalen Waffenbestellungen aufmerksam. «Wir werden mit den entsprechenden Kantonen zusammen den Sachverhalt anschauen», sagt Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu.
In Bezug auf den Webshop sei man aber machtlos: «Auch wenn die Seite aus unserer Sicht ganz klar hetzerisch ist, können wir sie nicht einfach abschalten, da es sich um eine ausländische Domain handelt», erklärt Musliu. Der Waffenshop ging dabei laut Recherchen von Tagesanzeiger.ch/Newsnet im April zuerst in der Schweiz online. Der Basler Webhoster, der die .ch-Adresse verwaltete, liess sie aber kurze Zeit später sperren.
Immer mehr Waffenscheine
Über die russische Endung .ru ist Migrantenschreck schwer angreifbar. Der Betreiber, Mario Rönsch, ist zudem untergetaucht. Er liefert die Gummischrotwaffen laut «Zeit online» aus Ungarn. Da soll der Migrantenschreck-Händler gemäss Impressum seinen Hauptsitz haben. An der angegebenen Adresse findet sich aber kein Büro, wie die deutsche Zeitung herausgefunden hat. Es dürfte sich also um eine Briefkastenfirma handeln. Von Budapest aus werden die Waffen per Paketversand nach Deutschland, Österreich und der Schweiz verschickt. Die Chance, dass der Zoll die illegalen Sendungen entdeckt, sind dabei gering. Flächendeckende Kontrollen sind angesichts der hohen Zahl an täglich ankommenden Paketen nicht möglich.
Ohne Rechtshilfeersuchen oder eine Anzeige könne auch die Polizei in solchen Fällen nicht aktiv werden, heisst es bei der Kantonspolizei Basel-Landschaft. Ohne Adresse wisse man ja nicht, wer der Kunde sei. Und selbst wenn die Polizei eine Adresse besitzt, hat das zumindest im Fall Frick bislang nicht zu Konsequenzen geführt. «Es stimmt», sagt Graser von der Kapo Aargau, «theoretisch kann jeder online oder im Darknet eine Waffe bestellen.»
Wie häufig das geschieht, kann das Fedpol nicht beziffern. Die Zahl der abgefangenen Waffensendungen an den Postzollstellen werde nicht zentral erfasst. Dass sich Schweizer aber zunehmend bewaffnen wollen, ist an den Gesuchen um Importbewilligungen ersichtlich. Die Zahl der Anträge für die Einfuhr bei der Zentralstelle der Bundespolizei ist um rund 11 Prozent auf 2024 angestiegen. Auch die Kantone stellen immer mehr Bewilligungen zum Kauf einer Waffe aus: Im Thurgau geht die Polizei von einem Anstieg von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus, in St. Gallen sind es bis Ende November knapp 26 Prozent mehr, und im Aargau schnellt die Zahl der ausgestellten Waffenerwerbsscheine von rund 3650 im letzten Jahr auf bislang 4900 in diesem Jahr hoch – eine Zunahme von über 34 Prozent. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 17.12.2016, 16:08 Uhr)