20 Minuten. Eine bekannte Aktivistin kritisiert die Spendenwerbung von Hilfswerken als rassistisch. Diese können die pauschale Kritik nicht nachvollziehen.
Darum gehts
- Die Soziologin und Aktivistin Anja Glover kritisiert die Spendenaufrufe von Hilfsorganisationen als rassistisch.
- Oft würden Betroffene als schwach und hilfsbedürftig dargestellt.
- Diese Kritik lassen NGOs nicht auf sich sitzen: «Wir setzen etwa bei unseren Projekten fast nur lokale Mitarbeitende ein», heisst es etwa bei Helvetas.
- Und Christian Willi von «Compassion Schweiz» sagt: «Es wäre schade, wenn es am Ende gar eine Spenden-Scham gäbe.»
Die Advents- und Weihnachtszeit ist für viele von Fürsorge und Grosszügigkeit geprägt. Davon profitieren Hilfswerke, die Spendeneinnahmen schiessen vor Weihnachten jeweils in die Höhe. An Bahnhöfen, auf Social Media und in Briefkästen laufen diverse Spendenkampagnen. «Ich habe ein Recht auf Bildung», heisst es da etwa vor dem lachenden Gesicht eines schwarzen Mädchens.
Solche Darstellungen kritisiert nun die Soziologin und Aktivistin Anja Glover in der «Annabelle». Meist würden auf Spendenaufrufen die Porträtierten als hilfsbedürftig oder schwach dargestellt: «Oder es werden direkt weisse Menschen abgebildet, die dankbar dafür sind, helfen zu können.»
Geschichte wird ausgelassen
Auf Anfrage sagt Glover, diese Bild- und Textsprache irritiere sie: «Es erstaunt mich, wie offen das immer noch verwendet wird.» Sie findet gerade den Begriff der «Entwicklungshilfe» problematisch: «Er deutet an, dass gewisse Staaten ‹weiter fortgeschritten› sind, während andere Regionen selbstverschuldet rückständig sind.» Dieses Bild lasse aber aus, wie diese Ungleichheit zustande komme und welche Auswirkungen diese «Entwicklung» habe.
Der ganze Sektor sei ein rassistisches Instrument, schreibt sie in ihrem Text weiter. «Auch, wenn er es gut meint – er ist in koloniale Strukturen und Machtungleichheiten eingebettet.»
«Wir müssen den Gerechtigkeitssinn stärken. Nicht in erster Linie unser Wohlbefinden», so Glover weiter. Auf Anfrage präzisiert sie: «Das gute Gefühl, das man beim Helfen hat, darf einen nicht daran hindern, die eigenen Handlungen und die von Organisationen kritisch zu hinterfragen.» Das gelte für alle Bereiche der Gesellschaft – auch für Medien, die diese Bilder produzierten und reproduzierten. Auch sie selbst habe kein Patentrezept: «Aber diese Diskussion müssen wir führen, unangenehm ist es für alle Beteiligten.»
Organisationen kontern
Hilfswerke können die pauschale Kritik nicht nachvollziehen: «Mit der Behauptung, die Entwicklungszusammenarbeit selbst sei ein rassistisches Instrument, sind wir gar nicht einverstanden», sagt etwa Matthias Herfeldt von Helvetas. In ihren Projekten würden fast ausschliesslich lokale Mitarbeitende eingesetzt. Die Profitierenden würden zudem systematisch einbezogen: «Damit werden koloniale Strukturen aufgebrochen und nicht etwa stabilisiert.»
Dennoch spreche Anja Glover auch wichtige Punkte an, mit denen sich Entwicklungsorganisationen auseinandersetzen müssten: «Wir zeigen Menschen in ärmeren Ländern als handelnde Partner und nicht als passive Hilfsempfängerinnen und Hilfsempfänger», so Herfeldt weiter.
«Darf keine Spenden-Scham geben»
Auch Christian Willi von der christlich geprägten Hilfsorganisation «Compassion Schweiz» sagt, man befasse sich bereits stark mit dem Thema. Schon für die diesjährige Kampagne habe man das berücksichtigt: «Im Januar organisieren wir zudem eine Schulung für alle Mitarbeitenden zum Thema ‹White Saviorism und Rassismus›.»
Er fände es aber schlecht, wenn das Spenden problematisiert würde: «Man soll immer noch ein gutes Gefühl haben dürfen, ein Teil der Lösung zu sein. Es wäre schade, wenn es am Ende gar eine Spenden-Scham gäbe.» Dieses Problem könne man nur miteinander und nicht gegeneinander lösen.